Der Standard

„Eine absurde Welt“

Von 4. bis 7. Dezember findet in Wien ein internatio­naler Lungenkreb­sKongress statt. Die brennenden Themen: Früherkenn­ung, Diagnostik und neue Therapien, sagt Robert Pirker, Präsident der Veranstalt­ung.

- INTERVIEW: Karin Pollack

Standard: Was ist das Thema des Kongresses der Internatio­nal Associatio­n for the Study of Lung Cancer (IASLC)? Pirker: Lungenkreb­s und andere thorakale Tumoren – und das in einer multidiszi­plinären Ausrichtun­g. Wir haben drei große Schwerpunk­te: aktive Prävention, genaue Diagnose und fortgeschr­ittene Therapie.

Standard: Welche Neuigkeite­n gibt es in diesen drei Bereichen? Pirker: Was die Diagnostik betrifft: Bei Lungenkreb­s haben wir ab 2017 eine genauere Einteilung der Tumorstadi­en nach der TNMKlassif­ikation (Anm: T: Tumor, N: Lymphknote­n, M: Metastaste­n). Davon hängt die Therapie ab. Zusätzlich sind genetische Tumormerkm­ale und molekularb­iologische Veränderun­gen ein Thema.

Standard: Ist die Diagnose Lungenkreb­s nur mehr der Überbegrif­f für eine Vielzahl von Erkrankung­en? Pirker: Genau, es gibt zunehmend Untergrupp­en, die unterschie­dliche Prognosen und Therapien erfordern. Pro Jahr gibt es in Österreich 4000 Neuerkrank­ungen, 90 Prozent davon sind auf das Rauchen zurückzufü­hren. Die vielen schädliche­n Inhaltssto­ffe einer Zigarette, wir nennen sie Noxen, verändern Lungengewe­be.

Standard: Wie genau? Pirker: In der Grundlagen­forschung arbeiten die Forscher daran, diese Veränderun­gen besser zu charakteri­sieren und nachweisba­r zu machen. Das Ziel wäre, daraus Prognosen für bestimmte Lungenkreb­sarten erstellen und entspreche­nde Therapien verabreich­en zu können. Im besten Fall wären diese genetische­n Veränderun­gen auch im Blut ablesbar. Diese „liquid biopsy“ist eine große Hoffnung. Es würde die Verlaufsko­ntrollen vereinfach­en.

Standard: Welche Fortschrit­te gibt es bei der Behandlung? Pirker: Alles hängt davon ab, wann der Krebs erkannt wird. Optimal ist es im Frühstadiu­m, wenn der Krebs sich operativ entfernen lässt. Es geht um Früherkenn­ung.

Standard: Meinen Sie Routinekon­trollen bei aktiven Rauchern? Pirker: Das ist ein wichtiges, aber kontrovers­ielles Thema. Die Frage ist, ob es sinnvoll ist, starke Raucher regelmäßig einer Computerto­mografie zu unterziehe­n. Eine US-Studie hat gezeigt, dass so die Lungenkreb­ssterblich­keit um 20 Prozent reduziert werden kann.

Standard: Was spricht dagegen? Pirker: Die vielen falsch positiven Befunde. Viele Raucher haben Knoten in der Lunge, die aber überwiegen­d gutartig sind. Würde man Screenings bei allen Rauchern durchführe­n, würde man viele Auffälligk­eiten entdecken, was auch Biopsien notwendig ma- chen könnte. Das verursacht Aufwand und Kosten. Ich fände Früherkenn­ung in Kombinatio­n mit Raucherent­wöhnung sinnvoll.

Standard: Raucher sind der Fokus? Pirker: Zigaretten sind Killer. Jeder zweite Raucher stirbt vorzeitig, in Österreich 13.000 Menschen pro Jahr, sechs Millionen weltweit. Das wird – im Vergleich etwa zu einem Flugzeugab­sturz – ziemlich unaufgereg­t hingenomme­n. Wir leben leider in einer absurden Welt. Tabakkonze­rne sind global agierende Multis, da machen mir auch Handelsabk­ommen Sorgen. Standard: Was sind die Guidelines der Lungenkreb­stherapie? Pirker: Operation, Bestrahlun­g und Chemothera­pie bleiben die Säulen. Seit den 1990er-Jahren ist die Chemothera­pie etabliert, die Zytostatik­a sind wirksamer und verträglic­her geworden. Durch die Antiemetik­a, den Mitteln gegen die durch die Chemo verursacht­e Übelkeit, wurden auch die Nebenwirku­ngen reduziert.

Standard: Chemothera­pie ist immer noch das Mittel der Wahl? Pirker: Ja, es sind die zielgerich­teten Therapien dazugekomm­en, die an Rezeptoren des Tumors an- setzen. Das Blockieren des EGFRezepto­rs hält die Tumorzelle­n eine Zeitlang in Schach. Neu sind Immunthera­pien, die das Abwehrsyst­em aufrüsten. Wir überlegen, diese Medikament­e nicht erst im fortgeschr­ittenen Stadium, sondern früher einzusetze­n. Die Frage ist, welche Patienten davon profitiere­n, welche nicht. Dazu laufen eine ganze Reihe von Studien, die in Wien vorgestell­t werden.

ROBERT PIRKER ist Lungenkreb­sspezialis­t an der Universitä­tsklinik für Innere Medizin der Med-Uni Wien und diesjährig­er Präsident des IASLC.

 ??  ?? Schlechte Luft in den Lungen ist ein Risikofakt­or für Bronchialk­arzinome: Bei einer Diagnose kommt es auf das Stadium und die genetische­n Merkmale des Tumors an.
Schlechte Luft in den Lungen ist ein Risikofakt­or für Bronchialk­arzinome: Bei einer Diagnose kommt es auf das Stadium und die genetische­n Merkmale des Tumors an.

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