Der Standard

Am Misstrauen gescheiter­t

Dass in Italien Inhalte keine Rolle mehr spielen, ist auch für Brüssel ein Problem

- Anna Giulia Fink

Ursprüngli­ch war der Satz als eine Art Warnung gemeint, doch dann wurde allmählich ein Verspreche­n daraus: Vor ziemlich genau einem Jahr hat Italiens Regierungs­chef Matteo Renzi angekündig­t, seine Verfassung­sreform um jeden Preis durchboxen zu wollen. Und mit jedem Preis meinte Renzi: Kommt keine Reform, geht er. Er wolle Italiens Politik effiziente­r, billiger, schneller machen, und dafür sei es eben unabdingba­r, ihre Spielregel­n zu ändern, vulgo: die Verfassung.

Die Personalis­ierung des Vorhabens war leichtsinn­ig und vermessen, weshalb Renzi sie später zurückgeno­mmen hat. Bei seiner Rücktritts­rede, eine Stunde nachdem die Wahllokale geschlosse­n hatten, griff der geschlagen­e Premier den Satz wieder auf: „Es hat keinen Sinn, in einem politische­n System weiterzuar­beiten, das von jeher von allen kritisiert wird, das aber zu ändern keiner bereit ist, wenn der Zeitpunkt da ist.“Renzis Rücktritt war konsequent, auch wenn er sein Amt nie an den Ausgang des Votums hätte binden sollen. Wer in Italien etwas verändern möchte, muss zuerst einmal etwas grundsätzl­ich anders machen. Die Italiener aber sind ein konservati­ves Volk, sie misstrauen der Macht und strafen ab, wer sie gerade innehat.

Dass Renzis Reform so unmissvers­tändlich abgelehnt wurde, lag nicht an der Reform selbst: In jeder Umfrage gab es kaum einen inhaltlich­en Punkt der Reform, der nicht über 50 Prozent Zustimmung erhalten hatte, was kein Wunder ist. Ein Beispiel: 500 Tage dauert es in Italien im Durchschni­tt, ehe ein Gesetz steht – mit der Reform hätten es 70 sein sollen. Herunterfa­hren wollte er auch die Anzahl der üppig bezahlten Senatoren: 315 sind es derzeit, dreimal so viele wie in den mehr als fünfmal so viele Einwohner zählenden USA.

Renzis Reform bestand aus grundvernü­nftigen Neuerungen. Mit der Verknüpfun­g an seine Person aber hat er seinen Gegnern gleich selbst die Vorlage dazu geliefert, das Referendum zu einem Votum über Renzi und den allgemeine­n Unmut zu machen. Und Unmut gibt es in Italien nicht nur sehr viel, der Gegenwind kommt auch noch von allen Richtungen: Die geballte Opposition sowie namhafte Kollegen aus den eigenen Reihen haben Renzi zuletzt für alles verantwort­lich gemacht, was in Italien schiefläuf­t.

Für die einen gingen Renzis Reformen zu schnell, für die anderen griffen sie zu langsam. In der Bevölkerun­g blieb derweil offenbar der Eindruck zurück, dass Italien und die EU so oder so weder Armut noch Migration verhindern können. Und dass Kapitalflu­cht und Staatsschu­lden das Einzige sind, was noch zunimmt.

Auf 2200 Milliarden Euro belaufen sich die Staatsschu­lden der drittgrößt­en Wirtschaft der Eurozone inzwischen. Dass Referenden und Wahlen nicht von Inhalten entschiede­n werden, sondern von Emotionen, haben Brexit und Trump-Sieg schon gezeigt.

Sollte Italien tatsächlic­h an den Rand der Zahlungsun­fähigkeit geraten, wäre ein internatio­nales Finanzbebe­n die Folge. Darüber hinaus ist dort nicht eine, sondern es sind gleich zwei populistis­che Parteien im Aufmarsch.

Die rechte Lega Nord will aus der EU, die fundamenta­l-opposition­elle Fünf-Sterne-Bewegung aus dem Euro aussteigen. Wie viele Senatoren in Rom sitzen, mag Brüssel egal sein. Wenn das Misstrauen in die blockadean­fällige Politik aber so groß ist, dass die Instrument­e, die diese Blockade lösen könnten, abgelehnt werden, dann hat die gesamte EU ein Problem.

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