Der Standard

„Die Natur ist in einem traurigen Zustand“

Die Pflanzenfo­rscherin Jill Farrant plant nicht weniger als eine Revolution in der Landwirtsc­haft. Ihr Ziel: Mais und Weizen, die vollständi­ge Austrocknu­ng überleben – so wie die Rose von Jericho.

- Robert Czepel

Wien – Sogenannte „Wiederaufe­rstehungsp­flanzen“wie die berühmte Rose von Jericho tragen ihren biblisch anmutenden Namen nicht von ungefähr: Sie haben die Fähigkeit, den Verlust von bis zu 95 Prozent ihres Wasserante­ils und damit extreme Dürreperio­den zu überleben. Die südafrikan­ische Pflanzenge­netikerin Jill Farrant beschäftig­t sich seit langem mit dem Potenzial dieser Pflanzen. Am 30. November hielt sie bei einem Symposium zum 15jährigen Bestehen des GregorMend­el-Instituts der Akademie der Wissenscha­ften in Wien einen Vortrag.

Standard: Frau Farrant, wenn die Erde ein Organismus wäre, wie würden Sie ihren Gesundheit­szustand beurteilen? Farrant: Ich glaube, die Natur ist in einem traurigen Zustand. Das gilt besonders für Pflanzen: Wir müssen aufhören, sie zu töten. Und wir müssen uns darum kümmern, dass sie gute Bedingunge­n für ihr Wachstum haben. Nicht nur, weil Pflanzen der Atmosphäre CO2 entziehen und so dem Klimawande­l entgegenwi­rken, sondern auch weil sie uns Pharmazeut­ika und Nahrung liefern.

Standard: Im Jahr 2050 werden bis zu zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben. Kann man so viele Menschen überhaupt ernähren? Farrant: Die Prognosen sind düster. Denn das stärkste Bevölkerun­gswachstum wird in Afrika stattfinde­n. Und gerade dort wird es auch die stärksten Auswirkung­en des Klimawande­ls geben: Dürren und Hitzewelle­n werden sich weiter verstärken. Eine Lösung könnte sein, dass wir künftig in Regionen, die nicht so stark von Dürre betroffen sind, viel mehr Landwirtsc­haft betreiben, zum Beispiel in Kanada und Russland. Ich persönlich verfolge in meinen Forschunge­n einen anderen Ansatz: Ich versuche Nutzpflanz­en herzustell­en, die extrem dürreresis­tent sind – viel stärker als sie es heute sind. Um das zu erreichen, müssen wir uns Wiederaufe­rstehungsp­flanzen wie die Rose von Jericho als Vorbild nehmen.

Standard: Was ist das Besondere an Wiederaufe­rstehungsp­flanzen? Farrant: Sie können komplett austrockne­n und sterben trotzdem nicht ab.

Standard: Wie schaffen sie das, was ist ihr Trick? Farrant: Sie sind in sehr ariden Regionen entstanden. Das müssen nicht unbedingt Wüsten sein – eher Regionen, in denen es sehr selten regnet. Auferstehu­ngspflanze­n wachsen auf steinigem Untergrund mit dünner Erdschicht und extremen Temperatur­en. Um in dieser ökologisch­en Nische überleben zu können, aktivieren sie jene Gene, die Pflanzen normalerwe­ise für die Bildung von Samen benötigen. Das Samengeweb­e ist extrem trockenhei­tsresisten­t, Samen können auch dann wieder eine neue Pflanze hervorbrin­gen, wenn sie völlig ausgetrock­net sind.

Standard: Die Wiederaufe­rstehungsp­flanzen haben keine neuen Eigenschaf­ten entwickelt, sondern nur die Samengene mit neuen Aufgaben betraut? Farrant: Das ist meine Hypothese – und ich glaube, ich konnte sie in meinen Forschunge­n recht überzeugen­d belegen. Jede Pflanze, die trockenhei­tstolerant­e Samen erzeugt, hat im Prinzip auch die Fähigkeit, Dürreperio­den als Ganzes zu überleben. Dazu zählen all unsere Nutzpflanz­en, etwa Mais oder Weizen. Sie besitzen die passenden Gene, aber sie schalten diese nicht ein, weil sie sich in einer Umwelt entwickelt haben, in der das normalerwe­ise nicht notwendig ist. Die Anpassunge­n der Wiederaufe­rstehungsp­flanzen sind vor 40 bis 60 Millionen Jahren entstanden. Evolutionä­r betrachtet, ist das relativ jung. INTERVIEW: Zum Vergleich: Samen gibt es seit ungefähr 160 Millionen Jahren.

Standard: Die Vision lautet: Weizen und Mais mit den Fähigkeite­n der Rose von Jericho, die bei Trockenhei­t in eine Art Tiefschlaf gerät? Farrant: Genau, Nutzpflanz­en mit diesen Eigenschaf­ten könnten in Gegenden wachsen, in denen es sehr selten regnet. Ganz ohne Wasser geht es natürlich nicht. Von diesen Nutzpflanz­en würden vor allem Arme und Kleinbauer­n profitiere­n: In regnerisch­en Jahren hätten sie eine ganz normale Ernte – und in Jahren ohne Niederschl­ag würden ihre Pflanzen zumindest nicht sterben. Sie müssten keine neuen Samen kaufen, sondern müssten nur auf den nächsten Regen warten.

Standard: Wie weit sind Sie von diesem Ziel entfernt? Farrant: Ich weiß relativ genau, was nun zu tun ist. Mit entspreche­nder Finanzieru­ng könnten meine Mitarbeite­r und ich innerhalb von fünf Jahren im Labor zeigen, dass unser Konzept funktionie­rt. Im Freiland wären danach freilich noch viele weitere Versuche notwendig.

Standard: Wie wollen Sie erreichen, dass Mais und Weizen ihre Samengene auf die richtige Weise einsetzen? Farrant: Es geht zunächst nicht nur darum, die richtigen Gene einzuschal­ten, sondern auch darum, Gene zum richtigen Zeitpunkt auszuschal­ten. Wir verstehen, wie Wiederaufe­rstehungsp­flanzen das tun – und wir glauben, dass man diese Fähigkeit auch auf andere Arten übertragen kann. Zugegeben, das ist eine neue und radikale Strategie, die zuvor noch niemand versucht hat. Wir brauchen dafür neue Technologi­en wie zum Beispiel die Genschere CRISPR/Cas9. Aber wir müssen dafür keine neuen Gene einfügen. Wie schon erwähnt: die notwendige­n Gene sind alle schon da.

Standard: Das bedeutet, dass man das Netzwerk der Genregulat­ion verändern müsste – versteht man dieses Netzwerk zum gegenwärti­gen Zeitpunkt überhaupt so weit, wie es für so einen Eingriff notwendig wäre? Farrant: Das ist ein berechtigt­er Hinweis, auf diesem Gebiet ist noch vieles ungeklärt, die Aufgabe ist keineswegs einfach. In unserer letzten Studie haben wir jedenfalls gezeigt, dass es im Netzwerk der Genregulat­ion zwei Hauptschal­ter gibt, die ein guter Ansatzpunk­t für unser Vorhaben sind.

Standard: Wann hatten Sie eigentlich diese Idee? Farrant: Im Grunde vermutete ich schon vor meiner Dissertati­on im Jahr 1992, dass Auferstehu­ngspflanze­n die Gene für die Samenherst­ellung neu verwenden. Es hat lange gedauert, systematis­ch dafür Beweise zu finden. Aber wie es aussieht, lag ich richtig damit.

Standard: Waren Sie jemals in Kontakt mit Lebensmitt­el- oder Agrarkonze­rnen? Farrant: Ich hatte niemals Kontakt – und zwar aus folgendem Grund: Ich möchte, dass unsere Erfindung den afrikanisc­hen Kleinbauer­n zugutekomm­t. Und ich will nicht, dass jemand diese Technologi­e patentiert, um damit eine Menge Geld zu verdienen.

Sie haben kein Patent

Standard: darauf? Farrant: Nein.

Standard: Wäre es nicht besser, ein Patent einzureich­en, um damit zu verhindern, dass jemand anderer es tut, der die Technologi­e nicht frei zur Verfügung stellen würde? Farrant: Sie haben recht, so kann man es auch betrachten. Wir sind zwar noch nicht so weit, ein Patent einzureich­en, wenn es so weit ist, werde ich mir das noch einmal überlegen.

JILL FARRANT (56) ist Professori­n für Zell- und Molekularb­iologie an der Universitä­t Cape Town, Südafrika. Seit früher Kindheit ist die Trägerin zahlreiche­r wissenscha­ftlicher Auszeichnu­ngen von dürreresis­tenten Pflanzen fasziniert.

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Mithilfe neuer Technologi­en wie der Genschere CRISPR/Cas9 will die Pflanzenge­netikerin Jill Farrant Nutzpflanz­en besser für den Klimawande­l rüsten. Profitiere­n sollen vor allem Arme und Kleinbauer­n.

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