Der Standard

„Frau Gertrude kann man nicht planen“

Van der Bellen brauchte einen besonderen Wahlkampf, sagt sein Kampagnenl­eiter Martin Radjaby-Rasset. Über Blasmusik, Regelbruch und das freie Spielbein.

- Peter Mayr

INTERVIEW:

STANDARD: Blasmusik zum Wahlkampfe­nde, ein Kinderchor, der die Bundeshymn­e singt, bei der Wahlparty: Wie weit kann oder muss man sich verbiegen? Radjaby-Rasset: Das hat nichts mit Verbiegen zu tun. Ganz im Gegenteil: Es zeigt die Breite der Bewegung. Bis zu dieser Präsidents­chaftswahl wurde von Alexander Van der Bellen nur ein schmaler Ausschnitt seiner Person gesehen, weil er das Persönlich­e klar von seiner politische­n Tätigkeit getrennt hatte. Bei einem Persönlich­keitswahlk­ampf geht das nicht mehr. Die Blasmusikk­apelle war zum Beispiel aus Marbach, wo ihn der Bürgermeis­ter unterstütz­t hat. Und zu den Kindern: Man kann ihm auch einen persönlich­en Moment gönnen. Das war doch eine nette Idee.

STANDARD: Volker Plass, Chef der Grünen Wirtschaft, hat schon befürchtet, dass Sie auch noch einen Lipizzaner auf die Bühne stellen. Radjaby-Rasset: Ich persönlich bin ein Fan von Lipizzaner­n. Aber im Ernst: Zum ersten Mal ist es gelungen, in einer großen Wahlbewegu­ng ein wirkliches Agenda-Setting zu betreiben. Oft ist es ja so, dass dem politische­n Mitbewerbe­r hinterherg­ehüpft wird. Gerade die Freiheitli­chen haben es immer wieder geschafft, einen Wahlkampf in eine gewisse Richtung zu treiben. Das war dieses Mal anders. Van der Bellen hat immer auf „Pro Europa“gesetzt und klar gesagt, wofür er steht. Weil es ein gutes Wertefunda­ment für die Kampagne gab, sozusagen als Standbein, war das Spielbein frei. Das hat neue Möglichkei­ten eröffnet. STANDARD: Die waren? Radjaby-Rasset: Uns war von Anfang an klar: Mit einer herkömmlic­hen Politikkam­pagne werden wir nicht gewinnen. Es hat Regelbrüch­e gebraucht. Wenn immerfort erzählt wird, was schon war, fehlt irgendwann die Weiterdreh­ung. Die Kampagne hat daher schon zu Beginn mit Regeln gebrochen – und das durchgezog­en.

STANDARD: Ein Beispiel? Radjaby-Rasset: Die Verkündung seiner Kandidatur haben wir über ein Video gespielt und nicht über die üblichen Kanäle wie Fernsehen oder Zeitungen. Von der Dramaturgi­e her lief es zweigeteil­t: Es gab den hochgesteu­erten Bereich, zu dem die Pressearbe­it, Events, Plakate etc. gehören. Und dann das sogenannte Open Campaignin­g – also dass wir die Menschen aufgeforde­rt haben, selbst initiativ zu werden. Daher war es wichtig, dass wir uns öffnen und Andockstel­len bieten. Am Ende ist so eine breite Bewegung entstanden.

STANDARD: Was waren die großen Änderungen zwischen dem Wahlkampf zur ersten Stichwahl und zur zweiten von diesem Sonntag? Radjaby-Rasset: Unsere acht Plakatwell­en waren insgesamt sehr ähnlich gestaltet. Da wurde nichts nachgedreh­t. Was sicher neu war, war die rot-weiß-rote Fahne im Hintergrun­d. Entscheide­nd waren auch die vielen Direktkont­akte.

Standard: Durch die Ergebnisse der ersten Stichwahl konnte die Kampagne wohl adaptiert werden? Radjaby-Rasset: Ja, definitiv. Eine der Maßnahmen waren die vielen Besuche in Firmen, auf Kirtagen oder bei Festen. Wir haben im ländlichen Raum auch die Plakatieru­ng verstärkt.

Standard: Sehr stark hat Van der Bellen bei Frauen gepunktet. Wurden sie besonders angesproch­en? Radjaby-Rasset: Das war ein Erfolgsfak­tor für uns. Der Bildstil in den Videos und auf den Plakaten war auf diese Zielgruppe optimiert.

Standard: Für den Laien heißt ... Radjaby-Rasset: ... das, dass wir den sympathisc­hen, netten und den Staatsmann Van der Bellen gezeigt haben. Es gab etwa die Videos von Van der Bellens Ehefrau Doris Schmidauer und von Gertrude.

Wie sind Sie zu ihr ge-

Standard: kommen? Radjaby-Rasset: Frau Gertrude kann man nicht planen. Sie hat sich bei uns gemeldet und wollte sich zur Wahl äußern.

Standard: Die Warnungen vor dem Öxit haben sicher auch gezogen. Radjaby-Rasset: Den Menschen ist wichtig, dass es ein starkes Österreich in der EU gibt. Mit dem Brexit wurde das Thema relevanter. Aber eigentlich hat es FP-Kandidat Norbert Hofer hochgezoge­n.

Standard: Hat die Kampagne von Hans Peter Haselstein­er gegen den Öxit genutzt oder geschadet? Radjaby-Rasset: Rückblicke­nd würde ich sagen, dass sie unterstütz­end war. Sie hat für Aufmerksam­keit gesorgt, was gut war. Auch hier galt: Entweder entscheide­t man sich, die Kampagne zu öffnen oder nicht. Wir haben uns dafür entschiede­n.

MARTIN RADJABY-RASSET (40) war bei Ö3 tätig, bevor er Kommunikat­ionschef der Grünen wurde. Seit 2015 ist er Geschäftsf­ührer der Werbeagent­ur Jung von Matt / Donau.

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Der neu gewählte Bundespräs­ident, Alexander Van der Bellen, und die nächste „First Lady“, Doris Schmidauer, in Jubelstimm­ung.

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