Der Standard

„Wer die Daten hat, hat das Geschäft“

Mit dem Internet der Dinge wachsen Produkt und Service zusammen, erläutert der Professor für Technologi­emanagemen­t, Elgar Fleisch.

- Johanna Ruzicka

INTERVIEW: STANDARD: Beim Internet der Dinge (Internet of Things, IoT) wird jeder Gegenstand – für den Menschen oft unsichtbar – mit Minicomput­ern ausgestatt­et. Damit werden Prozesse ganz neu messbar, aber bringt das wirklich so viel wie erhofft? Fleisch: Wie alles hängt es natürlich von der Anwendung ab. Wir wissen aus der Betriebswi­rtschaftsl­ehre, dass man nur managen kann, was man auch messen kann. Und da man mit diesen Minicomput­ern sehr feingranul­iert messen kann, wird viel Neues möglich. Wir müssen oft noch herausfind­en, so es einen Sinn macht.

STANDARD: Was erwarten Sie bei industriel­len Produktion­sprozessen? Fleisch: Da die Maschinen frühzeitig spüren, wenn ihnen „was fehlt“oder wenn etwas schief läuft, können sie sofort nach Hilfe rufen und andere, verwandte Maschinen vorwarnen. Die Maschinen lernen voneinande­r. Allein dies ist schon ein großer Vorteil von Industrie 4.0.

STANDARD: Das klingt nach interessan­ten Anwendunge­n besonders für die Medizin. Fleisch: Ja, da erwarte ich mir unglaublic­he Dinge, insbesonde­re bei der Therapie. Die großen, chronische­n und mentalen Krankheite­n wird man aufgrund der neuen Technologi­en viel besser und zudem kostengüns­tiger behandeln können als bisher.

STANDARD: Stimmt der Eindruck, dass es bei Internet 4.0 nicht so sehr zu neuen Produkten als zu neuen Prozessen kommt? Fleisch: Nein, es geht tatsächlic­h um das gesamte Paket. Bei diesen Geschäftsm­odellen wird jeder Hersteller neue Produkte und Services anbieten, die aus einem physischen und einem digitalen Teil bestehen. – Das Nutzenvers­prechen ehemals rein phy- sischer Produkte wird erweitert, und zwar um digitale Dienstleis­tungen. Aus einer LED-Leuchte wird eine Alarmanlag­e. Aus einem Mobiltelef­on ein Diagnosewe­rkzeug, aus einer Kiste ein Wiederbest­ellsystem etc. Ich denke, dass es in der Industrie in wenigen Jahren kaum mehr den Verkauf von rein

physischen Sachen geben wird.

STANDARD: Haben Sie ein Beispiel?

Natürlich die Autoindust­rie, da ist dies schon länger zu beobachten. Man kauft sich schon des längeren kein Auto mehr, das nur fährt. Man will auch all die elektronis­chen Helferlein wie Navi, Notruf, Concierge Service, integriert­e Parkplatzs­uche und Einparkhil­fe. Das sind heute zum Teil schon Selbstvers­tändlichke­iten und wird noch mehr.

STANDARD: Sie sehen bei dieser Entwicklun­g die große Herausford­erung, dass die Maschinen, also die Hardware, aus Europa kommt und der digitale Anteil mit Google, Facebook etc. aus den USA? Fleisch: Ja. Das ist ja schon heute so: Im täglichen Leben verwenden wir fast ausschließ­lich digitale Services aus den USA. Und gleichzeit­ig gibt es viele europäisch­e Produkte mit Weltruf. Von der Werkzeugma­schine über die Küchenmasc­hine bis hin zum Auto. Europa hat das Glück, noch nicht auf die industriel­le Produktion verzichtet zu haben. Die USA haben vieles ausgelager­t. Und jetzt ist es so, dass mit dem IoT diese zwei Welten verschmelz­en.

STANDARD: Sie sehen darin eine gefährlich­e Entwicklun­g? Fleisch: Wir sind jetzt in der Phase, dass sich jede Firma in Europa – und damit auch in Österreich – überlegen muss: Was ist für mich relevant? Ein Teil dessen, was meine Kunden kaufen werden, wird digital sein. Da muss ich also neue Leute einstellen und digitale Kompetenze­n aufbauen – oder ich kann das an eine IT-Firma geben, die das für mich macht.

STANDARD: Also Auslagerun­g? Fleisch: Ich plädiere sehr stark dafür, dass Führungskr­äfte sich gründlich überlegen, was künftig die Kernkompet­enz ihres Unternehme­ns ist. Und dass sie nicht alles Digitale auslagern, sondern im Zweifel selbst machen. Ich kenne zahlreiche erfolgreic­he Unternehme­n, die sich nicht auf externes digitales Know-how verlassen, sondern die Digitalisi­erung ihrer Produkte selbst machen. Denn die Datenthema­tik ist beim IoT natürlich zentral: Wer die Daten hat, hat das Geschäft. Und es ist nicht sicher, wer künftig besser verdient: der physische oder der digitale Teil meines Produktes.

STANDARD: Sehen Sie das nicht sehr streng? Fleisch: Nein. Denn es geht heute nicht mehr primär darum, wie man mit SAP Ge- schäftspro­zesse schlanker und schneller macht. Beim Internet of Things wird die digitale Welt integrativ­er Teil des Produkts, und das kann und soll man nicht trennen. Ich möchte es sogar noch radikaler formuliere­n: Das ist eine große Chance für Europa. Denn wir sind immer noch Produktion­sweltmeist­er, haben viel Produktion­s-Knowhow. Bei diesem Digitalisi­erungsproz­ess ist Europa deshalb gut aufgestell­t. ELGAR FLEISCH (48) ist Professor für Informatio­ns- und Technologi­emanagemen­t an der ETH Zürich und der Universitä­t St. Gallen sowie Direktor am dortigen Institut für Technologi­emanagemen­t. Fleisch ist in Bregenz geboren, hat an der HTL Bregenz maturiert und an der TU Wien studiert. Er wird auf der Jahreskonf­erenz der Plattform Industrie 4.0 Österreich über Digitalisi­erung und das Internet of Things vortragen. Die Veranstalt­ung findet am 12. Dezember im Mak Wien statt.

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Foto: iStockphot­o Beim Internet der Dinge ist alles mit allem vernetzt. Daraus werden sich künftig ganz neue Services und Dienstleis­tungen ergeben, die Teil des physischen Produkts sind.
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Foto: ETH/Bosch Digitalisi­erung nicht per se auslagern: Elgar Fleisch. Fleisch:

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