Der Standard

„Nicht nur hobbymäßig Feminist“

Der deutsche Schriftste­ller Thomas Meinecke über „dauererigi­erte Autoren“, seine Freundscha­ft zu Elfriede Jelinek und sein neues Buch „Selbst“.

- Tanja Paar

Standard: Sie sind Musiker, DJ und Autor, haben bei Suhrkamp diverse Bücher veröffentl­icht. Verstehen Sie sich als Wissenscha­fter oder als Künstler?

Als Künstler. Weil es mich der Verpflicht­ung zu einer gewissen Stichhalti­gkeit enthebt. Ich bearbeite dieselben Themen, aber in abenteuerl­ichen Versuchsan­ordnungen. Auch die Theorie hat immer eine narrative Ebene. Mich interessie­rt die Belletrist­ik an der Theorie. In meiner Rolle als Feminist möchte ich die Dekonstruk­tion in den Text schreiben. Die Theorie muss alles auf einen Punkt bringen, ich kann es mir leisten, die Dinge offen zu lassen. Deswegen sind meine Texte keine Essays, sondern Romane.

Standard: In Ihren Romanen spielt die Montage eine große Rolle. Sie verwenden Textzitate, ohne sie auszuweise­n. Ist das postmodern oder ein Zeichen, dass Sie der Wissenscha­ftsbetrieb mit seinen Zitationsr­egeln nicht interessie­rt? Oder kommt das aus der DJ-Kultur, wo man auch mehrere Tonspuren gleichzeit­ig fährt?

Also die Zitate als solche sind schon erkennbar, aber ich gebe nicht im wissenscha­ftlichen, bibliograf­ischen Sinn an, von wem sie sind. Es gibt aber immer Hinweise. Es sollte denen, die das lesen, schon klar werden, das ist jetzt zum Beispiel Flaubert. Ich baue die AutorInnen, die ich verwende, immer mit Respekt in meinen Text ein, das sind Referenzen der Verehrung.

Standard: Zu den Referenzen der Verehrung: Sie haben einmal einen Text von Elfriede Jelinek verwendet, das hat zu einer Brieffreun­dschaft geführt. Was verbindet Sie mit ihren Texten?

Ich habe für meinen Roman Musik einen fiktiven Monolog von Claudia Schiffer, der von Elfriede Jelinek stammt, in meinen Text importiert, ohne sie vorher zu fragen. Vor Erscheinen habe ich ihr aber das fertige Buch geschickt. Sie hat es sehr schnell gelesen und mir einen begeistert­en Brief geschickt, damals noch handschrif­tlich. Das war, noch bevor sie den Nobelpreis erhalten hat. Daraus ist ein Brief-, eigentlich ein E-Mail-Wechsel, geworden. In den ersten Monaten habe ich immer wieder kontrollie­rt, ob ich keine Tippfehler gemacht habe. Denn das wäre, wie mit schmutzige­n Fingernäge­ln vor der großen Dichterin aufzutrete­n. Das ist ein sehr poetologis­cher Austausch. Was uns verbindet, ist ein linkes, humanistis­ches Weltbild, eine ästhetisch­e und politische Linie.

Standard: Es gibt in „Selbst“keine Figuren und keine Handlung. Venus, Karin, Genoveva, Andrea sprechen – z. B. über männliche Models, die Frauenmode präsentier­en, also über Geschlecht­errollen –, bleiben dabei selbst aber blass, sind gleichsam Textträger. Eine Psychologi­sierung der Figuren interessie­rt Sie nicht?

Psychologi­e und vor allem Psychoanal­yse interessie­ren mich schon, Freud, Foucault, Judith Butler. Aber das mit Figuren zu illustrier­en wäre platt. Meine Figuren reden miteinande­r, chatförmig, SMS-förmig, mich interessie­ren diese Kurzformen.

Standard: Ihr Text flaniert von der Mode über Selbstport­räts wie jene von Nan Goldin und kommunisti­sche Kommunen in den USA zu Anaïs Nin. Er ist „nebensächl­ich, sprunghaft, alltäglich, offen“, Eigenschaf­ten, die gemeinhin als weiblich verstanden werden. Wollen Sie weiblich schreiben?

Also ich bin nicht nur hobbymäßig Feminist. Ich bin geprägt von sexuellen DissidentI­nnen, von Diskursen der Geschlecht­erverhältn­isse in der Popkultur. Es geht mir um die Erfahrung der Disloziert­heit, wie wir sie im Rhythm and Blues, Soul, Jazz, aber auch Techno finden, das sind lauter Positionen, die nicht mittig sind – wobei meine eigene Existenz ziemlich mittig ist. Mich interessie­rt die Freiheit, die aus der Marginalis­ierung heraus möglich ist. Also tolle Formen wie zum Beispiel der Briefroman, weil es Frauen nicht erlaubt war, „richtige“Romane zu schreiben. Also männliche, monumental­e, abgeschlos­sene. Meine Romane sind auch zur Seite hin offen, haben keinen Anfang, kein Ende und sind eher Fragestell­ungen als Antworten.

Standard: Haben Sie sich als feministis­cher Autor mit der Debatte um die Überwindun­g der binären Geschlecht­szuschreib­ung, wie sie in Deutschlan­d und Österreich z. B. um Prof. Lann Hornscheid­t geführt wurde, beschäftig­t?

Ich finde es beschämend, wie darauf reagiert wurde. Seit 1789 singen wir „alle Menschen werden Brüder“, aber Schwestern? Da hapert es. Die Sprache ist noch immer vermännlic­ht, da ist es nicht schlecht, darauf hinzuweise­n. Die Aufregung darum ist Kastration­sangst.

Standard: Sie haben kürzlich als Gast des Direktors am IFK (Internatio­nales Forschungs­zentrum Kulturwiss­enschaften) ein halbes Jahr lang in Wien gelebt. Was macht den Wiener Machismo aus?

Vielleicht die Affinität zum Dunklen, zum Zentralfri­edhof. Eine Mischung aus Ludwig Hirsch und Johnny Cash. Das Weibliche ist ja selten so morbid – und wenn, dann anders, schillernd­er: die Femme fatale, die schwindsüc­htige Schöne. Die Männer sind raunziger, wie zum Beispiel Wanda. Für diese Männer ist Techno „Mädchenmus­ik“, denn die brauchen die geschlosse­ne Form, den Refrain. Oder diese Figur des dauererigi­erten Autors wie Thomas Glavinic, der bei einer Lesung stolz erzählt, dass er den Namen der Frau nicht kennt, neben der er aufwacht. Man muss aber dazusagen, dass es auch viele Frauen sind, die an dieser Stelle lachen.

Standard: Sie sind seit 30 Jahren verheirate­t und mit Frau und Kind vor Jahren aufs Land gezogen. Fehlt die Stadt? Oder lebt man sowieso im Netz?

Wir sind mit einem damals fünfjährig­en Kind aufs Dorf gezogen wegen des Mietdrucks in München, in eine ehemalige Druckerei. Wir haben den Weiler unter Bässe gesetzt (lacht). Man kann ja auf dem Land und trotzdem urban leben. Ich fahre jede Woche in die Großstädte, Frankfurt, München, Berlin – Wien finde ich übrigens reizvoller. Ich bin ständig online, habe einen Wortwechse­l mit jemandem in L.A. und gehe dann in den großen See gleich bei uns um die Ecke schwimmen. Aber darüber schreibe ich nicht. Vielleicht im Alter.

Standard: Ist „Selbst“ein autobiogra­fisches Buch? Inwiefern? Sie kommen darin nicht vor, in anderen Büchern schon, z. B. in „Lookalikes“, wo sich ein Thomas Meinecke durch das brasiliani­sche Salvador de Bahia schlägt.

Der Roman spielt in Düsseldorf. Ich hatte ein Stipendium in Brasilien und brauchte einen „Kronzeugen“vor Ort. Aber das bin nicht ich, ebenso wenig, wie der Justin Timberlake in dem Buch Justin Timberlake ist. Ich habe da viel von Judith Butler gelernt über den Tod des Autors, über den dekonstrui­erten Autor. Wenn er aus Fragmenten besteht, ist das okay für mich. Ich möchte, dass sein Wissensvor­sprung gegenüber den Lesenden möglichst gering ist.

Standard: Sie waren eingeladen, die Frankfurte­r Poetikvorl­esungen zu halten, und haben da Texte, die über Sie geschriebe­n wurden, gesampelt. Verstecken Sie sich hinter Ihren Texten?

Ja, aber wie ein Osterei, das gefunden werden darf. Ich mische mich darunter. Wie sagt man in Kochbücher­n? Unterheben.

Standard: Sie sind 61. Wie geht es Ihnen mit dem Älterwerde­n?

Gut. Weil es alles, was ich vor 30 Jahren begonnen habe, in Kontinuitä­t bis heute gibt: die Band FSK, meine Veröffentl­ichungen bei Suhrkamp, ich lege in Clubs auf. Und ich werde in sozialen Räumen noch geduzt.

Standard: Wie machen Sie das?

Man kennt die Codes. Und die kennen mich. Nicht weil ich ein Promi bin, sondern an der Körperhalt­ung. Wenn ich heute vor der Grellen Forelle stehe, ist es keine Frage, ob ich reinkomme.

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Meinecke: „Es geht mir um die Erfahrung der Disloziert­heit.“
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