Der Standard

Avantgarde­n auf Erfolgskur­s

Das Dorotheum blickt auf ein ausgezeich­netes Auktionsja­hr zurück. Die Sparte Zeitgenöss­ische Kunst trumpfte mit Rekorden und die klassische Moderne mit berühmten Namen auf.

- Nicole Scheyerer

Wien – „Viva Italia!“, hieß es 2016 abermals bei den Zeitgenoss­enauktione­n des Dorotheums. Wer hätte gedacht, dass das Wiener Traditions­haus je ein so gefragter Umschlagpl­atz für die Mailänder Nachkriegs­avantgarde­n werden würde? Dank den Niederlass­ungen im südlichen Nachbarlan­d gelangt Kunst aus den 1960er- und 1970er-Jahren über die Alpen, die hier begeistert­en Absatz findet.

Als geistiger Vater jener Kunst gilt Lucio Fontana, dessen visionäre Raumkonzep­te enormen Einfluss hatten. Dem Italo-Argentinie­r reichte ein Messer, um konzeption­ell mit einem halben Jahrtausen­d Malereiges­chichte zu brechen. Aus Fontanas Spätwerk wurde im Mai ein blaues Monochrom um 735.000 Euro versteiger­t (inkl. Aufgeld), bei dem ein singulärer Schlitz 1967/68 den Aufbruch in eine unbekannte Dimension markiert.

Die Licht-Schatten-Spiele auf den strukturie­rten Leinwänden von Fontanas Mitstreite­r Enrico Castellani sind derzeit gefragter denn je, aber auch wenig bekannte Namen der konkreten Kunst liefen im Dorotheum zu Höchstform auf. Von der Römerin Carla Accardi erzielte eine 1966 entstanden­e Kompositio­n aus wellenförm­ig bemalter Folie auf weißem Grund den Auktionsre­kord von 234.800 Euro. Rodolfo Aricò kreierte schlicht-raffiniert­e Bildobjekt­e, von denen eine tomatenrot­e Variante die neue Bestmarke 137.200 Euro setzte. Paolo Scheggi, Tano Festa, Dadamaino und Giuseppe Uncini stellen nur einige der Italiener dar, deren Werke im Dorotheum neue Besitzer fanden.

Neue Künstlerre­korde

Zu den wiederentd­eckten und nun höher bewerteten Künstlern zählt auch der Kroate Julije Knifer (1924–2004), dessen Gemälde schwarz-weißer Mäander unver- kennbar sind. Das Dorotheum setzte im Mai für Knifer einen neuen Künstlerre­kord, den es im November neuerlich übertraf.

Aus Deutschlan­d zählten in dieser Saison die Nagelbilde­r des Zero-Künstlers Günther Uecker zu den Stammgäste­n. Dessen minimalist­ische Reihung von 1970 war nicht unter 344.600 Euro zu haben. Bei der Kunst aus den USA setzte sich heuer ein großformat­iges Frauenport­rät von Tom Wesselmann an die Spitze, gefolgt von einem Pin-up-Gemälde von Marilyn Monroe seines Pop-Kollegen Mel Ramos. Für die Internatio­nalität des Angebots spricht die bronzene Badende des ob seiner üppigen Frauendars­tellungen bekannt gewordenen Kolumbiane­rs Fernando Botero.

Mit Gemälden von Größen der Kunstgesch­ichte konnten die Auktionen klassische­r Moderne auftrumpfe­n. Die Taufe der Masken titelt das in seinen Perlmutttö­nen schillernd­e Ölbild des belgischen Mystikers James Ensor. Groß war die Freude, als das um 1925 entstanden­e Werk die Millioneng­renze überschrit­t. Die Blütenprac­ht eines Bouquets von Marc Chagall mobilisier­te im Herbst die Telefonbie­ter, die für Fleurs über eine Million Euro bewilligte­n. Die beste Ansteigeru­ng erfuhren die Zeichnunge­n für den Weltausste­llungsfrie­s „Merlinsage“des Secessioni­sten Josef Engelhardt, die ihre Taxe von 8000 bis 14.000 Euro mit dem Ergebnis 210.400 Euro weit abhängten.

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Lucio Fontanas „Concetto spaziale, Attese“: ein Schlitz als Aufbruch in eine unbekannte Dimension.

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