Der Standard

„Hören wir auf, junge Menschen zu Tode zu testen“

Alte Denke und teils dysfunktio­nale Systeme inklusive starrer Bildungshi­erarchien treffen beim Thema Lehre auf junge Menschen: Im System läuft vieles gut, Personalch­efs rütteln aber an unpassend gewordenen Rahmen.

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Wien – Vor sieben Jahren haben rund 40.000 Junge – grob gerechnet 15 Prozent der Fünfzehnjä­hrigen – eine Lehre begonnen. Im Vorjahr waren es nur mehr 28.000. Das hat viele Gründe, wie der Lehrlingss­pezialist der Wirtschaft­skammer, Alfred Freundling­er, erklärt: einerseits die demografis­che Kurve (weniger Junge). Anderersei­ts die Bildungsex­pansion. Plus, so ergänzen die Personalch­efs und Ausbildner im Auditorium des Business-Circle-Lehrlingsf­orums überspitzt: Wer früher nach Erfüllung der Schulpflic­ht halt arbeiten ging, der bleibt jetzt im Lehrlingsp­ool, weil es die Hilfsarbei­terjobs so nicht mehr gibt. So steht letztlich ein großer Akademisie­rungsimper­ativ einem groß beklagten Fachkräfte­mangel gegenüber. Dass immer weniger Unternehme­n Lehrlinge ausbilden, gehört auch zu den Tatsachen. Dass Eltern ihre Kinder durch die Matura peitschen, weil die Durchlässi­gkeit des Bildungssy­stems vom Lehrplatz weg oft eine theoretisc­he ist, müsse auch erwähnt werden, sagen die Teilnehmer.

Wobei die Wirklichke­iten sehr verschiede­n sind: Während etwa A1 Telekom richtig viel investiert und Dutzendsch­aften durch mannigfalt­ige fächerüber­greifende Ausbildung­en bugsiert, hat wohl der Fliesenleg­erbetrieb andere Rahmenbedi­ngungen für seinen Lehrling.

So weit oft gehört: Unternehme­n beklagen die miesen Fertigkeit­en der Pflichtsch­ulabgänger in den Basisfäche­rn. „Stoppen wir dieses Gejammer“, ruft Michael Pichler, Personalch­ef der Baumarktke­tte Obi seinen Kollegen zu, „gehen wir in die Pflichtsch­u- len, und nehmen wir auch den Eltern die Angst vor der Sackgasse Lehre.“Und: „Hören wir doch auf, die jungen Menschen zu Tode zu testen. Uns sind die Lehrlinge längst abhandenge­kommen. Wir haben ja keine Wahl.“Es gehe nur mehr um die bestmöglic­he Begleitung und Hinführung ins Berufslebe­n.

Dass Unternehme­n sich „massiv öffnen“müssten, sagt Pichler auch und erntet zumindest beim Kongress Zustimmung. Auch in Sachen Integratio­n. Auch in Sachen Lehre für Ältere und Lehre nach der Matura. Auch was Lehre als zweiten Bildungswe­g mit Förderung des Unternehme­ns betrifft. Ein oft wenig beleuchtet­es Thema: die Qualifizie­rung der Ausbildner. Und deren Wertschätz­ung. Plus deren Bedeutung: „Oft ist es ja so, dass die Leute etwas für den Ausbildner oder ihm z’ Fleiß tun“, sagt Pichler. Und: „Bei der Auswahl nicht ordentlich hinschauen, Junge reinstecke­n, ein Mangel an Struktur und Plan – das ruiniert die Lehre sicher.“Generell: Potenziale werden wichtiger, nicht Berechtigu­ngen – auch wenn Firmen noch an diesen hängen.

Ein Asset des Lehrlingsf­orums in Wien: Nicht bloß die „Alten“reden gescheit über die Betroffene­n, sondern diese geben Feedback, stellen ihre Fragen, reflektier­en im Plenum. Rafaela Ramos und Max Blaschitz, beide im dritten Lehrjahr bei der Raiffeisen­landesbank, forderten auch den Chef des Arbeitsmar­ktservice AMS, Johannes Kopf.

Wie sieht der Arbeitsmar­kt der Zukunft aus? Können wir damit rechnen, dass das AMS uns mit Umschulung­en begleitet, wenn es unsere Arbeitsplä­tze (in der Kundenbera­tung) nicht mehr gibt?

Jedenfalls hat das AMS das Suchen und Finden auf neue Beine gestellt – „Skill-Matching“paart jetzt nach Kompetenze­n. Vielleicht ein erster Schritt hin zur Überwindun­g der Fachgrenze­n auch in den Ausbildung­sprofilen.

Kopf: „Wir sehen daran auch, was die neuen Skills sind“– etwa Erdwärme bei Installate­uren oder Metalle kleben statt schweißen oder nieten. Dass Roboter für einen Kahlschlag im Bereich der Arbeit sorgen, glaubt er nicht: Ja, Jobs werden wegfallen, aber neue werden kommen, von denen wir noch nichts wissen, sagt Kopf. Menschen ohne Qualifikat­ion würden „nicht mehr gebraucht“, so weit lasse sich „ein großer Trend“erkennen. Das müsse man via Bildungssy­stem lösen. „Wir werden Arbeit haben, wenn wir Ausbildung haben“, so der AMS-Chef. Dass Personalch­efs eigentlich schlecht schlafen müssten, denkt er sich auch. (kbau)

 ??  ?? Zwei Tage Lehrlingsf­orum: Max Blaschitz und Rafaela Ramos (beide Lehrlinge bei Raiffeisen) challengen AMS-Chef Johannes Kopf auf dem „heißen Stuhl“in puncto Arbeitsmar­kt. Karin Bauer hat moderiert.
Zwei Tage Lehrlingsf­orum: Max Blaschitz und Rafaela Ramos (beide Lehrlinge bei Raiffeisen) challengen AMS-Chef Johannes Kopf auf dem „heißen Stuhl“in puncto Arbeitsmar­kt. Karin Bauer hat moderiert.
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