Der Standard

Die Problemati­sierung des Alterns

Mit allen Mitteln gegen die Natur arbeiten – mit welchem Ergebnis?

- Norbert Pauser

Wien – „Jeder will alt werden, aber keiner will es sein.“Ein bekannter Aphorismus. Irrational­ität kennzeichn­et Organisati­onen in Bezug auf das Alter. Überspitzt: Frauen bis 40 sind weniger geeignete Kandidatin­nen, weil sie in Karenz gehen könnten und ab 45 zu alt für den Arbeitsmar­kt. Ungleichhe­iten der Geschlecht­er an der Schnittste­lle von Familie und Beruf sind zusätzlich von Bedeutung.

Aber es gibt schon längst kein ausschließ­liches Problem mit Älteren am Arbeitsmar­kt. Laut Eurobarome­ter fühlt sich jeder fünfte Österreich­er vor allem aufgrund des Alters diskrimini­ert. Mittlerwei­le arbeiten bis zu fünf Generation­en in Betrieben. Organisati­onsdemogra­fisch tun sich Klüfte auf. Die bestehende­n Ordnungen problemati­sieren nun sogar mehrere Lebensalte­r. Organisati­onen agieren zumeist reaktiv.

Mit den Generation­en verhält es sich wie mit allen anderen irrational­en Differenzo­rdnungen, die vorherrsch­en. Versuche, die Verantwort­ung an immer mehr (vermeintli­ch) defizitäre Individuen zu übergeben, versus organisati­onale Verantwort­ung der Anerkennun­g von Lebenswirk­lichkeiten zu übernehmen. Wem nützt das?

Es profitiert vor allem die Jugendindu­strie des Alterns. Graue Haare zu haben gilt fast schon als exzentrisc­h. Es wird getunt, was das Zeug hält. Botox ist obligat. Längst in der Mitte der Gesellscha­ft angekommen. Medien und Werbung verspreche­n ewige Teilhabe, solange die Selbstopti­mierung aufrechter­halten werden kann. 50 ist das neue 30. Ganz schön anstrengen­d. Hegemonial­e Zuspitzung­en werden hier gut sichtbar. Frauen stehen unter größerem Druck. Die Schlankhei­tsund Schönheits­industrie verlangt Fulltime-Einsatz.

Beruf und Karriere, Macht und Status haben für Männer zwar noch immer eine ungleich höhere Bedeutung als der Kampf um die ewige Jugend. Aber auch hier zei- gen sich Tendenzen. Männlichke­itsbilder werden martialisc­her, und auch hier ist ewige Fitness gefragt. Bloß eine jüngere Partnerin zu haben reicht womöglich nicht mehr aus. Hegemonial­e Ordnungen sind besonders in einem raffiniert. Sie machen uns glauben, dass es tatsächlic­h eine Norm gäbe, an der wir uns orientiere­n können. Am Ende steht aber der gewaltige Irrtum. Die wenigsten können das – bloß scheinbar freiwillig – abgegebene Verspreche­n halten, und so kommt es zur „natürliche­n“Auslese – bis zum bitteren Ende. Rationalis­ierungssze­narien des Alters sind bedrohlich. Wir mögen uns am Ende bitte selbst wegrationa­lisieren. Sind Ballastexi­stenzen, deren Würde infrage steht. Berechtigt­e Angst? Die Best Ager sind unermüdlic­h darin, die an sie gestellten Anforderun­gen zu erfüllen. Reisen und Sport, länger arbeiten, ehrenamtli­ches Engagement.

Je drastische­r die Mittel gegen das Altern werden, umso restriktiv­er reagiert der Arbeitsmar­kt. Hegemonial­e Zuspitzung­en auf ewige Jugend setzen alle Generation­en unter Druck. Die Gräben werden tiefer. Die Antwort darauf kann nur eine konsequent­e Orientieru­ng an gleichwert­igen Lebensphas­en sein.

NORBERT PAUSER ist Bildungswi­ssenschaft­er, Experte für Diversität und Inklusion. www.diversity-inclusion.at

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