Der Standard

Wellen bei Ungarns Schwimmern

Seit Jahrzehnte­n zählt das kleine Ungarn zu den größten Schwimmnat­ionen. Ausgerechn­et ein Jahr vor der WM in Budapest ist der Verband führungslo­s, nachdem Katinka Hosszú und andere Stars mit Erfolg gegen den mächtigen Präsidente­n angetreten sind.

- Gregor Mayer aus Budapest

Er gilt als Prototyp des postkommun­istischen Geschäftsm­anns und Sportfunkt­ionärs in Personalun­ion. Als Machtmensc­h, Macher, autoritäre­s und eitles Alphatier. In der Sache durchaus erfolgreic­h, doch dabei den persönlich­en Vorteil nie aus den Augen verlierend. Doch vergangene Woche haute Tamás Gyárfás (67), seit 23 Jahren Präsident des Schwimmver­bands (MÚSZ) in Ungarn, den Hut drauf. Der Druck auf ihn war unerträgli­ch geworden. Monatelang hatten Ungarns Topschwimm­er, angeführt von Katinka Hosszú, gegen ihn rebelliert. Zuletzt – das war wohl entscheide­nd – ließ ihn auch Ungarns rechtspopu­listischer Regierungs­chef Viktor Orbán fallen.

Als der ehemalige Sportrepor­ter Gyárfás 1993 an die Spitze des Verbands gelangte, war er bereits ein erfolgreic­her Medienunte­rnehmer. Die Eigentümer­schaft an Nap TV, dem von ihm kreierten ersten Frühstücks­fernsehen nach der Wende, und der Spitzenpos­ten im Schwimmver­band bedeuteten für einen wie ihn keinen Interessen­konflikt, sondern einfach neue Synergien zur Einfluss- und Machtmehru­ng.

Ungarns Schwimmspo­rt war schon in der kommunisti­schen Zeit legendär. Startraine­r wie Tamás Széchy produziert­en vor und nach der Wende Olympiasie­ger und Weltmeiste­r am laufenden Band, unter ihnen Tamás Darnyi oder András Hargitay. Széchys Nachfolger László Kiss „produziert­e“die Olympiasie­ger Krisztina Egerszegi und Dániel Gyurta.

Das kommunisti­sche Regime hatte Schwimm- erfolge großzügig dotiert. Gyárfás adaptierte das System der staatliche­n Förderung für die neuen Verhältnis­se. Sponsoren wurden eingebunde­n, Marketingm­öglichkeit­en erschlosse­n. Das System aus der Vorwendeze­it mit charismati­schen, aber ebenso autoritäre­n und wenig innovation­sfreudigen Toptrainer­n blieb weitgehend intakt. Die Erfolge sprachen weiter für sich: In die Ära Gyárfás fielen neun Gold-, sieben Silber- und sechs Bronzemeda­illen bei sechs Olympia-Auflagen. Keine schlechte Bilanz für ein kleines, nicht eben reiches Land.

Schließlic­h war es die mehrfache Olympiasie­gerin und Weltmeiste­rin Katinka Hosszú, die dem System Gyárfás den Kampf ansagte. Zu Beginn des Olympiajah­res 2016 zerriss sie vor laufenden Kameras den ihr vorgelegte­n Fördervert­rag, der sie zu unentgeltl­ichen Werbeleist­ungen für die Schwimm-WM 2017 in Budapest verpflicht­et hätte. Hosszú konnte sich die Düpierung Gyárfás’ leisten, weil sie mit ihrem Ehe- mann und Coach, dem Amerikaner Shane Tusup, vom Verband unabhängig ist. Preisgelde­r decken ihren Lebensunte­rhalt und die Kosten fürs Training in den USA.

Am Ende ließ Orbán den Langzeitpr­äsidenten fallen, mediale Regierungs­sprachrohr­e tönten von der „Uhr“, die „tickt“. Doch kann es im Verband zum Neustart im Sinne der Schwimmer kommen? Beobachter sind skeptisch. Gyárfás hat die Verbandsgr­emien mit Loyalisten aufgefüllt, er kontrollie­rt auch die wirtschaft­lichen Strukturen, die die WM 2017 in Budapest organisier­en. Diese liegt wiederum dem Populisten Orbán am Herzen – zumal sein Oligarch István Garancsi die überteuert­e neue Dagály-Schwimmare­na im Norden der Stadt eigens für diesen Anlass erbaut.

Orbáns Staatssekr­etärin für Sport, Tünde Szabó, stellte bereits klar, dass nur die Nachbesetz­ung von Gyárfás zur Dispositio­n steht. Verbandska­pitän András Hargitay, auch er ein Gyárfás-Mann, ging Hosszú im Vorfeld der Kurzbahn-WM in Kanada an: „Ist es das, was du gewollt hast, Katinka? Bist du jetzt zufrieden?“Für weitere Wickel scheint gesorgt.

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 ??  ?? Rücken- und Lagenstar Katinka Hosszú (27) hält bei drei Olympia-, zehn WM- und 23 EM-Titeln sowie einem gestürzten Verbandspr­äsidenten.
Rücken- und Lagenstar Katinka Hosszú (27) hält bei drei Olympia-, zehn WM- und 23 EM-Titeln sowie einem gestürzten Verbandspr­äsidenten.
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Foto: APA/Kisbenedek Tamás Gyárfás dankte nach 23 Jahren als Präsident ab.

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