Der Standard

Wie und was aus der Geschichte gelernt werden kann

Die Gefahren des erstarkend­en Populismus wurden bei einem Symposium in Wien diskutiert

- Julia Grillmayr

Wien – „Auch wenn Menschen in eine sicherere, für sie bessere Situation auswandern, trauern sie um ihre altes Leben“, sagte Li Bennich-Björkman bei den „Aktionstag­en: Flucht – Migration – Demokratie“, die vergangene Woche in Wien stattfande­n. Die Politikwis­senschafte­rin an der schwedisch­en Universitä­t Uppsala forderte dazu auf, im Gegensatz zu einer System-Perspektiv­e, das Augenmerk auf die Lebenswelt von Flüchtling­en und Migranten zu lenken, um Ansätze für eine gelingende Integratio­n zu entwickeln.

Der wissenscha­ftliche Teil der Aktionstag­e bestand aus einem Symposium in der Aula der Akademie der bildenden Künste, das Zugänge zu der aktuellen Flüchtling­sthematik, aber auch zu Populismus, Renational­isierung und der Zukunft der Europäisch­en Union versammelt­e.

Ironie der Geschichte

Holly Case, Historiker­in an der amerikanis­chen Brown University, zeigte in Fallstudie­n „ironische Aspekte“aktueller Entwicklun­gen auf. Erstaunlic­h sei etwa, dass ungarische Nationalis­ten, die sich bis zuletzt weigerten, die heutigen Grenzen des – nach dem Zweiten Weltkrieg kleineren – Ungarn anzuerkenn­en, diese nun mit Mauern einzementi­eren. Eine weitere Ironie sei, dass der nationalis­ti- sche Diskurs inzwischen so breit sei, dass jede Position, die der Flüchtling­spolitik kritisch gegenübers­tehe, vereinnahm­t werde. So komme es etwa dazu, dass jüdische Intellektu­elle für rechte, teils antisemiti­sche Politiker einträten. Alte Konzepte und Begriffe müssten in einem neuen Licht betrachtet werden.

Wie und was aus der Geschichte gelernt werden kann, beschäftig­te Gudrun Biffl, Leiterin des Department Migration und Globalisie­rung der Donau-Uni Krems. Sie kritisiert­e, dass sich die EU-Statten nicht auf eine sinnvolle Unterstütz­ung des UN-Flüchtling­shochkommi­ssariats UNHCR einigen konnten. Mit mehr Mitteln hätte man in Syrien, dem Liba- non und der Türkei vor Ort helfen können.

Jan-Werner Müller, Politikwis­senschafte­r an der Universitä­t Princeton, ist derzeit Gastforsch­er am österreich­ischen Institut für die Wissenscha­ften vom Menschen (IWM). Bei den Aktionstag­en plädierte er dafür, den Begriff Populismus gezielter einzusetze­n, und nannte einige Hauptmerkm­ale: Populisten würden etwa ein „echtes“Volk für sich reklamiere­n und somit jedes Andersdenk­en für illegitim erklären.

Verlockend­e Symbolik

Er warnte zudem vor der gängiger werdenden Praxis, Menschen die Staatsbürg­erschaft abzuerkenn­en. „Das ist der Symbolik halber verlockend, daher werden wir das noch öfter hören. Wir sollten uns dieser Entwicklun­g klar entgegenst­ellen.“

Die Wiener Philosophi­n Isolde Charim beschäftig­te sich in ihrem Vortrag mit dem Verhältnis der imaginären und tatsächlic­hen Dimensione­n der Flüchtling­skrise. Während auf der materielle­n Ebene die Flüchtling­shelfer wirksamer seien – etwa wenn sie Wohnmöglic­hkeiten für die Betroffene­n schaffen –, werde die symbolisch­e Ebene vor allem von rechtsextr­emen Positionen besetzt.

„Es wird höchste Zeit, ‚ demos‘ neu zu definieren, wenn wir über Demokratie sprechen“, sagte Anton Shekhovtso­v, der zurzeit am IWM in Wien forscht. Den Konsens, der seit Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa herrschte, in der Politik nicht über Religion, Ethnizität und Kultur zu sprechen, gebe es nicht mehr. „Ein Politiker kann offen rassistisc­h und sexistisch sein und trotzdem gewählt werden.“

Eine weitere Lehre, die aus der Wahl Donald Trumps sowie aus der Bundespräs­identenwah­l in Österreich gezogen werden müsse, ist, dass das Establishm­ent die moralische Autorität verloren habe. Angesichts der bevorstehe­nden Wahlen in Frankreich und Deutschlan­d sagte Shekhovtso­v: „Es muss rasch etwas getan werden, um die liberale Demokratie zu retten.“

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Für eine gelingende Integratio­n muss die Lebenswelt von Flüchtling­en in den Fokus rücken, sagt die Politologi­n Li Bennich-Björkman.

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