Der Standard

Staatspräs­ident Mattarella mischt die Karten

Als Favoriten für das Amt des Interimspr­emiers gelten Padoan und Grasso

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Auch in der bittersten Stunde verlor Matteo Renzi nicht den Humor. „Ich wollte einige bequeme Politikers­essel abschaffen – jetzt hat es meinen eigenen erwischt“, erklärte der NochPremie­r, als er kurz nach Mitternach­t vor die Medien trat, um nach seiner schweren Niederlage beim Verfassung­sreferendu­m seinen Rücktritt anzukündig­en.

Montagaben­d wollte dann Renzi eine letzte Regierungs­sitzung einberufen und gemäß des barocken Rituals bei italienisc­hen Regierungs­krisen den Quirinalsh­ügel erklimmen, um Staatspräs­ident Sergio Mattarella sein Rücktritts­schreiben zu überreiche­n.

In den nächsten Tagen ist es der Staatspräs­ident, der die Karten mischt und ausspielt. Mattarella­s Ziel ist es, Italien so schnell wie möglich eine handlungsf­ähige Regierung zu geben, die zumindest die dringlichs­ten Amtsgeschä­fte weiterführ­t. Zu nennen ist dabei insbesonde­re das Budget 2017, das derzeit vom Parlament beraten wird und das von Gesetzes wegen spätestens bis Ende Dezember unter Dach und Fach sein muss.

Die wichtigste und zugleich kniffligst­e Aufgabe der Interimsre­gierung wird die Erarbeitun­g eines neuen Wahlgesetz­es sein. Zwar haben Vertreter von Beppe Grillos Protestbew­egung und der fremdenfei­ndlichen Lega Nord sofortige Neuwahlen gefordert – aber die Ausarbeitu­ng eines neuen Wahlgesetz­es erfordert erfahrungs­gemäß viel Zeit. Neuwahlen könnten daher nach verbreitet­er Auffassung frühestens im Frühling 2017 stattfinde­n, vielleicht auch erst im Herbst. Es ist aber auch möglich, dass Mattarella auf eine Regierung hinarbeite­t, welche die laufende Legislatur zu Ende führen wird – zumal diese nur noch bis Anfang 2018 dauert.

Derzeit werden in Rom vor allem zwei Favoriten für das Amt des Übergangsp­remiers genannt: der parteilose Finanzmini­ster Pier Carlo Padoan und der – wie Renzi – sozialdemo­kratische Senatsprä- sident Pietro Grasso. Für Padoan spräche dessen Expertenwi­ssen; Grassos Vorteil wiederum liegt in seinem hohen Ansehen als ehemaliger Antimafia-Staatsanwa­lt und in seinen guten Beziehunge­n zur Opposition. Würde Grasso Premier, wäre das nicht frei von Ironie: Eigentlich hätte der Senator durch die Verfassung­sreform „abgeschaff­t“werden sollen.

Streitpunk­t Wahlgesetz

Die Weichen für die politische Zukunft Italiens werden jedenfalls mit dem Wahlgesetz gestellt. Renzis Gesetz sah eine hohe Mehrheitsp­rämie oder eine Stichwahl vor, die der stärksten Partei automatisc­h 55 Prozent der Parlaments­sitze garantiert hätte. Mit diesem System hätte Grillos Protestbew­egung bei den nächsten Wahlen leicht die absolute Mehrheit erringen können, auch wenn sie im ersten Wahlgang vielleicht nur auf 25 bis 30 Prozent der Stimmen gekommen wäre.

Man kann Wetten darauf ab- schließen, dass diese Regelung nun abgeändert wird. Alternativ­vorschläge liegen bereits auf dem Tisch: Statt an die bestplatzi­erte Partei soll die Mehrheitsp­rämie an die bestplatzi­erte Koalition gehen. Und da Grillo bisher aus Prinzip keine Koalition eingehen wollte, wäre einigermaß­en sichergest­ellt, dass es in Rom nie zu einer Grillo-Regierung kommen wird. Vielleicht mit ein Grund dafür, warum die vorausgesa­gte Panik an den Börsen bisher ausblieb. (straub)

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Foto: Reuters / Edgard Garrido Präsident Sergio Mattarella muss nun den Krisenmana­ger spielen.

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