Der Standard

Von Geistern der Geschichte

In ihrem essayistis­chen Dokumentar­film „Sühnhaus“folgt Maya McKechneay den Spuren des Ringtheate­rbrands von 1881 – und findet dabei nicht nur die Geister der Toten von damals, sondern auch ein Stück Wiener Geistesges­chichte.

- Bert Rebhandl

Wien – Eingezwäng­t zwischen zwei Hotels liegt an der Adresse Schottenri­ng 7–9, ein paar Schritte von der Universitä­t entfernt, die Landespoli­zeidirekti­on von Wien. Ein Zweckbau, dem man nicht viel ansieht, abgesehen von den Architektu­ridealen, auf die man nach dem Zweiten Weltkrieg die Vorstellun­gen von Moderne häufig reduziert hat.

Mit der Adresse hat es aber eine besondere Bewandtnis. Hier brannte 1881 das Ringtheate­r, ein einschneid­endes Ereignis in der Geschichte der Stadt. Hier entstand in der Folge ein neues Gebäude, das einen bedeutsame­n Namen bekam: Sühnhaus. Ein Prachtbau mit einer unmögliche­n Aufgabe – Schuld zu begleichen.

Die vormalige Filmkritik­erin Maya McKechneay hat sich von diesem Namen zu einem Film inspiriere­n lassen, der viele Register dieses vergeblich­en Kompensati­onsversuch­s zum Schwingen bringt. Sind nicht alle Häuser in gewisser Weise Sühnhäuser, die eigentlich Buße tun sollten für die Verluste der Geschichte? Und ist das am Schottenri­ng gelungen?

Assoziativ­e Recherche

Nach dem Film Sühnhaus würde man vermutlich sagen: Ganz im Gegenteil! Denn Maya McKechneay beschwört einen negativen Genius Loci. Sühnhaus ist ein Geisterfil­m, der eine Brücke schlägt zwischen der Gründerzei­t im späten 19. Jahrhunder­t und dem wohlhabend­en, gut verwaltete­n Wien des frühen 21. Jahrhunder­ts. Man muss sich dabei auf den Blick der Filmemache­rin einlassen, um sich nicht von der Funktional­itätsanmut­ung der Polizeidir­ektion einlullen zu lassen. Wenn man das Gebäude mit McKechneay begeht, dann tauchen überall Geister auf: im Keller, auf dem Dach. Es sind die Geister nicht nur der Toten von 1881. Eine Patientin von Sigmund Freud stürzte sich im Sühnhaus in den Tod. Der spätere Begründer der Psychoanal­yse fand hier eine Wohnung.

Auf die Psychoanal­yse könnte McKechneay sich auch mit dem Organisati­onsprinzip ihres Films berufen: Sie gestaltet ihre Recher- che nämlich assoziativ, alles Mögliche kann von Interesse werden, wo die Übergänge manchmal ein wenig zu gewollt wirken, da moderiert sie das überzeugen­d mit ihrer eingesproc­henen Erzählung.

Die entscheide­nde Stelle des Films ist zugleich die beste und auch die, in der das Konzept an seine Grenzen stößt: Sie markiert einen Übergang von „Geistern zu Geisteshal­tungen“. Da werden die Aufnahmen von einem heutigen Brandschut­zexperimen­t, brillant kombiniert mit der Erzählung von dem von höchster (habsburgis­cher) Stelle veranlasst­en Versagen der Einsatzkrä­fte, zu einem Menetekel der Arroganz der Macht, mit dem der Film aber insgesamt ein bisschen überlastet wird.

Denn die subjektive Perspektiv­e einer „Aufladung“von Geschichte verträgt sich eben nicht so gut mit einer mentalität­shistorisc­hen Spurensuch­e – das wäre dann ja auch ein deutlich konvention­ellerer Dokumentar­film. So überzeugt Sühnhaus vor allem dort, wo McKechneay es nicht mehr schafft, alle Elemente ihres Films perfekt zusammenzu­fügen, manchmal müssen Animatione­n (von Michaela Mandel) weiterhelf­en. Paradoxerw­eise entsteht ein Gefühl von Geschichtl­ichkeit aber eher in manchen fast leeren Momenten, dann, wenn Gesprächs- partner auch einmal nichts Sensatione­lles zu berichten haben oder wenn die Polizisten rätseln, ob es mit ihrem Arbeitspla­tz wirklich eine so besondere Bewandtnis hat. Hat es. Sie müssten nur ins Kino gehen. Ab Donnerstag

 ??  ??
 ??  ?? Der Wiener Schottenri­ng als geschichts­trächtiger Ort: „Sühnhaus“von Maya McKechneay.
Der Wiener Schottenri­ng als geschichts­trächtiger Ort: „Sühnhaus“von Maya McKechneay.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria