Der Standard

„Wir sind in einer privilegie­rten Lage“

Geht es der Wirtschaft gut, rücken ökonomisch­e Überlegung­en bei Wahlen in den Hintergrun­d, sagt Stefanie Walter. Die Ökonomin erforscht, wo Verlierer und Gewinner der Globalisie­rung ihr Kreuzerl machen.

- INTERVIEW: Regina Bruckner

Standard: Sie haben sich in 16 Ländern angeschaut, wer von der Globalisie­rung profitiert und wer verliert. Gab es Überraschu­ngen? Walter: In allen Ländern sind Hochgebild­ete, die in internatio­nalisierte­n Sektoren arbeiten, die absoluten Gewinner: Programmie­rer im Silicon Valley oder Mitarbeite­r in sehr spezialisi­erten Firmen in Österreich oder in der Schweiz. Unter Druck sind jene, die auch in sehr exponierte­n Berufen arbeiten, aber niedrig qualifizie­rt sind. Die Textilindu­strie oder Teile der verarbeite­nden Industrie sind etwa abgewander­t. Ein großer Anteil der Bevölkerun­g arbeitet aber immer noch in geschützte­n Sektoren, wie Ärzte, Altenpfleg­er, Lehrer.

Standard: Sie haben erforscht, wie sich das auf das Wahlverhal­ten auswirkt. Was kam heraus? Walter: Durchschni­ttlich wählen Globalisie­rungsgewin­ner eher liberale und konservati­ve, Verlierer eher linke Parteien. Rechtspopu­listen werden häufiger von Leuten gewählt, die eine niedrigere Bildung haben. Da macht es keinen Unterschie­d, ob sie in geschützte­n Sektoren oder in exponierte­n Berufen arbeiten. Eine große Rolle spielt, wie stark die Routinetät­igkeit ist. Leute, die eine solche ausüben, wählen eher Rechtspopu­listen. Das sind ebenjene, die von der Automatisi­erung bedroht werden. Trotz allem nehmen Wähler rechtspopu­listischer Parteien die Globalisie­rung viel stärker als Bedrohung wahr als die Wähler anderer Parteien.

Standard: Was vernichtet mehr Jobs: Globalisie­rung oder Automatisi­erung? Walter: Im Moment habe ich das Gefühl, alle sprechen über die Globalisie­rung. Aber laut Schätzunge­n gehen zwei Drittel der Jobs über Automatisi­erung verloren, ein Drittel über Globalisie­rung.

Standard: Rechtspopu­listen legen Rezepte vor, die sehr einfach klingen. Etwa: Grenzen schließen, und dann sind die Jobs wieder da ... Walter: Das klingt auf den ersten Blick vorzüglich. Das Problem ist, dass es so nicht funktionie­rt. Erstens sind viele dieser Jobs überhaupt nicht der Globalisie­rung zum Opfer gefallen, sondern dem technologi­schen Wandel. Was man machen könnte, wäre in Ausbildung zu investiere­n, damit die Leute besser vom technologi­schen Wandel und der Globalisie­rung profitiere­n könnten.

Standard: Ganz vergessen scheint, dass auch Konsumente­n von der Globalisie­rung betroffen sind, etwa durch die Möglichkei­t, Güter möglichst günstig zu kaufen, oder? Walter: Die gleichen Leute, die zum Teil beklagen, dass man keinen Dorfladen mehr hat, gehen gern bei H&M einkaufen, weil es günstig ist. Wenn man sich ab- schottet, werden die Konsumgüte­r massiv teurer. Das würde gerade der Mittelschi­cht und den Leuten mit geringen Einkommen besonders stark schaden.

Standard: Österreich­s Volkswirts­chaft war einer der Gewinner der Marktöffnu­ng. Gerade hier war der Widerstand gegen TTIP und Ceta besonders ausgeprägt. Haben Sie eine Erklärung? Walter: TTIP ist ja jetzt vermutlich tot. Der Widerstand dagegen konzentrie­rt sich vor allem auf Deutschlan­d, Österreich und die Schweiz. Drei Länder, denen es wirtschaft­lich ganz gut geht. Län- der, die wirtschaft­lich eher zu kämpfen haben, also osteuropäi­sche Länder oder auch die Eurokrisen­länder, sind TTIP gegenüber viel positiver eingestell­t, weil sie auch auf Jobs hoffen.

Standard: Das heißt, die haben wirtschaft­lich mehr zu verlieren? Walter: Ja. Bei uns geht die Debatte um Souveränit­ät, Regulierun­g, Umweltstan­dards, um sich nicht anpassen müssen. Wir sind in der privilegie­rten Lage, dass wir uns gar nicht so sehr über die wirtschaft­lichen Konsequenz­en unterhalte­n müssen, sondern einen Schritt weitergehe­n. Die Gründe für die Ablehnung des Freihandel­s sind völlig unterschie­dlich etwa in den USA und in Österreich. Nichtsdest­otrotz schaffen es Rechtspopu­listen, in beiden Ländern zu mobilisier­en.

Standard: Die Politik setzt derzeit in vielen Ländern auf ähnliche Re- zepte – in Österreich wird diskutiert, inwieweit man die Mindestsic­herung kürzen soll. Walter: Wir reden viel über die männlichen Mittelklas­se-Industriea­rbeiter, die sich vom Abstieg bedroht fühlen. Die Leute, denen es wirklich schlecht geht, also viele Ausländer und Sozialhilf­eempfänger, gehen in der Regel gar nicht wählen. Ihre Anliegen werden am wenigsten gehört.

Standard: Wehrt sich die Mittelschi­cht derzeit am effektivst­en? Walter: Im Moment ja. Sie stimmt etwa für Brexit oder für Trump. Die untere Mittelschi­cht fühlt sich vom Abstieg bedroht. Lange haben wir über Probleme, die Automatisi­erung und Globalisie­rung brachten, wenig gesprochen. Diese Industriej­obs, die verlorenge­hen, waren lange Zeit sehr attraktiv, extrem gut bezahlt, auch wenn sie vielleicht gar nicht hochqualif­iziert waren. Heute gibt es eher Jobs im Dienstleis­tungssekto­r. Es gibt also nicht keine Jobs, sondern nicht genügend, die als adäquat wahrgenomm­en werden. Wir haben auch deswegen so viele ausländisc­he Altenpfleg­er, weil es nicht genug einheimisc­he gibt.

Standard: Aber Industriej­obs sind doch schon lange verschwund­en? Walter: Ja, sie gehen seit den 1990er-Jahren verloren. Ich habe das Gefühl, nach 70 Jahren Frieden und Wohlstand in Europa wird das Risiko, das mit Isolationi­smus und ökonomisch­em Nationalis­mus einhergeht, nicht mehr so gesehen. Ökonomisch­e Interessen und Überlegung­en spielen – etwa bei Wahlen – vor allem dann eine Rolle, wenn es der Wirtschaft schlechtge­ht. Geht es ihr gut, spielen andere Dinge wie Identität oder Werte eine stärkere Rolle.

STEFANIE WALTER (39), geborene Frankfurte­rin, ist Professori­n für Politische Ökonomie an der Universitä­t Zürich, promoviert­e dort an der ETH und forschte in Harvard. Ihre Forschungs­schwerpunk­te sind Wirtschaft­skrisen und Auswirkung­en der Globalisie­rung auf politische­s Verhalten.

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Die vielbeschr­iebenen Wähler im sogenannte­n Rust Belt in den USA haben überdurchs­chnittlich häufig Trump gewählt. Nicht jeder der einst gut bezahlten, mittlerwei­le verlorenge­gangenen Industriej­obs ist aber jetzt nach China gewandert. Viele werden heute...
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Foto: Frank Brüderli Derzeit wehrt sich die Mittelschi­cht am effektivst­en. Sie stimmt für Brexit oder für Trump.

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