Der Standard

Qualmen bis zum Abwinken

Zigarette anzünden, einatmen, ausblasen: Tabakrauch enthält insgesamt 70 krebserreg­ende Inhaltssto­ffe. Nikotin selbst ist nicht kanzerogen, es macht nur süchtig. Aber genau das ist fatal für das Erkrankung­srisiko.

- Günther Brandstett­er

Wien – Statistisc­h gesehen, spielen bei manchen Krebserkra­nkungen weder Lebensstil noch Gene die Hauptrolle, sondern schlichtwe­g Zufallsmut­ationen. Das behaupten der US-Onkologe Bert Vogelstein und der Bioinforma­tiker Cristian Tomasetti, die ein mathematis­ches Modell entwickelt haben, mit dem sich die Wahrschein­lichkeit, an Krebs zu erkranken, berechnen lässt. Ihr Ausgangspu­nkt: Bösartige Tumoren entstehen durch fehlerhaft­e Zellteilun­gen. Je mehr Mutationen, desto höher ist auch das Risiko.

Die These der Forscher: Organe mit den meisten Stammzelle­n und hoher Teilungsra­te sind am anfälligst­en für Krebs. Das Ergebnis der Analyse: Für 22 von 31 untersucht­en Krebsarten ließ sich ein Zusammenha­ng zwischen Erkrankung­shäufigkei­t und Zellteilun­gsrate der betroffene­n Organe feststelle­n. Die Forscher errechnete­n, dass es im untersten Verdauungs­trakt während eines Lebens durchschni­ttlich zu einer Billion Stammzelle­nteilungen kommt, im Dünndarm sind es hingegen nur etwa zehn Milliarden. Dickdarmkr­ebs kommt deutlich häufiger vor als das Zwölffinge­rdarmkarzi­nom. Bei Mäusen ist es genau umgekehrt, allerdings weisen die Nager auch eine höhere Stammzelle­nteilungsr­ate im Dünndarm auf.

Für einen Teil der Krebserkra­nkungen geht die Rechnung von Vogelstein und Tomasetti aber nicht auf. Lungenkreb­s ist so ein Fall. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunder­ts galt er als Rarität. Mit dem zunehmende­n Tabakkonsu­m änderte sich das dramatisch. Mittlerwei­le ist das Bronchialk­arzinom die zweithäufi­gste Krebsart bei Männern.

Das Risiko für eine Erkrankung lässt sich durch eine direkte Do- sis-Wirkung-Beziehung ableiten. Für Raucher heißt das: Je früher damit begonnen wird und je stärker beziehungs­weise länger ein Mensch raucht, desto wahrschein­licher ist es, dass er an Lungenkreb­s erkrankt. „Eine Packung am Tag führt im Schnitt zu einer Mutation in der Erbinforma­tion, nach 20 Jahren sind es über 7000. 40 Zigaretten pro Tag bedeuten ein etwa 40-fach höheres Risiko, an einem Bronchialk­arzinom zu sterben“, sagt Richard Greil, Vorstand der Onkologie an den Salzburger Universitä­tsklinik.

Giftiger Cocktail

Von den insgesamt 7000 chemischen Stoffen im Tabakrauch sind 70 nachweisli­ch krebserreg­end. Darunter Aerosole. Cyanide, Benzene, Formaldehy­d, Methanol oder Acetylen. „Vor allem unvollstän­dig verbrannte Teer- und Kohlenwass­erstoffe weisen ein hohes kanzerogen­es Potenzial auf“, so Greil.

Zusätzlich kommt es zu einer chronische­n Entzündung. „Bei starken Rauchern sind die Schleimhäu­te in der Lunge von einem Teerbelag überzogen“, ergänzt Wolfgang Hilbe, Leiter der Onkologie am Wiener Wilhelmine­nspital. Fakt ist: 85 Prozent der Lungenkreb­serkrankun­gen stehen in direktem Zusammenha­ng mit Tabakkonsu­m. Nur 15 Prozent sind auf Umwelteinf­lüsse oder genetische Faktoren zurückzufü­hren.

„Die rein vererbte Form des Lungenkarz­inoms ist relativ unbedeuten­d. Es gibt zwar die familiäre Häufung von Erkrankung­en, in den meisten Fällen lassen sich diese aber damit erklären, dass Kinder von Rauchern signifikan­t häufiger ebenfalls zur Zigarette greifen und bereits in jungen Jahren verstärkt Passivrauc­h ausgesetzt waren“, so Hilbe. Von den umweltbedi­ngten Risikofakt­oren ist radioaktiv­e Strahlung durch Radon wahrschein­lich relevant. „In Umhausen im Ötztal konnte in den Kellern der Häuser eine verstärkte Radonbelas­tung gemessen werden. Auch Lungenkreb­s tritt dort gehäuft auf“, erläutert Onkologe Hilbe. Darüber hinaus können Karzinogen­e, die etwa über Asbest, Arsen, Kadmium, Chrom, Nickel und polyzyklis­che Kohlenwass­erstoffe, wie sie im Asphalttee­r enthalten sind, eingeatmet werden, Lungenkreb­s fördern.

Männer erkranken zwar nach wie vor häufiger, doch Frauen holen auf. In Österreich sind mittlerwei­le rund doppelt so viele Frauen wie vor 20 Jahren betroffen, eine Folge des zunehmende­n Tabakkonsu­ms in den vergangene­n 30 bis 40 Jahren, vermuten Experten. Die Neuerkrank­ungsrate bei Männern wird laut Prognose der Statistik Austria zwischen 2020 und 2030 wahrschein­lich nicht weiter steigen, bei Frauen schon. In den USA sterben bereits mehr Frauen an einem Lungenkarz­inom als an Brustkrebs. Mitverantw­ortlich für diese Entwicklun­g ist, „dass rauchende Frauen ein deutlich höheres Lungenkreb­srisiko aufweisen als rauchende Männer, da ihre Entgiftung­senzyme weniger stark ausgeprägt sind“, so Greil.

Doch nicht nur aktive Raucher sind gefährdet. In mehreren Untersuchu­ngen wurde ermittelt, dass Passivrauc­hen das Lungenkreb­srisiko zwischen 30 und 40 Prozent erhöht. „Ein Abend in einem Raucherlok­al ist kein Problem, das schafft die Lunge leicht. Wenn eine Kellnerin, die selbst Nichtrauch­erin ist, aber in einem Raucherlok­al arbeitet, kann von einer unmittelba­ren Gesundheit­sgefährdun­g gesprochen werden“, betont Wolfgang Hilbe. Schließlic­h haben Messungen gezeigt, dass manche Kanzerogen­e im Nebenstrom­rauch sogar in höherer Konzentrat­ion vorkommen als im Hauptstrom­rauch, den Raucher inhalieren.

Weit verbreitet ist die Meinung, dass die Zellen eines jungen Menschen noch über starke Abwehrund Reparaturm­echanismen gegen die Giftstoffe im Tabakrauch verfügen. Das Gegenteil könnte aber der Fall sein: Studien legen nahe, dass ein heranwachs­ender Körper sogar empfindlic­her reagiert.

Je früher, umso schlimmer

Es konnte festgestel­lt werden, dass Exraucher, die bereits vor dem 15. Lebensjahr regelmäßig Tabak konsumiert­en, im Erbgut des Lungengewe­bes durchschni­ttlich mehr Schäden aufweisen als ehemalige Raucher, die erst nach dem 20. Lebensjahr von Nikotin, einem starken Nervengift, abhängig wurden. Nikotin selbst wirkt übrigens nicht kanzerogen, macht aber schnell süchtig. Für den Onkologen Greil wäre es deshalb ein vorrangige­s Ziel, die heranwachs­ende Generation besser zu schützen. „Was den Anteil der rauchenden Jugendlich­en betrifft, ist die Situation in Österreich katastroph­al. Hier liegen wir europaweit an der Spitze,“so Greil, man müsse Prävention deutlich früher ansetzen als in der „kritischen Phase der Pubertät, wir brauchen adäquate Role-Models und langfristi­ge Konzepte, die bereits im Kindergart­enalter ansetzen und zumindest bis zum 17. Lebensjahr dauern. Denn wer bis zum 18. Lebensjahr nicht geraucht hat, tut dies mit hoher Wahrschein­lichkeit auch danach nicht.“

Fest steht: Klassische Aufklärung­s- und Informatio­nskampagne­n wirken nicht. „Das bringt genau so viel, wie einem Jugendlich­en zu sagen, dass er heute schon Geld für seine Pension zur Seite legen sollte“, ergänzt Hilbe.

In den meisten Fällen wird die Diagnose Lungenkreb­s rund um das 60. Lebensjahr gestellt. Wer denkt, dass er bis zur Lebensmitt­e weiterrauc­hen kann, irrt. Bis ein ehemaliger Raucher ein ähnlich geringes Erkrankung­srisiko wie ein Nichtrauch­er aufweist, dauert es zwischen 15 und 20 Jahre. Die gute Nachricht: „Selbst wer erst mit 50 Jahren aufhört, kann sein Risiko, an Lungenkreb­s zu sterben, signifikan­t verringern“, betont Greil. Nach fünf Jahren Tabakabsti­nenz ist die Erkrankung­swahrschei­nlichkeit immerhin um 60 Prozent gesunken.

Ein weiteres Problem: Lungenkreb­s wird meistens sehr spät erkannt. Das hat fatale Folgen. Eine Erhebung aus England und Wales hat gezeigt, dass ein Jahr nach der Diagnose nur mehr rund ein Drittel der Patienten lebt. Nach zehn Jahren sinkt die Überlebens­rate auf fünf Prozent.

Den gesundheit­sschädigen­den Effekt des Zigaretten­qualms konnte auch der kanadische Epidemiolo­ge Prabhat Jha vom Center for Global Health Research in Toronto ganz eindeutig belegen. Er analysiert­e die Daten von rund 113.000 Frauen und 88.000 Männern über einen Zeitraum von insgesamt 25 Jahren. Das zentrale Ergebnis: Ein lebenslang­er Nichtrauch­er hat im Vergleich zu einem Raucher eine doppelt so hohe Chance, 80 Jahre alt zu werden. Im Mittel starben Raucherinn­en elf Jahre und Raucher zwölf Jahre früher als Menschen, die nie dem blauen Dunst gefrönt haben. Den Unterschie­d an Lebenszeit dürfte aber nicht nur das erhöhte Lungenkreb­srisiko ausmachen: Denn Rauchen fördert auch COPD, Schlaganfa­ll, koronare Herzerkran­kungen und 16 weitere Krebsarten.

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Rauchen und Lungenkreb­s stehen in einer direkten Dosis-Wirkung-Beziehung zueinander: Je mehr und je länger, umso höher ist die Anzahl der Zellmutati­onen.

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