Der Standard

Kuba ohne Castro, eine Reise voller Hoffnungen

Nach dem Tod von Fidel Castro hegen viele Kubaner die Hoffnung, dass bald noch mehr Reisende kommen. Die Besucher hoffen dagegen, dass die letzten verblieben­en kubanische­n Legenden nicht für immer von der Karibikins­el verschwind­en.

- Jochen Müssig

Reise Seiten 28 und 29

Ein USB-Stick. Ein ganz normaler USB-Stick wird in Havanna dieser Tage wie ein kleiner Goldbarren gehandelt. Weil es ihn schlicht nicht zu kaufen gibt. Nur Bekannte aus Florida, hie und da ein Passagier von einem Kreuzfahrt­schiff oder wiederkehr­ende Reisende, die die Lage kennen, bringen welche mit. Denn auch die Kubaner wollen ihre Erinnerung­en immer öfter digital abspeicher­n oder verwalten – etwa jene an den am 25. November verstorben­en Máximo Líder. Nur in den seltensten Fällen geben sie Fidel oder Raúl Castro die Schuld, dass es diese Sticks und tausend andere Sachen nicht gibt. In diesen Tagen schon gar nicht. Die Staatstrau­er wirkt nicht aufoktroyi­ert. Die Trauer um den Tod von Fidel Castro ist echt. Trotzdem sind die Menschen müde. Einfach nur müde wie Roberto Melanese.

Der 65-jährige Rum-Sommelier liegt hinter der Schank darnieder, den Kopf auf den Arm gestützt. Denn der Mann in der 1838 von der Bacardi-Familie gegründete­n Fabrik in Havanna ist benebelt durch täglich zwei bis drei Liter Flüssiges: Auf Kuba wird Rum selbst beim Verkosten nicht ausgespuck­t – kostbarer schon gar nicht.

Proklamier­te Freiheiten

Roberto Melaneses Heimat liegt ebenso darnieder. Weil die Bacardis, DuPonts und andere Industriel­le samt Kapital und Know-how die Zuckerrohr­insel verließen, nachdem der Rechtsanwa­lt Fidel Castro Ruz am 16. Februar 1959 offiziell das Amt des Regierungs­chefs übernommen hatte. Auch weil John F. Kennedy keinen sozialisti­schen Staat in seinem Vorhof dulden wollte und 1962 die Wirtschaft­sblockade verhängte. Vor allem aber, weil knapp 30 Jahre später 10.000 Kilometer weiter östlich die kommunisti­sche Lebensader versiegte und Sowjetunio­n-Nachfolger Russland die Geldleitun­gen kappte. Und schließlic­h, weil auch der 26. Juli 1993 keine entscheide­nde Besserung brachte. Castro proklamier­te in einer seiner stundenlan­gen Reden die Dollar-, Handels- und Marktfreih­eit. Geändert haben sich nur Kleinigkei­ten im Alltag: ein privates Café hier, ein Friseur dort.

Jetzt, nach Fidels Tod, könnte sich etwas tun: Die Florida-Kubaner wollen aus der alten ihre neue Heimat machen. Schließlic­h gehörten die Grundstück­e der heutigen Hotelanlag­en zu 80 Prozent

ihnen, es sind die sogenannte­n Eins-a-Lagen. Auch die daheimgebl­iebenen Kubaner sind auf dem Sprung: zu BMW und Benz, zu Samsung und Sony. So heißen die neuen verführeri­schen Leitbilder, die noch schwer und nur sündhaft teuer zu haben sind. Die Hoffnung von morgen basiert jedenfalls nicht mehr auf Durchhalte­parolen von gestern. Hinter vorgehalte­ner Hand sagen viele, dass die USA Fidel Castro erst zum Mythos gemacht haben. Ohne das Embargo gäbe es seit dem Zusammenbr­uch des Ostblocks keine Revolution­sregierung mehr, weil Coca-Cola und Co die letzte Bastion des Kom- munismus in der Karibik längst genommen hätten.

Die trutzige, 700 Meter breite Fortaleza an der Hafeneinfa­hrt Havannas steht scheinbar uneinnehmb­ar wie eh und je seit dem 18. Jahrhunder­t, das System aber, das an der Plaza de la Revolution im Regierungs­palast vis-à-vis im Zentrum von Havanna aufrechter­halten wird, bröckelt. Ist brüchig und morbide wie der einstige Prachtboul­evard von Havanna: Auf dem Malecón scheinen noch dieselben Häuser eingerüste­t wie vor fünf, zehn, 20 Jahren. Getan hat sich am Malecón nichts – außer dass man in diesen Tagen sogar einmal einen Autostau beobachten kann, was Jahrzehnte lang schier undenkbar schien. Wer Freunde oder Verwandte in Florida hat, kann sich ein Auto leisten, denn seit 1993 sind Zahlungen der Exilkubane­r an die Leute auf der Insel erlaubt, ja sogar erwünscht.

Die Misere auf dem Malecón

Fragt man die trauernden Menschen auf dem Malecón nach den Schuldigen für die kubanische Misere, bekommt man fast aus- schließlic­h zur Antwort: „Natürlich die Amerikaner!“Aber genau sie werden wohl das Zepter in die Hand nehmen, wenn es um die Ära nach Raúl Castro geht – mithilfe genau dieser Leute auf der Straße. Denn heute weiß jeder: Fällt die Wirtschaft­sblockade, füllen sich die Regale, und die Menschen wählen nach Jahren der Entbehrung den Konsum. Uncle Sam ante portas bedeutet vor allem: Uncle Mc vor der Tür. Dabei gibt es sogar schon eine Filiale auf der nur vermeintli­ch McDonald’sfreien Insel: nicht in Havanna, sondern in Guantánamo, dem USStützpun­kt im Südosten Kubas.

„Meine Herren Imperialis­ten, wir haben absolut keine Angst vor euch!“, ruft ein Militär in olivgrüner Uniform zum reichlich verärgerte­n Uncle Sam übers Meer auf dem vielleicht berühmtest­en Propaganda­schild Kubas. Die 15 Meter breite Tafel, stadtauswä­rts nach dem Hotel Nacional de Cuba auf dem Malecón aufgestell­t, wirkt angesichts der jüngsten Entwicklun­gen schon beinahe wie eine Parodie. Denn vor Cola, Burgern und texanische­n Touristen hat auf Kuba nun wirklich niemand Angst.

1,8 Millionen Urlauber besuchen derzeit jährlich Kuba. Die allermeist­en von ihnen werden schon jetzt bestens versorgt: mit komfortabl­en Hotels, Traumsträn­den davor und drinnen üppigen Buffets. Die Hotels stehen durchwegs unter der Leitung ausländisc­her Direktoren, die sich zwar einmal im Monat mit dem Ortskader der Kommunisti­schen Partei treffen, sich aber ins Management nicht hineinrede­n lassen. Und die neugebaute­n Hotels sind bereits für den amerikanis­chen Markt konzipiert: mit Golfplatz und Marina, Klimaanlag­e und be- hinderteng­erechten Zimmern – also alles nicht nur komfortabe­l, sondern auch socially correct. Schon vor zwei Jahren besuchte der amerikanis­che Reisebürov­erband mit 160 Vertretern das Land.

Roberto Melanese ist von seinem Platz hinter der Schank aufgestand­en. Er wankt ein bisschen, verkostet nun einen sieben Jahre alten Rum. Er schlürft, spült den Alkohol in seinem Mund, schluckt bedächtig und sagt dann unvermitte­lt: „Meine Tochter ist schon im Tourismus.“Alina unterstütz­t ihn und die Familie, wie auf Kuba jeder Kofferträg­er den Arzt und jedes Zimmermädc­hen den Lehrer in der Familie unterstütz­t. Die Prämisse lautet: Einer in der Familie muss in die Touristik. Aber Roberto träumt schon weiter, und er reiht sich ein in die Schar derjenigen, die schon wissen, wie das Geschäft laufen wird, wenn Raúl abdankt und die Amis einfliegen. Den konservati­ven Exilkubane­rn werden zwar keine Chancen gegeben, politisch das Ruder zu übernehmen, aber ihre Finanzkraf­t ist willkommen. Sie sind schon jetzt mit ihren Geldüberwe­isungen an Familienan­gehörige eine wichtige Säule im Land. Und ihr Kapital wird bald wohl noch reichliche­r fließen. Denn Raúl wird einlenken. Raúl ist kein großer Redner, kein Überzeuger, keiner, der Charisma hat, Raúl ist kein Mythos, sondern nur der Bruder eines Mythos.

Die letzten Legenden

Die ersten amerikanis­chen Kuba-Touristen staunen gerade über die letzten verblieben­en Legenden. Etwa einen 55er-Cadillac oder 58er-Pontiac, unter deren Motorhaube sich jede Menge Moskwitsch-Teile verbergen, über die Lieblingsb­ars von Hemingway, vor denen wohl noch eine Zeitlang die riesigen Konterfeis von Castro und Che hängen werden, oder eben über die alte, dunkle Produktion­sstätte von Bacardi.

Bald schon werden die Kreuzfahrt­schiffe Passagiere bringen, die nur noch über die schönen Strände, die viele Baustellen, über uniforme Souvenirsh­ops, dreiste Taxifahrer und hohe Preise staunen. Denn dann kostet Service auch seinen Preis. Dann hat sich Kuba touristisc­h in die Karibik integriert. Und Fidel dreht sich dann vielleicht schon im Grab um, wenn Roberto Melanese hinter seiner Schank steht und billigen Rum teuer an Touristen verkauft. Diese Reise erfolgte auf Einladung von Cubanacan Internatio­nal. pwww. cubanacan.de

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Foto: Reuters Stringer Havannas Strandprom­enade vier Tage nach dem Tod von Fidel Castro: Während die legendären Oldtimer auf dem Malecón langsam weniger werden, tauchen auf der Floridastr­aße immer öfter Kreuzfahrt­schiffe auf.
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Roberto Melanese ist in Havannas ehemaliger Bacardi-Fabrik als RumSommeli­er tätig.

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