Die Problematisierung des Alterns
Mit allen Mitteln gegen die Natur arbeiten – mit welchem Ergebnis?
Wien – „Jeder will alt werden, aber keiner will es sein.“Ein bekannter Aphorismus. Irrationalität kennzeichnet Organisationen in Bezug auf das Alter. Überspitzt: Frauen bis 40 sind weniger geeignete Kandidatinnen, weil sie in Karenz gehen könnten und ab 45 zu alt für den Arbeitsmarkt. Ungleichheiten der Geschlechter an der Schnittstelle von Familie und Beruf sind zusätzlich von Bedeutung.
Aber es gibt schon längst kein ausschließliches Problem mit Älteren am Arbeitsmarkt. Laut Eurobarometer fühlt sich jeder fünfte Österreicher vor allem aufgrund des Alters diskriminiert. Mittlerweile arbeiten bis zu fünf Generationen in Betrieben. Organisationsdemografisch tun sich Klüfte auf. Die bestehenden Ordnungen problematisieren nun sogar mehrere Lebensalter. Organisationen agieren zumeist reaktiv.
Mit den Generationen verhält es sich wie mit allen anderen irrationalen Differenzordnungen, die vorherrschen. Versuche, die Verantwortung an immer mehr (vermeintlich) defizitäre Individuen zu übergeben, versus organisationale Verantwortung der Anerkennung von Lebenswirklichkeiten zu übernehmen. Wem nützt das?
Es profitiert vor allem die Jugendindustrie des Alterns. Graue Haare zu haben gilt fast schon als exzentrisch. Es wird getunt, was das Zeug hält. Botox ist obligat. Längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Medien und Werbung versprechen ewige Teilhabe, solange die Selbstoptimierung aufrechterhalten werden kann. 50 ist das neue 30. Ganz schön anstrengend. Hegemoniale Zuspitzungen werden hier gut sichtbar. Frauen stehen unter größerem Druck. Die Schlankheitsund Schönheitsindustrie verlangt Fulltime-Einsatz.
Beruf und Karriere, Macht und Status haben für Männer zwar noch immer eine ungleich höhere Bedeutung als der Kampf um die ewige Jugend. Aber auch hier zei- gen sich Tendenzen. Männlichkeitsbilder werden martialischer, und auch hier ist ewige Fitness gefragt. Bloß eine jüngere Partnerin zu haben reicht womöglich nicht mehr aus. Hegemoniale Ordnungen sind besonders in einem raffiniert. Sie machen uns glauben, dass es tatsächlich eine Norm gäbe, an der wir uns orientieren können. Am Ende steht aber der gewaltige Irrtum. Die wenigsten können das – bloß scheinbar freiwillig – abgegebene Versprechen halten, und so kommt es zur „natürlichen“Auslese – bis zum bitteren Ende. Rationalisierungsszenarien des Alters sind bedrohlich. Wir mögen uns am Ende bitte selbst wegrationalisieren. Sind Ballastexistenzen, deren Würde infrage steht. Berechtigte Angst? Die Best Ager sind unermüdlich darin, die an sie gestellten Anforderungen zu erfüllen. Reisen und Sport, länger arbeiten, ehrenamtliches Engagement.
Je drastischer die Mittel gegen das Altern werden, umso restriktiver reagiert der Arbeitsmarkt. Hegemoniale Zuspitzungen auf ewige Jugend setzen alle Generationen unter Druck. Die Gräben werden tiefer. Die Antwort darauf kann nur eine konsequente Orientierung an gleichwertigen Lebensphasen sein.
NORBERT PAUSER ist Bildungswissenschafter, Experte für Diversität und Inklusion. www.diversity-inclusion.at