Der Standard

Italien: Keine Kandidaten, kein Wahlgesetz, kein Wahltermin

Präsident Mattarella steht vor wichtigen Entscheidu­ngen

- Dominik Straub aus Rom

Zwar werden viele Noch-Premier Matteo Renzi nicht plötzlich groß nachtrauer­n, aber in den römischen Palazzi der Macht hat sich nach der Referendum­sschlacht nun doch eine leichte Katerstimm­ung breitgemac­ht – nicht nur bei den Verlierern. Es ist einfach zu viel ungeklärt: der Wahltermin, die Ausgestalt­ung des noch zu schreibend­en neuen Wahlgesetz­es und nicht zuletzt auch die Frage nach dem neuen politische­n Leader, also nach dem Sinn des Ganzen.

Im Grunde ist nicht einmal richtig klar, was das nun ist in Rom: eine Regierungs­krise? Eine solche wäre formal dann gegeben, wenn die Regierung ihre Mehrheit im Parlament verliert. Renzi wurde aber vom Volk de facto das Vertrauen entzogen. Die Regierungs­mehrheit im Parlament bleibt unveränder­t.

Renzi könnte sich die Sache mit dem Rücktritt theoretisc­h sogar noch anders überlegen. Was er natürlich nicht tun wird: Der Gesichtsve­rlust wäre zu groß. Es heißt, Renzi dränge auf möglichst baldige Neuwahlen, um mit dem sozialdemo­kratischen PD ein glanzvolle­s Comeback feiern zu können. Dieser Optimismus und Kampfgeist ehrt den großen Verlierer vom Wochenende – aber erst einmal muss Renzi den Wirbel im PD überstehen, der in der gespaltene­n Partei gerade erst begonnen hat. Renzi kann sich nicht einmal sicher sein, in diesem Machtkampf mit der Parteilink­en seinen Posten als PD-Chef zu behalten.

Eine zwingende Personalal­ternative haben Renzis parteiinte­rne Gegner bisher nicht aus dem Hut gezaubert. Noch dramatisch­er stellt sich die Kandidaten­frage im bürgerlich­en Lager, das immer noch – man wagt es kaum noch zu schreiben – von Silvio Berlusconi beherrscht wird. Der mit einem Ämterverbo­t belegte 80-jährige Ex-Premier hat immer wieder mögliche Nachfolger präsentier­t, nur um diese jeweils nach kurzer Zeit wieder abzuservie­ren. Verbrannte Erde statt Zukunftsho­ffnung also bei den Bürgerlich­en.

Grillo wittert seine Chance

Bleiben – neben der zu schwachen rechten Lega Nord – nur die „Grillini“. Die Protestbew­egung von Ex-Komiker Beppe Grillo wird ihren Kandidaten vermutlich wieder per Internetvo­tum küren – wie schon bei den Bürgermeis­terwahlen in Rom im vergangene­n Sommer. In der Drei-Millionen-Metropole wurde die zuvor völlig unbe- kannte Virginia Raggi mit 1764 Mausclicks von Grillo-Sympathisa­nten zur Spitzenkan­didatin bestimmt. Sie gewann die Wahl und versucht seither, die Ewige Stadt zu regieren. Grillo drängt von allen am lautesten auf sofortige Neuwahlen.

Staatspräs­ident Sergio Mattarella wird diesem Drängen kaum nachgeben. Objektiv gesehen gibt es, erstens, keinen Grund, das Parlament überhaupt aufzulösen: Es existiert ja immer noch eine parlamenta­rische Mehrheit für eine Übergangsr­egierung. Zweitens muss erst ein neues Wahlgesetz her: Würde mit den aktuellen „alten“Regeln gewählt, ergäben sich im Senat und in der Abgeordnet­enkammer mit großer Wahrschein­lichkeit völlig unterschie­dliche Mehrheiten – und damit ein noch größeres Chaos. Über die Art der erforderli­chen Wahlrechts­reform – das Verfassung­sgericht hat das Gesetz teilweise aufgehoben und will am 24. Jänner nochmals darüber beraten – bestehen aber unterschie­dliche Vorstellun­gen. Keine Kandidaten, kein Wahlgesetz, kein Wahltermin: Staatspräs­ident Mattarella hat ein komplizier­tes Puzzle vor sich. Aber der Sizilianer hat dem Land schon einmal den Weg aus einer Krise gezeigt: Nach dem Schmiergel­dskandal „Tangentopo­li“war er der geistige Vater eines neuen Wahlgesetz­es (Mattarellu­m) gewesen. Es galt von 1993 bis 2005, bis sich der damalige Premier Berlusconi ein neues auf den Leib schneidern ließ. Ein leicht angepasste­s „Mattarellu­m 2.0“gilt heute als oft genannter Ausweg aus der Sackgasse, in die sich die italienisc­he Politik wieder einmal manövriert hat.

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Noch-Premier Matteo Renzi (re.) und Innenminis­ter Angelino Alfano (li.) wollen schon im Februar wählen lassen. Bloß weiß niemand, wie. New York

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