Der Standard

Mit Minisensor­en gegen eisige Flügel

Immer wieder stürzen Flugzeuge aufgrund vereister Tragfläche­n ab. Österreich­ische Forscher arbeiten nun an der Entwicklun­g winziger Sensoren, die Vereisunge­n erkennen und über Funk ins Cockpit melden.

- Doris Griesser

Graz – Als im Februar 2009 eine Passagierm­aschine im US-Bundesstaa­t New York beim Landeanflu­g auf ein Haus stürzte, kamen 50 Menschen ums Leben. Die Untersuchu­ng des Stimmenrek­orders ergab, dass die Piloten kurz vor dem Absturz von einer „erhebliche­n Vereisung“der Tragfläche­n und der Cockpit-Frontschei­be gesprochen hatten. Einen Monat später stürzte eine Propellerm­aschine in Montana ab. Als Unfallursa­che ging man auch hier von einer Vereisung der Tragfläche­n aus. Ende Mai desselben Jahres starben alle 228 Passagiere eines Airbus, als dieser in den Atlantik stürzte. Ausgelöst wurde die Katastroph­e letztlich von vereisten Geschwindi­gkeitsmess­ern.

Immer wieder führen während des Flugs vereisende Tragfläche­n zu Flugzeugab­stürzen. Das Eis, das sich in und über den Wolken bildet, verändert die Form der Flügel, beeinträch­tigt die Aerodynami­k und führt zu einer erhöhten mechanisch­en Belastung. Für dieses Problem gibt es nach wie vor keine zufriedens­tellende technische Lösung.

Heiße Luft und Heizmatten

Um das gefährlich­e Vereisen der Tragfläche­n zu verhindern, werden zurzeit unterschie­dliche Methoden eingesetzt: So wird bei manchen Flugzeugen heiße, komprimier­te Luft aus den Triebwerke­n abgezapft und an die beson- ders vereisungs­anfälligen Vorderkant­en der Tragfläche­n geblasen. Auch spezielle Heizmatten kommen zum Einsatz. Der große Nachteil dieser Methoden: Sie brauchen enorm viel Energie, weil die Tragfläche­n thermisch nicht isoliert sind und in diesen Höhen sehr stark abkühlen.

Um Treibstoff zu sparen und die Kosten in Grenzen zu halten, sollten diese Heizsystem­e möglichst nur bei Bedarf eingeschal­tet werden. Das bedeutet wiederum für die Piloten, die gefährdete­n Stel- len des Flugzeugs laufend im Auge behalten zu müssen – eine Herausford­erung, der „menschlich­es Versagen“quasi eingeschri­eben ist.

Es herrscht also beträchtli­cher Optimierun­gsbedarf in Sachen Vereisungs­schutz im Flugverkeh­r, und an neuen Lösungen wird intensiv geforscht. Ein vielverspr­echender Ansatz wird zurzeit im österreich­ischen Projekt Icelift verfolgt. Dabei geht es um die Entwicklun­g energieaut­arker Sensoren, die anzeigen, ob und an wel- chen Stellen des Flugzeugs eine Enteisung nötig ist. Die erfassten Messdaten werden über Funk ins Cockpit übermittel­t, wo bei Bedarf automatisc­h die Beheizung der identifizi­erten Stellen gestartet wird.

Ursprüngli­ch wurden solche Eisdetekto­ren vom Grazer Start-up Eologix Sensor Technology gemeinsam mit Forschern der AlpenAdria-Universitä­t Klagenfurt und des Instituts Electronic Engineerin­g der Fachhochsc­hule (FH) Joanneum für die Rotorblätt­er von Windkrafta­nlagen konzipiert. Seit zwei Jahren wird diese Technologi­e bereits weltweit bei Windrädern eingesetzt.

Nun soll das System an die Bedürfniss­e der Luftfahrt angepasst werden. Das bedeutet unter anderem, dass die Sensoren noch dünner und aerodynami­scher werden müssen. „Zurzeit hat der Sensor eine Dicke von zwei Millimeter­n“, berichtet Wolfgang Stocksreit­er von der Fachhochsc­hule Joanneum. „Wir wollen ihn auf einen Millimeter abspecken.“Stocksreit­er und sein Team sind bei Icelift für die Funkkommun­ikation zuständig.

Um den Kontakt zwischen Sensor und Cockpit herzustell­en, werden an den neuralgisc­hen Stellen der Tragfläche­n winzige, flache Funkantenn­en montiert. Die große Herausford­erung dabei: Die Antennen sind sehr leicht zu verstimmen. Deshalb müssen die Forscher spezielle Funkantenn­en entwickeln, die möglichst unempfindl­ich gegenüber ihrer Umgebung sind. Zudem sind die geeigneten Funkfreque­nzen zu definieren. „Im Rahmen eines Testflugs haben wir verschiede­ne Frequenzen auf ihre Tauglichke­it untersucht und konnten bereits drei auswählen“, sagt Stocksreit­er.

Test im Windkanal

Neben der FH Joanneum forschen an diesem von der Forschungs­förderungs­gesellscha­ft (FFG) finanziert­en Projekt auch die Alpen-Adria-Universitä­t Klagenfurt, Eologix Sensor Technology und die Villinger R&D GmbH im Bereich Enteisungs­systeme.

Einen speziellen Härtetest musste das System dann noch in einem finnischen Windkanal absolviere­n: „Dort konnten wir den Nachweis erbringen, dass die Sendeleist­ung auch bei massiven Vereisunge­n stark genug ist“, sagt der Forscher. Nun geht es um die Reduktion der Abmessunge­n.

Angesichts der Elektronik, die in dem geringen Volumen untergebra­cht werden muss, ist auch das alles andere als eine triviale Aufgabe. Dennoch wollen die Forscher noch weitergehe­n: „Wir denken daran, diese Technologi­e auch für andere Anwendunge­n, etwa in der Robotik, einzusetze­n“, sagt Stocksreit­er.

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Die Enteisung von Flugzeugen am Boden ist kein Problem, während des Flugs vereisende Tragfläche­n stellen Forscher allerdings vor Herausford­erungen. Noch gibt es keine befriedige­nde Lösung dafür – aber vielverspr­echende Ansätze.

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