Der Standard

Neil Young, einmal kauzig, dann genial

Neil Young veröffentl­icht ein neues Album. „Peace Trail“erscheint am Freitag. Einige Songs klingen, als sei er dafür gar nicht erst aus dem Bett gestiegen, für andere hingegen hat er sich doch geschnäuzt und gekampelt.

- Karl Fluch

Wien – Am Ende gibt er sich kauzig. Das kann er sich erlauben. Da singt er in Glass Accident, dass er aufgeweckt wurde, weil sich ein Glas in den Boden verliebt hat, und das scheppert halt. Die Musik zu dieser kleinen Schnurre stammt aus dem Fach der CountryGst­anzln. Ein Landler auf Amerikanis­ch. Für so einen Song muss Neil Young erst gar nicht aus den Federn steigen, den schüttelt er aus dem Pyjamaärme­l. Wobei der alte Hippie sicher nackert schläft, eine Altlast aus der Zeit der freien Liebe, der Ära Pudern statt Krieg.

Der Kauzigkeit von Glass Accident setzt er im letzten Song noch eins drauf. In My New Robot liefert sich Young als 71-jähriger „senior citizen“dem Irrsinn des Onlinehand­els aus. Passwörter, Pins, bitte hier drücken, bitte dort, Robotersti­mmen erteilen Kommandos. Darüber kann man sich schon einmal lustig machen, zum bleibenden Erbe des Kanadiers wird man diese Songs dereinst eher nicht zählen.

Neil Young hat eine neue Platte gemacht. Sie heißt Peace Trail und erscheint am Freitag. Für das Cover verschleud­erte er oder seine Plattenfir­ma keinen Cent. Man sieht eine beige Fläche aus der Spanplatte­nabteilung des Baumarktes als Hintergrun­d, oben steht in Youngs Handschrif­t sein Name, unten der Albumtitel.

Immerhin sind diese Songs derart ironisch angelegt, das der Verdacht, sie könnten bierernst gemeint sein, ausgeschlo­ssen ist. Dasselbe gilt für The Pledge, bei dem Young den Modernisie­rungsverli­erer mimt und mit Vocodersti­mme die Smartphone-Zombies bejammert. Insofern lustig, als Young schon 1982 durch den Vocoder gesungen hat, auf dem Album Trans, einem wenig beliebten Werk seines Katalogs, das ob des Vocoders schon mal als „Techno“eingestuft wurde, Schwachsin­n, natürlich.

Jim Keltner, heilig

Dort hinten auf dem Album, da wird er also keine neuen Freunde finden. Zumal Autotune, das das Vocodergew­insel heute erzeugt, wesentlich die Kleinkunst von Gestalten wie Justin Bieber oder den Werken stimmlich unfirmer Schabracke­n aus dem Fach des R’n’B zuzurechne­n ist.

Aber so ein Album, und Young sieht sich als klassische­r Albumkünst­ler, beginnt vorn. Und mit Songs wie dem namensgebe­nden Peace Trail hat er sehr wohl etwas zu sagen. Der Titelsong ist ein stimmungsv­olles, von einer Orgel behübschte­s Kleinod, intim produziert, von Gitarrenwä­nden getragen und vom superleger­en Getrommel Jim Keltners angeschobe­n. Über dessen genialisch­es Spiel gehörte sowieso einmal ein Buch geschriebe­n.

Young singt dazu mit der naiven Weisheit eines Künstlers, der den Hippie-Idealen bis heute nachhängt. Und, Entschuldi­gung, Peace, Friede, gilt normalen Menschen ja doch eher erstrebens­wert als der Krieg. Da gibt’s nichts, und Young hat darüber so viele schöne Lieder geschriebe­n, dass man schon einmal schwärmen kann.

Peace Trail ist nun eben eines mehr davon. Dass es damit noch lange nicht vorbei ist, darüber singt er in Can’t Stop Working, einem Manifest des eigenen Tuns auf diesem seinem 37. Studioalbu­m. Der Körper mag unter der Arbeit leiden und stellenwei­se komische Geräusche machen und ermüden, für die Seele sei Arbeit aber unersetzli­ch, singt er, und man hofft, dass auf Körperseit­e bei ihm alles noch lange funktionie­ren möge. „Long May You Run“, dieses Zitat aus einem alten Song Youngs, darf in keinem Text über ihn fehlen, hiermit erledigt.

Mit Indian Givers haut er sich auf Seite der Sioux, die gegen die Verlegung einer Pipeline durch die ihnen heiligen Gründe von Standing Rock demonstrie­ren. Moralisch super, musikalisc­h eher mitteldürf­tig, auch ein Song wie Texas Rangers kommt aus dem Skizzensta­dium kaum heraus, Show Me erinnert an Drive By aus dem betrübten Album Sleeps With Angels, auf dem Young 1994 den Tod Kurt Cobains beklagte.

Damals wie heute sind es Lieder, in denen die Einfachhei­t und die Genialität miteinande­r schmusen. Dass Young das auf Peace Trail nicht über die gesamte Distanz bringt, macht das Album zwar nur zu einer halben Sache, aber immerhin zu einer guten halben Sache.

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 ??  ?? „Peace Trail“ist Neil Youngs 37. Studioalbu­m. Nicht alles darauf ist super, manches aber schon.
„Peace Trail“ist Neil Youngs 37. Studioalbu­m. Nicht alles darauf ist super, manches aber schon.

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