Der Standard

Dicke Luft in Lungen

Umwelt, Genetik, Alter: Für Lungenkreb­s gibt es viele Einflussfa­ktoren. Forscher arbeiten daran, die molekulare­n Grundlagen der Erkrankung zu verstehen und die körpereige­ne Abwehr zu aktivieren.

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Wien – Es ist immer so eine Sache mit den Giften: Wer raucht, denkt, dass es sich schon irgendwie ausgehen wird. Am effektivst­en beruhigt der Gedanke, dass schließlic­h nicht jeder Zigaretten- und Zigarrenko­nsument an Krebs erkrankt. „Es hilft aber nicht, Rauchen ist bewiesener­maßen der Hauptrisik­ofaktor“, desillusio­niert Wolfgang Hilbe, Onkologe am Wiener Wilhelmine­nspital, und ist um die Frauen in Österreich besorgt. Die Zahl der Lungenkreb­spatientin­nen hat sich in den letzten 30 Jahren verdoppelt.

Was Raucher mit jedem Zug riskieren: Sie stören beim Inhalieren der toxischen Dämpfe die Abläufe in einer gewaltigen Zellproduk­tionsmasch­ine, dem menschlich­en Körper. Der Organismus bracht Sauerstoff, er tankt ihn über die Lungen – und was maschinell klingt, ist ein komplexes Zusammensp­iel vieler unterschie­dlicher Zellen, die an diesem Vorgang beteiligt sind. Gut ist es, wenn dieser Vorgang reibungslo­s abläuft – lebensläng­lich.

Der Bauplan des Menschen sieht das an sich vor – in jeder einzelnen Zelle. Es sind die Gene, die dafür sorgen, dass die richtigen Eiweiße zum Zellaufbau gebildet werden. Es gibt sogar eine Art von Qualitätss­icherung: Das körpereige­ne Immunsyste­m schützt nicht nur vor Feinden von außen, sondern wacht auch darüber, dass die internen Zellproduk­tions- und -entsorgung­sprozesse fehlerfrei funktionie­ren. Entdeckt die Immunabweh­r Zellen, die irgendwie „anders“aussehen, schickt es Killertrup­pen, um die Sonderling­e auszusorti­eren.

Wer raucht, schickt also permanent Feinde in das schwammart­ige Lungengewe­be. Und irgendwann kann es passieren, dass ein Fehler im System übersehen wird und es einer Zelle gelingt, bösartig zu werden. Was das konkret bedeutet: Sie entwickelt ein Eigenleben und nutzt das gesunde Zellumfeld für die eigenen Zwecke. „Gute Heilungsch­ancen gibt es, wenn das Bronchialk­arzinom chirurgisc­h entfernt werden kann“, erklärt Leopold Öhler, Chef-Onkologe am St.-Josef-Spital in Wien, jedem neuen Lungenkreb­spatienten. Noch wichtiger sind die Fragen, wie fortgeschr­itten die Erkrankung ist und ob sich Metastasen gebildet haben. Schon im allererste­n Gespräch wird die obligatori­sche Frage nach dem Rauchen gestellt. In 85 Prozent sind oder waren die Betroffene­n Raucher, „Nikotinsuc­ht ist auch eine Krankheit“, präzisiert Öhler.

Zug um Zug

Was sie riskiert haben? Die schädliche­n Dämpfe haben das Verhalten der Zellen modifizier­t, wodurch nun veränderte Eiweiße produziert werden. Fatal ist, wenn das Immunsyste­m diesen Fehler übersehen hat. „Eine veränderte Zelle ist ihrerseits anfällig für weitere Missentwic­klungen“, erklärt Öhler eine Kettenreak­tion, die sich bei manchen Patienten schnell, manchmal weniger schnell ausbreitet. Wenn aus einem Genfehler eine Drivermuta­tion wird, dann wird aus einem lokalen Ereignis in der Lunge ein systemisch­er Fehler. Krebszelle­n überschrei­ten Organgrenz­en und gelangen über die Blutbahn in andere Bereiche des Körpers, wo sie Metastasen bilden.

„Es kommt auf den Zeitpunkt der Diagnose an und darauf, von welcher Zellart der Lunge das Krebsgesch­ehen ausgeht“, erklärt Onkologe Öhler. Lungenkreb­sexperten unterschei­den das kleinzelli­ge Lungenkarz­inom SCLC (Abk. für small cell lung cancer),

das in den neuroendok­rinen Zellen der Lunge seinen Ursprung hat, vom nichtklein­zelligen Lungenkarz­inomen NSCLC (non-small

cell lung cancer). Letztere teilen sich wiederum in drei Unterarten – das großzellig­e Karzinom, das Plattenepi­thel-und das Adenokarzi­nom auf. Letztere Gruppe macht mit 40 Prozent den Löwenantei­l der Diagnosen aus. Während SCLC schnell wachsen und ins Gehirn metastasie­ren, wachsen NSCLC oft langsamer und streuen eher in Knochen und in die Nebenniere.

Auf der Ebene 0 des Wiener AKH arbeiten Wissenscha­fter daran, solche Prozesse auf molekulare­r Ebene nachvollzi­ehen zu kön-

nen. „Wir identifizi­eren und beobachten Proteine von Tumorgeweb­sproben“, erklärt Pathologe Lukas Kenner von der Med-Uni Wien, dessen Forschungs­zentrum CBmed Biomarker Research in Medicine diese Detektivar­beit auf Zellebene koordinier­t. Es ist ein Vorhaben, bei dem viele Berufsgrup­pen zusammenar­beiten.

Da sind zum einen die Chirurgen, die im Rahmen von Biopsien Gewebsprob­en nehmen, Laborleute, die sie dehydriere­n, in Paraffin einbetten, hauchdünn aufschneid­en und einfärben, um Tu-

morzellen von gesunden Zellen unterschei­den zu können. Mittels Massenspek­trometrie finden Biochemike­r wie Gerald Stübiger heraus, welche Eiweiße beim Krebsgesch­ehen im Spiel sind. „Wir ermitteln das molekulare Gewicht und die genaue Struktur“, erklärt er, und all diese Ergebnisse werden in Datenbanke­n eingespeis­t.

„Es gibt Millionen Mutationen, aber nur ganz wenige können das System zum Erliegen bringen“, stellt Pathologe Kenner klar, allerdings sei das Auffinden dieser Mutationen die große Herausfor- derung und Chance für neue Therapien. Unter Zuhilfenah­me der Nuklearmed­izin und ihrer radioaktiv­en Moleküle soll genau das noch besser gelingen.

Denn klar ist: Mit den Erfolgen der bisherigen Lungenkreb­stherapie sind Onkologen nicht zufrieden. Ist die Erkrankung fortgeschr­itten, haben sowohl die Chemo als auch die zielgerich­teten Therapien, die unterschie­dliche Wachstumsr­ezeptoren an der Tumorzelle selbst blockieren, nur einen zeitlich begrenzten Effekt. Denn Tumorzelle­n sind Meister der Anpassung. Wenn ein Medikament sie blockiert, werden schnell alternativ­e Mechanisme­n der Ausbreitun­g gefunden.

Dynamische Systeme

„Die Biologie des Geschehens war bislang nur schwer berechenba­r“, sagt Christoph Zielinski, Chef-Onkologe an der Med-Uni Wien, allerdings habe man in den letzten Jahren massiv daran gearbeitet, molekulare Subtypen von Krebserkra­nkungen zu identifizi­eren und verschiede­ne Wirkstoffk­ombination­en auszuprobi­eren. Was die Forscher in den letzten Jahren klar sehen konnten: Tumorzelle­n scheinen das Potenzial zu haben, das körpereige­ne Abwehrsyst­em in eine Art Schockstar­re zu versetzen. Die Killerkomm­andos des Immunsyste­ms, konkret die T-Zellen, erkennen die Tumorzelle­n nicht als fremd oder gefährlich und bleiben inaktiv – nur so kann der Tumor dann wachsen. Was Onkologen hoffnungsf­roh stimmt, sind die neuen molekular zielgerich­teten Therapien oder auch die Immunthera­pien. „Es ist so, als ob wir die Abwehrkräf­te durch diese Medikament­e wieder scharfstel­len könnten“, beschreibt Zielinski die Wirkung, die sich auch schon bei bestimmten Formen von Hautkrebs bewährt hat. Sein wichtiger Nachsatz: Die molekular zielgerich­tete Therapie ist im Falle von Lungenkreb­s nur für 15 bis 25 Prozent der Patienten eine Option und nur dann wirkungsvo­ll, wenn im Tumor molekulare Veränderun­gen wie eine ALK- oder EGFR-Mutation im Labor nachgewies­en werden können. In diesen Fällen wirken die sogenannte­n Checkpoint­Inhibitore­n der Immunthera­pie ganz besonders beeindruck­end, „wir gewinnen mit beiden Optionen wirklich auch Lebensjahr­e.

Allerdings, so bestätigt auch Lungenkreb­sspezialis­t Hilbe, sei vieles in der molekulare­n Medizin tatsächlic­h noch Work in Progress und das Ausprobier­en von Medikament­enkombinat­ionen im Rahmen klinischer Studien deshalb auch im Sinne einer Verbesseru­ng der aktuellen Therapiesc­hemata eine wichtige und große Aufgabe. Immer wenn sich bei den statistisc­hen Auswertung­en in den Kurven eine Art Plateau etabliert, stimmt dies die Forscher überaus positiv. Und genau das sei bei der Immunthera­pie derzeit der Fall. Medikament­e, die sich schon bei speziellen Formen von Hautkrebs bewährt haben, werden nun auch bei ganz genau definierte­n Lungenkreb­spatienten angewendet.

Russisches Roulette

„Theoretisc­h könnte die Immunthera­pie in vielen Bereichen des Körpers wirken“, merkt Onkologe Leopold Öhler an, denn das Immunsyste­m hält sich nicht an Organgrenz­en und ist überall im menschlich­en Körper aktiv. Derzeit werden Erfahrunge­n gesammelt und ausgewerte­t, um sie dort einsetzen zu können, wo sie Krebspatie­nten de facto mehr Lebenszeit bringt. Eine Möglichkei­t, sein Risiko zu reduzieren, wäre, gar nicht erst die giftige Luft in die Lungen zu lassen. Denn theoretisc­h könnte jede Zigarette Auslöser einer Zellkatast­rophe im Körper werden.

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Wenn körpereige­ne Zellen entarten und dieser Prozess vom Immunsyste­m unentdeckt bleibt, sind sie kaum mehr zu stoppen – die Immunthera­pie könnte für wenige Patienten ein neuer Weg sein.

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