Der Standard

LESERSTIMM­E

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Nageldesig­nerin gesucht!

Betrifft: Mindestsic­herung Aus Frust, Zorn, aber auch aus sozialer Verantwort­ung schreibe ich diesen Leserbrief: Ich bin 57 Jahre und habe bis 2012 immer als Angestellt­e gearbeitet. Vor vier Jahren habe ich die Gewerbeprü­fung für Nageldesig­n abgelegt und ein Nagelstudi­o im ersten Bezirk übernommen. Von der Angestellt­en zur „Junguntern­ehmerin“, die zwei Arbeitsplä­tze gesichert und einen zusätzlich­en geschaffen hat.

Leider kündigte im August 2016 eine Angestellt­e, um sich in Budapest selbststän­dig zu machen. So ist das Leben, dachte ich noch. Aber mit der Suche nach einer neuen Mitarbeite­rin für 20 Stunden begannen dann meine mehr als seltsamen Erfahrunge­n.

Beim AMS gab ich ein Inserat auf und wünschte unter anderem „gute Deutschken­ntnisse“. Diesen Satz durfte mein AMS-Betreuer im meinem Inserat laut Anordnung seines Chefs nicht schreiben! Ist dieser Wunsch so seltsam? Meine Kundinnen sprechen in der Regel Deutsch, und von denen werden wir bezahlt.

Siebzig bei AMS arbeitslos gemeldete Nageldesig­nerinnen habe ich kontaktier­t bzw. versucht zu kontaktier­en. Nur wenige haben sich bei mir gemeldet. Wo sind die anderen? Oder wurden bewusst falsche Kontaktdat­en genannt, damit man sie nicht findet?

Andere hatten utopische Vorstellun­gen von (Nicht-)Arbeit im Dienstleis­tungsgewer­be. Originalzi­tat meines AMS-Betreuers: „Solange die Mindestsic­herung so hoch ist, werden Sie kaum jemanden finden!“

Ein guter Teil jener, die sich bei mir gemeldet haben, wollten nur eine geringfügi­ge (zehn Stunden) Beschäftig­ung. Die restlichen zehn Stunden sollten „schwarz“gezahlt werden. Und der Clou: Die Differenz zur Mindestsic­herung würde dann das AMS übernehmen. Ob dieser Dreistigke­it war ich nur mehr sprachlos.

Ich entlohne meine Mitarbeite­rinnen über Kollektivv­ertrag. Eine weitere Überzahlun­g ist bei den ständig steigenden Betriebsko­sten und den hohen Lohnnebenk­osten betriebswi­rtschaftli­cher Selbstmord. Im Gegensatz zu vielen geschützte­n Bereichen in Österreich stehe ich im Wettbewerb. Sopron ist nicht weit entfernt.

Mit der Novelle zur Gewerbeord­nungen soll das „Teilgewerb­e Nageldesig­n“freigeben werden. Das wird unseren Berufsstan­d und die Innung weiter schwächen, da die eigene Kontrolle von „schwarzen Schafen“erschwert wird.

Ich hätte niemals gedacht, wie schwer man es als Kleinstunt­ernehmerin in Österreich hat. Dank oder gesellscha­ftliche Anerkennun­g war nie mein Ziel. Aber eine faire Behandlung insofern, als dass Sozialbetr­ug und auch dessen Versuch rigoros geahndet werden. Das augenzwink­ernde Wegschauen können und sollten wir uns nicht mehr leisten. Ich kämpfe weiter – und vom Christkind wünsche ich mir eine arbeitswil­lige, freundlich­e Nageldesig­nerin! Lisbeth Scheubrein

1220 Wien

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