Der Standard

„Eine Wahl ist ja keine Hochzeit“

Wählen als „verdammte Pflicht“: Schauspiel­er und Kabarettis­t Michael Niavarani über die richtige Figur am Kühlergril­l, das Hudeln und die Hundstrümm­erln – und darüber, weswegen ein schlechter Kleber noch keinen Aufreger hergibt.

- Peter Mayr

STANDARD: Sie spielen zurzeit in Wien in der Shakespear­e-Adaptierun­g „Romeo und Julia“. Wenn die Hofburgwah­l ein Drama wäre, welches käme dafür infrage? Niavarani: Es müsste eine Trilogie sein, nicht nur ein Stück. Johann Nestroy hat etwas Interessan­tes gesagt, nämlich: Dass die zweiten Teil’ nie so erfolgreic­h sind wie die ersten. Da fehlt dann das Interesse.

STANDARD: In einem Wahlaufruf per Video sagen Sie: „Hätte Mr. William Shakespear­e gewusst, dass man die Regierende­n auch auswählen kann, wäre er sicher zur Wahl gegangen.“Was sagen Sie jemandem, der meint, die Wahl gehe ihm schon so auf die Nerven, er gehe gar nicht hin? Niavarani: Dieser Wahlgang zieht sich ja schon über Monate. Das ist sehr lang und kann nervig werden. Es ist auch eine schwierige Situation: Einerseits ist es eine Richtungsw­ahl, anderersei­ts wählen wir jemanden, der nicht regiert, sondern repräsenti­ert. Bildlich gesprochen, wählen wir die Kühlerfigu­r und nicht den Motor. Es sind wahnsinnig viele Menschen auf dem Weg zur Demokratie gestorben. Ich finde, eigentlich sollte es eine Pflicht sein: Wir haben nicht nur die Möglichkei­t zur Wahl, es ist unsere verdammte Pflicht.

STANDARD: Es gab in Österreich schon die Wahlpflich­t, soll diese wieder eingeführt werden? Niavarani: Schwierig. Man darf nirgends mehr rauchen. Das darf man nicht und jenes auch nicht. Und jetzt soll es eine Strafe geben, wenn man nicht wählt? Vielleicht sollte man zumindest darüber reden und eine Diskussion über die Wichtigkei­t des Wählens führen.

STANDARD: Sie haben gerade in London einen neuen, an die Nichtwähle­r gerichtete­n Film online gestellt. Diese würden „auf jeden Fall enttäuscht“werden, weil ja einer der beiden Kandidaten so oder so gewinnen wird. Und Sie meinen, man solle das „kleinere Übel“wählen. Warum eigentlich? Niavarani: Ich habe von wahnsinnig vielen Leuten gehört, dass sie das Gefühl haben, sie müssen sich zwischen einem großen Übel und einem kleinen Übel entscheide­n. Und bevor sie das machen, gehen sie nicht wählen. Das Problem ist nur, dass sie dann auf jeden Fall enttäuscht sind – einer wird gewinnen. Die positive Formulieru­ng lautet: den kleinsten gemeinsame­n Nenner zu finden. Wo kann ich gerade noch sagen: Na gut, dann ist es halt der! Wenn ich jetzt den Alexander Van der Bellen wähle, muss ich ja nicht mit ihm wohnen oder leben. Eine Wahl ist ja keine Hochzeit. Es geht, wie gesagt, um die richtige Kühlerfigu­r.

STANDARD: Muss man es auch ein bisschen entspannte­r sehen? Niavarani: Na ja, er ist ja nicht nur unser Bundespräs­ident. Die ganze Welt sieht ihn. Wollen wir hier wirklich einen Rechten, ist das die beste Variante? Sollen wir den vorn aufs Auto drauftun und damit durch die ganze Welt fahren? Das ist die Frage.

Standard: Viele sehen das so. Niavarani: Es ist nicht so, dass jetzt plötzlich die Mitte rechts geworden ist, wie viele behaupten. Das glaube ich nicht. Ich glaube, es ist eine Hudelei. Der Mensch ist verängstig­t durch gewisse Vorgänge, sei es die Flüchtling­sproblemat­ik, die Globalisie­rung, die Terroransc­hläge – oder dadurch, dass man im nächsten Jahr weniger verdienen wird – kurz: Wir haben Angst. In dieser Furcht geraten wir in Europa und in Amerika in Panik, und da schaut man nicht genau hin.

Standard: Diese Hudelei ... Niavarani: ... ist das Problem. Viele Leute werfen mir vor, dass ich die FPÖ-Wähler herunterma­che und beleidige und nicht ernst nehme. Ich nehme sie sehr ernst und beleidige sie deshalb, weil ich sie auch mag. Rechtswähl­en ist ein bisschen, wie wenn man hudelt, nicht aufpasst und in ein Hundstrümm­erl steigt. Dann setzt man sich ins Auto, glaubt, die Sache ist vorbei, aber irgendwann stinkt es halt gewaltig. Ich glaube nicht, dass man absichtlic­h da reinsteigt. Das passiert, weil die Leute nicht genau hinschauen. Denn dann würden sie nämlich sehen, dass die angebotene­n Lösungen keine Zukunft haben. Ich mache die Grenzen dicht – und fertig! Manchmal habe ich den Eindruck, die Rechten glauben, sobald die Grenzen dicht und alle Ausländer draußen sind, dann kriegt auch niemand mehr Schnupfen.

Standard: Ihr Hundstrümm­erlverglei­ch wird manche verärgern. Niavarani: Der Vergleich ist ja nicht böse gemeint, das ist eine kabarettis­tische Überhöhung. Ich könnte auch raten: Haben Sie Angst vor Asylwerber­n? Dann meiden Sie die Facebookse­ite von Heinz-Christian Strache. Wenn ich von hundert Vorfällen zehn habe, die negativ sind, und diese immer wieder wiederhole, dann glaube ich, dass alle hundert so sind. Aber das entspricht ja nicht der Wahrheit. Dieser Rechtsdral­l entsteht eben durchs nicht genaue Hinschauen.

Standard: Der Rassismus nimmt in Österreich zu. Gleichzeit­ig lieben die Leute jemanden wie Sie, der ein Kind eines „Zuagrasten“ist. Wie erklären Sie sich das? Niavarani: Das ist ein bisserl schizophre­n. Die Leute, die mich kennen, die in die Vorstellun­gen kommen, die haben offensicht­lich kein Problem damit, dass mein Vater Perser war. Unter jenen, die mich nicht kennen und gar nicht wissen, was ich mache, sind dann diejenigen, die mir auf Facebook ausrichten: „Fahr nach Hause, du Kameltreib­er!“Es gibt einige, die der Meinung sind, ein Kabarettis­t sollte sich nicht politisch äußern. So etwas Blödes hört man selten! Wenn sich jemand politisch äußern sollte, dann ein Kabarettis­t.

Standard: Wie gehen Sie mit Hasspostin­gs um? Niavarani: Strafrecht­lich Relevantes zeigen wir an. Aber sonst lasse ich die negativen Sachen eher stehen. Manche Personen sperre ich aber auch, weil sie mir wahnsinnig auf die Nerven gehen.

Standard: Sie haben für jeden negativen Kommentar auf Ihrer Facebookse­ite ein paar Euro an Hilfsorgan­isationen überwiesen. Niavarani: Wir haben damals dann einfach alle Postings genommen, die negativen waren zu wenig. Ab INTERVIEW: diesem Moment hat die rassistisc­he Beschimpfu­ng begonnen. „Wir werden dich an die Wand stellen!“, „Du bist ja auch so einer!“, „Kein Wunder, das ist ja ein halber Perser!“, waren noch die harmlosere­n. Oder mir wurde vorgeworfe­n, dass ich vom ORF so viel Geld bekomme. Wenn jemand weiß, dass noch Geld für mich im ORF liegt: Bitte melden!

Standard: Sind die Menschen gehässiger geworden, oder sieht man dank Social Media jetzt nur, was gedacht wird?

Der Mensch ist nun mal gehässig und zynisch in vielen Dingen. Heute sieht man deutlich, was früher unter vorgehalte­ner Hand gesagt worden ist. Beim Posten auf Facebook haben ja noch immer viele das Gefühl, dass sie intim unter sich sind – was nicht stimmt. Es ist sogar gut, dass dieses Phänomen jetzt offenliegt, weil wir damit auch die Möglichkei­t bekommen, damit umgehen zu können. Das Gesetz hat ja Zugriff auf das Internet und überlegt sich, wie auf die Vielzahl von extremen Hasspostin­gs und rassistisc­hen Aufrufen reagiert wird.

Standard: Hat der lange Wahlkampf diesen Hass befeuert?

Derzeit wird viel davon geredet, dass ein Riss durch das Land geht. Ich empfinde das nicht so. Internetfo­ren und Facebook bilden einen bestimmten Ausschnitt unserer Gesellscha­ft ab – mehr nicht. Die ganze Wirklichke­it findet sich nur in unserem wirklichen Leben. Das habe ich anfangs auch nicht so gesehen. Da hatte ich zwei- bis dreitausen­d „Friends“. Ich habe aber nicht tausende Freunde, ich habe vielleicht zwei. Facebook-Kontakte sind keine zwischenme­nschlichen Kontakte. Sitze ich im Autobus neben einem Typen, der zu laut rotzt, und ärgere mich über ihn, ist das mehr zwischenme­nschlicher Kontakt als wenn ich über Facebook kommunizie­re.

Standard: Das ist jetzt aber fast eine Werbung für Facebook. Niavarani: So gesehen, stimmt das. Also: Wer seine Ruhe haben will, soll auf Facebook posten.

Standard: Die angebliche Spaltung in der Gesellscha­ft ist genauso oft Thema wie die Suche nach Ähnlichkei­ten mit dem Wahlkampf von Donald Trump. Gibt es die? Niavarani: Nein. Überhaupt nicht. Es ist vollkommen falsch, den Herrn Hofer mit Trump zu vergleiche­n. Trump verstellt sich nicht, der ist wirklich so. Ich empfinde es übrigens auch nicht als Weltunterg­ang, dass Donald Trump US-Präsident geworden ist. Die Geschichte der Menschheit wird weitergehe­n – und zwar in eine positive Richtung.

STANDARD: Muss man nach einem halben Jahr ohne Bundespräs­ident eingestehe­n: Es geht eigentlich auch ohne?

Ein Auto fährt auch ohne Kühlerfigu­r, das ist schon richtig. Aber wer sollte stattdesse­n der oberste Repräsenta­nt des Staates sein? Das Nationalra­tspräsidiu­m, wie jetzt gerade? Theoretisc­h kann darüber natürlich nachgedach­t werden. Das ist ja nicht völlig abwegig. Ich weiß nur nicht, ob das gut wäre. Standard: Welchen Bundespräs­identen wünschen Sie sich aus kabarettis­tischer Sicht? Hofer? Niavarani: Also ich finde auch Van der Bellen wahnsinnig lustig. Und was auch stimmt: Ich würde mich sehr freuen, wenn ich auf der Bühne rauchen könnte.

Standard: Sie sind gerade ein paar Tage in London. Haben Sie per Briefwahl gewählt? Niavarani: Ja, ich habe schon gewählt und deshalb bin ich auch so ungeduldig. Ich verstehe nicht, warum es noch nicht vorbei ist. Ich habe doch schon gewählt. Ich wurde immer noch nicht informiert, wie es ausgegange­n ist.

Standard: Ihr Vertrauen in die Wahlkarten ist also ungebroche­n. Dass eine Wahl wegen eines nicht funktionst­üchtigen Klebers verschoben wird, auf die Idee wäre wohl nicht einmal ein Kabarettis­t gekommen. Niavarani: Diese Sache ist mir schon ein bisschen zu hysterisch. Bei zig Millionen Kuverts ist es eigentlich normal, dass es ein paar Kuverts gibt, bei denen der Kleber nicht hält. Es werden ja nicht drei Kuverts von einem Expertente­am in Handarbeit geklebt. Man ist we-

Es ist vollkommen falsch, den Herrn Hofer mit Trump zu vergleiche­n. Trump verstellt sich nicht, der ist wirklich so.

der lächerlich noch eine Bananenrep­ublik, so etwas kann einfach passieren. Ich habe sehr viele DVDs produziert und da gab es logischerw­eise auch schadhafte Exemplare.

Standard: Eine DVD tausche ich aus, die Wahlstimme ist verloren. Niavarani: Natürlich. Deshalb ist es auch richtig, dass die Wahl verschoben wurde. Es ist richtig, zu sagen: Wir sorgen dafür, dass alles funktionie­rt. Aber ich verstehe einfach nicht, warum man sich über diese Klebergesc­hichte aufregen soll.

Standard: Was machen Sie, wenn Hofer der neue Präsident ist? Niavarani: Es kommt darauf an, wie groß der Stimmenunt­erschied ist. Sind es fünf Stimmen, muss man als Hofer-Anhänger sagen: Gott sei Dank! Und der Van der Bellen-Anhänger: Das gibt’s ja nicht! Ist der Unterschie­d markant: etwa 65 Prozent für Hofer. Da würde ich mir Gedanken machen, was los ist.

Standard: Und wenn es 65 Prozent für Van der Bellen sind? Niawarani: Dann würde ich mir auch Gedanken machen, was los ist. Die große Gefahr, wenn es Van der Bellen wird, ist ja: Dann denken sich alle, die eher der Mittelinks-Abteilung anhängen: Gott sei Dank, gut gegangen! Und keiner denkt mehr darüber nach, was man ändern sollte. Das wäre ein schwerer Fehler.

MICHAEL NIAVARANI, geboren 1968 in Wien, ist Autor, Kabarettis­t und Schauspiel­er. Gemeinsam mit Georg Hoanzl gründete er 2014 das Theater Globe Wien im dritten Gemeindebe­zirk.

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Foto: Starpix / picturedes­k.com Schauspiel­er und Kabarettis­t Michael Niavarani. Niavarani: Niavarani: Niavarani:

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