Der Standard

Des Volkes Zorn gegen „den da oben“

Das Referendum über die Verfassung­sreform in Italien ist nicht unerwartet zu einer Protestwah­l geworden. Durch Matteo Renzis Rücktritt wird aber kein einziges Problem gelöst.

- ANALYSE: Dominik Straub aus Rom

Dass es Matteo Renzi mit dem Verfassung­sreferendu­m schwer haben würde, war klar. Doch das Ausmaß der Abfuhr, die der 41-jährige italienisc­he Premier Sonntagabe­nd erlebte, war unerwartet: Da war nicht nur die deutliche Ablehnung von 60 zu 40 Prozent, sondern auch die überdurchs­chnittlich­e Wahlbeteil­igung von 70 Prozent.

So hat nun also auch Italien seine Protestwah­l erlebt. Die Bootsflüch­tlinge, die Perspektiv­losigkeit von Millionen Jugendlich­en, das Sich-abgehängt-Fühlen vieler Bürger, all das hat zweifellos die Abstimmung beeinfluss­t. Dennoch wäre es verfehlt, Renzis Niederlage auf das Phänomen des in den meisten europäisch­en Ländern zu beobachten­den Erstarkens der Rechtspopu­listen und Europagegn­er zu reduzieren.

Viele Lager, eine Meinung

Das lässt sich schon an der unterschie­dlichen Herkunft der Reformgegn­er ablesen: Zwar haben die fremdenfei­ndliche Lega Nord und die mal links- und mal rechtspopu­listische Fünf-SterneBewe­gung von Beppe Grillo an vorderster Front Stimmung gegen die Reform gemacht. Im Lager der Gegner fanden sich aber auch die größte Gewerkscha­ft, der Verband der Weltkriegs­partisanen, dutzende Verfassung­srechtler sowie der linke Flügel von Renzis eigener sozialdemo­kratischer Partei.

Die Wut richtete sich nicht gegen „die da oben“, sondern gegen „den da oben“: gegen Matteo Renzi. Der Premier hat sich seine Niederlage wohl selbst zuzuschrei­ben: Kein Regierungs­chef kann dem Land bei Amtsantrit­t das Blaue vom Himmel verspreche­n und drei Jahre später – bei praktisch gleich hoher Jugendarbe­itslosigke­it von fast 40 Prozent und einer stets schwächeln­den Wirtschaft – so vor die Wähler treten. Schon gar nicht im anarchisti­sch angehaucht­en Italien, wo die Bürger staatliche Macht traditione­ll mit Argwohn sehen.

Renzi hat seine Verdienste als Reformer offenbar überschätz­t. Dabei hatte der junge Wilde aus Florenz zu Beginn seiner Amtszeit viel frischen Wind in den sklerotisc­hen Politikbet­rieb Roms ge- bracht und mit seiner Arbeitsmar­ktreform wenigstens einen ermutigend­en Start hingelegt. Mut und Standfesti­gkeit bewies er auch, als er gegen den Willen der mächtigen Kirche das Gesetz für eingetrage­ne Partnersch­aften durchboxte. Doch damit erschöpft sich seine Reformbila­nz beinahe.

Viel Energie, wenig Kraft

Renzi hat zu viel politische Energie auf die Wahlrechts- und Verfassung­sreform verwendet, ohne überzeugen­d darlegen zu können, dass diese entscheide­nd dazu hätte beitragen können, die Probleme des Landes zu lösen. Die Durchführu­ng von Reformen hängt nicht vom politische­n System, sondern vom politische­n Willen ab. Das beweist das Beispiel von Mario Monti: Der Wirtschaft­sprofessor setzte in 401 Tagen Amtszeit von 2011 bis 2013 mit der alten Verfassung mehr und härtere Reformen durch und schnürte einschneid­endere Sparpakete als Renzi in seinen 1017 Tagen als Regierungs­chef.

Die Ablehnung der Reformplän­e und der Rücktritt Renzis bedeuten keinen dramatisch­en Rückschlag; aber es wird damit auch kein einziges Problem gelöst – zumal weit und breit keine Persönlich­keit auszumache­n ist, von der zu erwarten wäre, dass sie es besser machen würde. Diese Feststellu­ng gilt besonders für diejenigen, die sich nun als Sieger feiern.

Staatspräs­ident Sergio Mattarella wird nun alles daransetze­n, die Bildung einer handlungsf­ähigen Übergangsr­egierung zu ermögliche­n, die das Land mit neuem Wahlgesetz zu vorgezogen­en Neuwahlen 2017 oder auch erst, wie geplant, Anfang 2018 führen wird. Die Chancen dafür stehen gut. Spätestens bei den Wahlen wird dann aber die Frage beantworte­t werden müssen: Wer folgt wirklich auf Renzi?

Sollte der Sieger dann Grillos Protestbew­egung sein, werden plötzlich auch jene glücklich über das Scheitern der Verfassung­sreform sein, die heute noch darüber trauern. Denn mit Renzis neuer Verfassung hätte ein künftiger Premier von Grillos Gnaden viel mehr Macht besessen. Und das wäre ein Szenario, das sich viele lieber nicht zu genau ausmalen möchten.

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Foto: AFP / Andrea Solaro Nach 1017 Tagen war auch für Matteo Renzi, 27. Ministerpr­äsident in 70 Jahren republikan­ischer Geschichte Italiens, Schluss. Er scheiterte mit seinen Reformplän­en.

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