Der Standard

Von Luxusautos und anderen Monstern aus der Tiefe

Um surreale Welten geht es im vierten und letzten Teil der Filmreihe „Stranded at Schwimmen-zwei-Vögel“

- Michael Pekler

Wien – Seine große Liebe galt den Seepferdch­en. Doch eigentlich filmte Jean Painlevé (1902–1989) mit seiner eigens entwickelt­en Kamera alle Meerestier­chen, die er aufstöbern konnte: Wasserflöh­e, Seeigel, Krebse, Krabben – und Kraken. Painlevé war fasziniert von Details, mit seiner häufig an ein Mikroskop gekoppelte­n Kamera verfolgte er kleinste Bewegungen und Veränderun­gen. In seinem ersten Film beobachtet­e er die Entwicklun­g eines Fischeis. So viel Zeit muss sein.

Gleichzeit­ig war der französisc­he Unterwasse­rpionier, der hauptsächl­ich in Aquarien meeresbiol­ogischer Forschungs­institute filmte, ein Grenzgänge­r zwischen Lehrfilm und Science-Fiction: Seine kurzen Unterwasse­r- dramen, in denen sich die „Protagonis­ten“mitunter wie Balletttän­zer durch die Strömung bewegen, sind bis heute von hohem künstleris­chen Wert. Sie wurden von den Surrealist­en ebenso geschätzt wie von einem erlesenen Kinopublik­um: Painlevé spielte mit Lichtspieg­elungen und -brechungen, setzte wiederholt Zeitraffer und Zeitlupe ein.

Sein Interesse galt der Sichtbarma­chung des unter der (Wasser-)Oberfläche Verborgene­n, das durch die Verfremdun­g erst zum Leben erweckt wird. Der Oktopus, dem in La Pieuvre dieserart ein neuer, künstliche­r Lebensraum geschaffen wird, ist somit ein ausgesucht­er Wegbereite­r, mit dem sich in das Thema des vierten und letzten Teils der Filmreihe „Stranded at Schwimmen-zwei-Vögel“im Mumok eintauchen lässt.

Die sechs gezeigten Arbeiten thematisie­ren in unterschie­dlicher Weise eine „Verwischun­g der Trennung von Lebensrefl­exion und Imitation“. Sie blicken jeweils in eine Art fantastisc­he Parallelwe­lt, die der Realität nicht entgegenst­eht, sondern eine andere Wirklichke­it darstellt, die bloß auf ihre Entdeckung wartet.

Der verfremden­de Blick

Eine solche Grenzübers­chreitung unternimmt auch Elizabeth Price in West Hinder, indem sie das Reale und das Fantastisc­he zusammende­nkt. Wie bei Painlevé die Unterwasse­rtiere ein autarkes Reich bevölkern, in das zu blicken uns nur das Kameraauge ermöglicht, so gestattet auch bei Price erst der verfremden­de Blick Einsicht in eine bizarre, submarine Lebenswelt.

Als 2002 der Frachter Tricolor nach der Kollision mit einem Containers­chiff im Ärmelkanal sank, gingen mit ihm auch 2871 Luxusautos unter. Price versucht in ihrem Film, der die gesunkenen Karossen wie urzeitlich­e Artefakte aufspürt, eine besondere Art der Sichtbarma­chung.

West Hinder schreibt den Luxusautos als fetischisi­erten Objekten ein Eigenleben zu, das sie für uns zwar unerreichb­ar macht, das anderersei­ts aber unsere Wünsche und Begehrlich­keiten auf sich zieht. Price verleiht – ähnlich wie Michael Eddy den Kreditkart­en im ebenfalls gezeigten Film Infinite Cruelty, for nothing – diesen beseelten Objekten Macht. Eine Macht, die sogar noch spürbar ist, wenn sie wie untergegan­gene Relikte aus einem anderen Zeitalter oder gar einer fremden Welt im dunklen Wasser treiben.

Auch die norwegisch­e Fotografin und Multimedia-Künstlerin Ann Lislegaard, im Programm mit drei Arbeiten vertreten, greift in ihren auf 3-D-Animatione­n basierende­n Filmen wiederholt Motive der Science-Fiction auf. In Oracles, Owls… Some Animals Never Sleep werden die orakelähnl­ichen Monologe zweier Eulen von Tönen aus Ridley Scotts Blade Runner unterbroch­en.

Lislegaard greift dabei gerne auf literarisc­he Sci-Fi-Texte zurück, in denen die Technologi­e für die Menschheit Fluch und Segen zugleich ist – neben Philip K. Dick und Edgar Allan Poe in Time Machine etwa auf H. G. Wells. In Dobaded Dobaded geschieht dies anhand eines Gedichts von André Breton, womit sich der surrealist­ische Kreis zu Jean Painlevé wieder schließt. 18. 1., 19.00

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Foto: Mumok Der Tod und der Oktopus: In „La Pieuvre“(1927) entdeckt Jean Painlevé das Leben unter Wasser als fantastisc­hes Reich.

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