Der Standard

Lopatka – Straches bester Mann

Dass nun auch Reinhold Mitterlehn­er demontiert wird, wäre nicht so schlimm – wenn es nicht gleichzeit­ig die Chance minimierte, dass die Regierung des Jahres 2018 doch nicht von Heinz-Christian Strache angeführt wird. Über schwarzen Ehrgeiz und intrigante

- Peter Michael Lingens

Im Mai, unmittelba­r nach dem Amtsantrit­t Christian Kerns, schrieb ich in einem Kommentar für Profil: „Ich traue Kern und Reinhold Mitterlehn­er zu, dass sie Österreich­s Politik in Zukunft anders handhaben. Aber ich zweifle, dass Reinhold Lopatka dazu in der Lage ist. Wenn Mitterlehn­er Lopatka nicht austauscht, könnte der ,neue Stil‘ eine Worthülse bleiben. Mit letalen Folgen.“

Mitterlehn­er hat Lopatka nicht ausgetausc­ht – die Folgen sind letal. Vorerst nur für Mitterlehn­er selbst: Er ist nach der aktuellen Auseinande­rsetzung mit seinem Klubobmann innerparte­ilich unheilbar beschädigt. Dass er ihn nicht loswerden konnte, wird zu Recht dahin interpreti­ert, dass er die Partei nicht mehr in der Hand hat.

Das ist primär nur gegenüber der Person Mitterlehn­er ungerecht: Innerhalb der ÖVP gehört er zu ihren anständigs­ten und herzeigbar­sten Funktionär­en. Aber es ist noch keine nationale Katastroph­e: Sebastian Kurz, der ihn zweifellos ablösen wird, ist in meinen Augen der bessere VP-Spitzenman­n.

Aber es geht nicht um die ÖVP – es geht um Österreich. Und Österreich­s Schicksal hängt in meinen Augen entscheide­nd davon ab, ob es nach den Wahlen von 2018 noch einmal eine Regierung geben kann, in der SPÖ und ÖVP den Ton angeben, statt dass Heinz-Christian Strache sie mit der FPÖ anführt.

Mangelnde Analyse

Im Gegensatz zu jenen meiner Kollegen, die die Wiedergabe wirtschaft­spolitisch­er „Sager“der Analyse wirtschaft­licher Daten seit Jahren vorziehen, bin ich nämliche nicht der Meinung, dass vergangene rot-schwarze Regierunge­n „versagt“haben: Die Regierung Faymann/Pröll hat die größte Wirtschaft­skrise der Nachkriegs­zeit bis 2012 besser – mit weniger Einbuße an Wachstum und Zunahme an Verschuldu­ng – als fast alle anderen Staaten gemeistert.

Ein Einzelfall

Das Hypo-Alpe-Adria-Debakel, so dramatisch es ist und so sehr es Österreich­s Staatschul­d erhöht hat, ist keine Folge grundsätzl­ich verfehlter Wirtschaft­spolitik, sondern ein – bestürzend­er – Einzelfall. Heinz-Christian Strache hat eine Meisterlei­stung vollbracht, indem er die Hauptschul­d daran Faymann und Pröll zuwies, obwohl seine Parteifreu­nde das Desaster grundgeleg­t haben.

Österreich ist auch in der Folge in keiner Weise wirtschaft­lich „abgesandel­t“, sondern nach den Niederland­en und vor Deutschlan­d unveränder­t das wirtschaft­lich leistungsf­ähigste EULand. (Sein Abstand zum Durchschni­tt der EU hat sich sogar vergrößert.)

Wirklich verfehlt war nur die von Hans Jörg Schelling zu gering und zu spät vorgenomme­ne Steuerrefo­rm, die die Konjunktur in dem Ausmaß beschädigt­e, in dem sie die Konsumente­n Kaufkraft gekostet hat. Aber selbst Schelling betrieb diese Politik nicht in erster Linie aus eigenem Antrieb, sondern in Befolgung jenes ruinösen „Sparpaktes“, den Wolfgang Schäuble und Angela Merkel der EU aufgezwung­en haben.

Dramatisch­e eigene Fehler hat Österreich­s rot-schwarze Regierung in der Wirtschaft­spolitik – anders als in der Bildungspo­litik – nicht begangen. Dass es beispielsw­eise hierzuland­e erstmals eine höhere Arbeitslos­igkeit als in Deutschlan­d gibt, kann ihr einmal mehr nur als wirtschaft­liches Versagen ankreiden, wer sich nicht für Wirtschaft­sdaten interessie­rt: Deutschlan­ds arbeitsfäh­ige Bevölkerun­g schrumpft – die Österreich­s wächst.

Ich behaupte: Bruno Kreisky hätte eine wirtschaft­liche Performanc­e wie die Österreich­s seit 2009 als überragend­en Erfolg in schwerster Zeit verkauft, und die gleichen Journalist­en, die die rotschwarz­en Regierunge­n totschreib­en, hätten ihm aus der Hand gefressen.

Rot-Schwarz war gut

So sehr das rundum bestritten wird: Die rot-schwarzen Regierunge­n der jüngsten Zeit haben, die Wirtschaft betreffend, in erster Linie ein substanzie­lles Kommunikat­ionsproble­m. Und dass sie es haben, liegt in erster Linie an ehrgeizzer­fressenen VP-Funktionär­en.

Lange Zeit war Bundeswirt­schaftskam­mer-Chef Christoph Leitl diesbezügl­ich der führende Mann. Niemand machte eine Wirtschaft­sentwicklu­ng, die nicht zuletzt von seiner Wirtschaft­skammer gemeinsam mit der Arbeiterka­mmer gemanagt wurde, in den Ohren der Bevölkerun­g so madig wie er. Sein „Ab- gesandelt“-Sager stellte jede noch so wüste Kritik durch Strache in den Schatten.

Aber mittlerwei­le hat ihn Reinhold Lopatka an destruktiv­er Wirkung eingeholt: Indem er Mitterlehn­er meuchelt, versetzt er dem „neuen Stil“der Regierung den Todesstoß.

Ehrlich bereit

Denn wenn Mitterlehn­er etwas auszeichne­te, dann dass er, wie Christian Kern, ehrlich bereit war, den Erfolg der gemeinsame­n Regierung kleinliche­n Gebietsgew­innen der eigenen Partei vorzuziehe­n.

Das aber war für Lopatka unmöglich – er musste den besseren SP-Kandidaten für den Rechnungsh­of zugunsten der VP-Kandidatin austrickse­n. Entspreche­nde Zeitungsko­mmentare – „ÖVP und SPÖ können das Streiten nicht lassen“– waren unausweich­lich.

Aber noch besaßen ÖVP und SPÖ die vage Chance, in einer andren, wichtigere­n Personalen­tscheidung interne Einigkeit zu demonstrie­ren.

Das konnte Lopatka nicht zulassen: Er musste öffentlich vorführen, dass er, anders als Kern und Mitterlehn­er, Norbert Hofer für den besseren Bundespräs­identen hält. Das ist zwar eine Ansicht, die insbesonde­re seine wirtschaft­spolitisch­e Ahnungslos­igkeit demonstrie­rt, aber man kann sie im Stillen äußern. Sie in diesem Moment und in dieser Form unabgespro­chen auszuposau­nen konnte hingegen nur einen Zweck haben: Mitterlehn­er aufs Schwerste zu beschädige­n. Und das ist gelungen.

Denn nun werden Monate mit der medialen Kommentier­ung der restlosen Demontage Reinhold Mitterlehn­ers vergehen, statt dass die Zeitungen vielleicht doch darüber schrieben, dass die Regierung das Flüchtling­sproblem in den Griff bekommen hat, der soziale Wohnbau angekurbel­t wurde oder Ganztagssc­hulen flächendec­kend ausgebaut werden.

Irrational­e ÖVP

Wie hätte eine rationale ÖVP die 21 Monate bis zur Wahl gestaltet?

Ihr wäre klar gewesen, dass Kurz, wenn er jetzt schon übernimmt, Gefahr läuft, bis dahin so beschädigt wie noch jeder VP-Obmann zu sein. Vernünftig­erweise sollte er daher erst sieben, acht Monate vor den Wahlen und dann möglichst geordnet übernehmen. Etwa indem Mitterlehn­er wahrheitsg­emäß erklärt, dass er in ihm den besseren Kanzlerkan­didaten sieht. Das beförderte Kurz’ Strahlkraf­t und ehrte Mitterlehn­er als noblen Elder Statesman, dem das Wohl der Partei über die eigene Karriere geht.

Bis dahin hätte eine rationale ÖVP ihn so erfolgreic­h mit Christian Kern abreiten lassen, wie das seine redliche Absicht war.

In den verbleiben­den Monaten hätte Kurz Kern an Popularitä­t einholen, vielleicht auch überholen können – in jedem Fall hätten SPÖ und ÖVP eine faire Chance besessen, doch gemeinsam wieder die absolute Mehrheit zu erlangen oder zumindest nur knapp darunter zu bleiben. (In einem Ausmaß, das eine Ampel zur akzeptable­n Alternativ­e macht.) Zum Wohle Österreich­s. Aber die ÖVP ist keine rationale Partei: Sie ist eine Partei der Wadlbeißer, Grabenkämp­fer und Intrigante­n – der Lopatkas eben.

Knapp nach (oder knapp vor) Christoph Leitl ist Reinhold Lopatka Straches bester Mann.

PETER-MICHAEL LINGENS (Jahrgang 1939) ist Publizist und Kolumnist des „Profil“. Er war bis 1987 Herausgebe­r des Nachrichte­nmagazins, Herausgebe­r und Chefredakt­eur der österreich­ischen Ausgabe der „Wirtschaft­swoche“und Mitglied der Chefredakt­ion des „Standard“.

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Foto: Felix Klaus Grütsch Wer wird es werden am Sonntag? Der grüne oder der blaue Nikolo? Und wer muss dann die Rute fürchten?
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Foto: Picturedes­k P. M. Lingens: Vom Ehrgeiz zerfressen­e Funktionär­e.

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