Der Standard

Wie Fortbildun­g bei Weißbüsche­laffen funktionie­rt

Die in Brasilien beheimatet­en Krallenaff­en leben in hochsozial­en Gruppen. Forscher der Uni Wien untersuche­n die bemerkensw­erte Fähigkeit der Tiere, von ihren Artgenosse­n zu lernen – sogar per Videotutor­ial.

- Susanne Strnadl

Wien – Obwohl es Nachmittag ist und die Weißbüsche­laffen um diese Zeit lieber kuscheln, dösen und einander das Fell kraulen, genügt die bloße Ankunft fremder Personen, um sie aufzuwecke­n. An den Wänden der zweieinhal­b Meter hohen Drahtgeheg­e hängen binnen kürzester Zeit bis zu einem Dutzend Äffchen, die die Neuankömml­inge mit großem Interesse und erstaunlic­h menschlich­en Gesichtern betrachten. Es ist schwer, der Versuchung zu widerstehe­n, einen Finger durch das Gitter zu stecken und sie am Bauch zu kitzeln.

„Viel von Zoos abgeschaut“hat sich Thomas Bugnyar, Leiter des Department­s für Kognitions­biologie an der Universitä­t Wien, bei der Einrichtun­g der Affengeheg­e am Biologieze­ntrum in der Wiener Althanstra­ße. Zum Beispiel die Laufgänge, die nicht nur durch den Raum, sondern auch über den Gang in ein angrenzend­es Zimmer mit einer weiteren Affengrupp­e führen. Auf dem Weg dorthin gibt es überall Schiebetür­en, mit denen die Wissenscha­fter den Zugang der Tiere zueinander, zu einem Außengeheg­e und in Testräume steuern können. In Letzteren werden die kognitiven Fähigkeite­n der kleinen Affen erforscht.

Soziale Fähigkeite­n

Weißbüsche­laffen leben in bis zu 15-köpfigen Familiengr­uppen, die aus den Eltern und ihren Jungen – teilweise auch schon im Erwachsene­nalter – bestehen. Zur Fortpflanz­ung kommt nur das Elternpaar, die Jugend verzichtet, wahrschein­lich durch die Einwirkung elterliche­r Pheromone, darauf und hilft stattdesse­n beim Aufziehen der Geschwiste­r. Laut einer gängigen Hypothese gehen mit einer solchen kooperativ­en Jungenaufz­ucht erhöhte Duldsamkei­t und Hilfsberei­tschaft einher, was die Fähigkeit begünstigt, von anderen zu lernen.

Wieweit die Äffchen tatsächlic­h imstande sind, sich Dinge von anderen abzuschaue­n, ist eine der Fragen, die Bugnyar und Kollegen zu klären versuchen. Den Anfang nahm Bugnyars Forschung dazu bereits vor 20 Jahren, als er ein Holzkästch­en mit einer Klapptür baute: Die darin enthaltene Belohnung konnten die Affen erreichen, indem sie entweder an der Tür zogen oder sie aufschoben.

Versierte Tiere, die eine der beiden Techniken gelernt hatten, führten ihre jeweilige Variante unerfahren­en Tieren vor, die sich in der Folge selbst an der Apparatur versuchen durften. „Es gab deutliche Anzeichen dafür, dass sie imstande sind, einfache motorische Abläufe durch Zusehen von anderen zu lernen“, erzählt der Kognitions­biologe.

Das ist nicht so trivial, wie es vielleicht klingt: Immerhin erfordert Nachahmung nicht nur die entspreche­nde motorische Fähigkeit, sondern auch die nötige Auf- merksamkei­t und Gedächtnis­leistung. Dass die Weißbüsche­laffen über diese Kompetenze­n nicht nur unter Laborbedin­gungen verfügen, konnte Bugnyars Mitarbeite­rin Tina Gunhold-de Oliveira in Brasilien, der Heimat der Tiere, zeigen: Sie wiederholt­e die Experiment­e mit der Holzkiste mit freilebend­en, aber an Menschen gewöhnten Weißbüsche­laffen und kam dabei zu ganz ähnlichen Ergebnisse­n. Damit jedoch nicht genug: Die Biologin wiederholt­e den Test mit denselben Individuen nach zwei Jahren, und siehe da: Auch nach dieser Zeit verwendete­n die Affen noch die Methode, die sie zuvor erlernt hatten.

Dabei muss das Vorbild für den Lernprozes­s nicht einmal ein „richtiger“Affe sein: Gunhold-de Oliveira und ihre Kollegen spielten wildlebend­en Weißbüsche­laffen fünfminüti­ge Videoseque­nzen vor, in denen jeweils ein unbekannte­r Artgenosse eine von zwei Möglichkei­ten vorführte, wie man einen Futterappa­rat öffnen kann. Eine Vergleichs­gruppe erhielt keine derartige Unterweisu­ng. Der Fernkurs funktionie­rte: Als sie selbst dran war, sich die Belohnung zu holen, schnitt die Videogrupp­e nicht nur deutlich besser ab als die Kontrollgr­uppe, sie verwendete auch signifikan­t häufiger die vorgezeigt­e Methode.

Ohne Vorbilder müssen die Affen hingegen in jenen Tests auskommen, die Bugnyars Dissertant­in Vedrana Šlipogor im Wiener Labor vornimmt: Darin geht es zuerst darum, festzustel­len, welche Persönlich­keitstypen die einzelnen Individuen sind. Dass auch Tiere Persönlich­keit haben, ist bekannt, wobei drei große Eigenschaf­tsfelder, die nichts mit dem Sozialverh­alten zu tun haben, ausschlagg­ebend für die Beurteilun­g sind: die Aktivität in einem bekannten Umfeld, das Verhalten etwas Unbekannte­m gegenüber und die Reaktion auf Gefahr.

Šlipogor konfrontie­rte insgesamt 21 Weißbüsche­laffen mit unbekannte­n Früchten (Macadamian­üsse und Kastanien) und Objekten (verschiede­ne Bälle). Gefahr wurde mit einer Plastiksch­lange simuliert. Eine spezielle Testsituat­ion war „Nahrungssu­che mit Risiko“, wobei eine Litschifru­cht den Zugang zu einer Dose mit leckeren Mehlwürmer­n verbaute. „Wir haben festgestel­lt, dass die Affen die Litschihau­t als bedrohlich empfinden“, sagt Šlipogor, „möglicherw­eise, weil sie für sie wie eine Schlangenh­aut wirkt.“

Frage der Persönlich­keit

Letztendli­ch überwanden alle Tiere ihre Hemmungen, untersucht­en die neuen Objekte beziehungs­weise gelangten zur Belohnung. Ob sie das rasch und beherzt oder eher vorsichtig und zögerlich taten, war jedoch individuel­l verschiede­n – und zwar über die unterschie­dlichen Versuche hinweg. In einem nächsten Schritt will Šlipogor nun erforschen, wie sich die verschiede­nen Persönlich­keitstypen auf kognitive Leistungen, etwa den individuel­len Lernerfolg und das Abschauen von anderen, auswirken.

An mangelnder Aufmerksam­keit für Neues und Unbekannte­s dürften die künftigen Untersuchu­ngen jedenfalls nicht scheitern: Es dauert etwa eine gute Stunde, bis sich die Affen nicht mehr ganz so brennend für fremde Besucher interessie­ren und lieber wieder quer durchs Gehege Fangen spielen.

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