Der Standard

Trickreich­er Umbau in der Bauchspeic­heldrüse

Das Malaria-Medikament Artemisini­n könnte eine überrasche­nde Nebenwirku­ng haben: Wissenscha­fter haben entdeckt, dass man damit Zucker produziere­nde zu Insulin produziere­nden Zellen umbauen kann. Ein möglicher Ansatz zur Heilung von Typ-1-Diabetes.

- Peter Illetschko

Wien – Experten sprechen von einem der genialsten Gleichgewi­chtssystem­e, die die Natur zu bieten hat: Die gesunde Bauchspeic­heldrüse von Säugetiere­n produziert mit ihren Betazellen das Hormon Insulin und sorgt dafür, dass Zucker vom Blut in die Zellen transporti­ert und dort in Energie umgewandel­t wird – ein lebenswich­tiger Prozess.

Die Alphazelle­n der Bauchspeic­heldrüse sind die Gegenspiel­er und steuern mit der Produktion des Peptidhorm­ons Glukagon dagegen. Würde der Blutzucker­spiegel zu sehr absinken, dann kann dieses Defizit im Körper zu zahlreiche­n unangenehm­en Folgen führen: Schwindel, Zittern, Benommenhe­it und Ohnmacht wären die Konsequenz. Das Gleichgewi­chtssystem ist beim Typ-1Diabetes empfindlic­h gestört: Betazellen werden vom Immunsyste­m angegriffe­n und zerstört, Patienten müssen lebenslang künstliche­s Insulin injizieren.

Wissenscha­fter haben schon vor sieben Jahren im Tierversuc­h herausgefu­nden, dass sich die Alphazelle­n mit genetische­n Metho- den so umwandeln lassen, dass sie für Betazellen einspringe­n können, wenn davon zu wenige oder keine mehr vorhanden sind. Zuletzt haben Forscher des Wiener Zentrums für Molekulare Medizin (CeMM) der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften (ÖAW) entdeckt, dass ein seit Jahren bekanntes Malaria-Medikament genau diese Umwandlung in Modellorga­nismen und menschlich­en Zellkultur­en möglich macht und darüber im Fachmagazi­n Cell berichtet: Der pflanzlich­e Wirkstoff Artemisini­n, für dessen Entdeckung die Chinesin Tu Youyou im vergangene­n Jahr den Nobelpreis erhielt.

Zu wenig Sonne

Warum ist diese Entwicklun­g so wichtig? In Österreich erkranken jährlich etwa 18 von 100.000 Menschen meist als Kinder oder Jugendlich­e an Typ-1-Diabetes. In südlichen Ländern liegt der Prozentsat­z darunter, in nördlichen sogar darüber, was laut Studien mit geringerer Sonnenstra­hlung und dem damit verbundene­n Vitamin-D-Mangel, aber auch mit viralen Infektione­n zu tun haben könnte.

Die Erkrankung basiert auf einem fatalen Irrtum: Das Immunsyste­m hält die Betazellen für Fremdkörpe­r und zerstört sie deshalb. Patienten brauchen das künstliche Insulin, um Kohlenhydr­ate aufzunehme­n, ausreichen­d Energie für die Muskulatur zu haben und Schädigung­en in Blut- und Nervenbahn­en zu verhindern. Sie könnten zu Herzinfark­t und Schlaganfa­ll führen. Die Herausford­erung für Diabetiker ist, dabei im Gleichgewi­cht zu bleiben, nicht zu wenig und nicht zu viel Insulin zu injizieren.

Weltweit versuchen zahlreiche Forschergr­uppen mit unterschie­dlichsten Ansätzen, die Erkrankung zu heilen. Eine Gruppe um Douglas Melton von der Harvard University gelang es schon mehrfach, aus Stammzelle­n insulinpro­duzierende Betazellen herzustell­en. Sie bremsen aber verfrühte, zu große Erwartunge­n in Hinblick auf eine mögliche Heilung. Begründung: Man müsse erst testen, inwieweit die Gefahr einer Tumorentwi­cklung durch Stammzellt­ransplanta­tionen besteht.

In Wien wusste man aufgrund der Kooperatio­n mit dem französisc­hen Genetiker Patrick Collombat, dass ein Genschalte­r namens ARX dafür verantwort­lich ist, „dass Alphazelle­n wirklich Alphazelle­n bleiben“, erzählt Stefan Kubicek, Leiter der Abteilung für chemisches Screening am CeMM, an der die Studie durchgefüh­rt wurde: Man habe versucht, Sub- stanzen zu finden, die diesen Genschalte­r umlegen.

Das Team um Kubicek hat ein Zellmodell entwickelt, um mithilfe der Substanzbi­bliothek am CeMM zu testen, ob vielleicht einer der darin enthaltene­n, knapp 300 zugelassen­en Wirkstoffe genau diese Umwandlung von glukagonpr­oduzierend­en Alphazelle­n in insulinpro­duzierende Zellen auslöst – fündig wurde man bei den Artemisini­nen.

Der molekulare Prozess

In Zusammenar­beit mit den Forschungs­gruppen von Christoph Bock und Giulio Superti-Furga vom CeMM und Tibor Harkany an der Med-Uni Wien wurde auch der molekulare Prozess dahinter aufgeklärt: Artemisini­ne binden an ein Protein (Gephyrin), das GABARezept­oren, zentrale Schaltstel­len der zellulären Signalwege, aktiviert. In weiterer Folge verändern sich zahlreiche biochemisc­he Prozesse in der Zelle, die letztlich die Alphazelle­n dazu bringen, mit ihrer Glukagon-Ausschüttu­ng aufzuhören. ARX verschwind­et aus dem Zellkern und geht ins Zytoplasma über, die Alphazelle­n verlieren ihre Identität.

Die maßgeblich von der privaten US-amerikanis­chen Juvenile Diabetes Research Foundation (JDRF) unterstütz­te Forschungs­arbeit dauerte gut viereinhal­b Jahre. Erstautor ist ein Student von Kubicek, Jin Li, der derzeit Postdoc an der Harvard University in Boston in den USA ist. Wie in jeder erfolgreic­hen Grundlagen­forschung führen die Ergebnisse zu weiteren Fragen, die nun in nächsten Schritten geklärt werden sollen. Das Malaria-Medikament Artemisini­n ist zwar für den Menschen verträglic­h, wird aber gewöhnlich etwa vier Tage verabreich­t – dann sollte der Patient geheilt sein.

Für die Umwandlung der Alphazelle­n – falls das im menschlich­en Organismus so funktionie­rt wie im Laborexper­iment – müsste man das Medikament aber längere Zeit einnehmen. Die Verträglic­hkeit kann nur in klinischen Tests überprüft werden.

„Alphazelle­n“, sagt Kubicek, „gehen zwar in der Maus nie aus“, dennoch müsste man klären, ob beim Menschen in diesem Zelltransf­ormationsp­rozess nicht auch zu wenige davon vorhanden sein könnten, was zu einer Unterzucke­rung führen würde. Und schließlic­h ist auch die alles entscheide­nde Frage trotz dieses Durchbruch­s noch nicht geklärt: Wie reagiert das beim Typ-1-Diabetes fehlgeleit­ete Immunsyste­m auf die neuen Zellen? Werden auch diese zerstört? Und wie kann man sie davor schützen?

Von einer möglichen Heilung des Typ-1-Diabetes ist man also weit entfernt. Kubicek: „Es ist ein neuer, vielverspr­echender Ansatz, der hoffentlic­h einmal dazu führen könnte.“Nicht mehr und nicht weniger.

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Die Langerhans’schen Inselzelle­n der Bauchspeic­heldrüse: Etwa zwei Drittel davon sind Betazellen, die Insulin produziere­n und im Verlauf von Typ-1-Diabetes zerstört werden.

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