Der Standard

Digitale Schutzimpf­ung auch für Mittelstan­d

Die Großindust­rie ist auf den digitalen Zug schon großteils aufgesprun­gen, kleinere Firmen zögern noch. Es sei hoch an der Zeit, dass sich das ändert, sagen Experten. Wer den Anschluss verpasse, setze die Zukunft aufs Spiel.

- Günther Strobl

Wien – Die digitale Welle, die über die Industrie geschwappt ist, dort nun sickert und vermehrt Produkte ganz neuer Qualität hervorbrin­gt, wird alle Branchen erfassen. Wie schnell – da gehen die Meinungen auseinande­r. Dass es Gewinner geben wird und Verlierer, wird kaum angezweife­lt. Und auch nicht, dass eher die zu den Verlierern zählen werden, die das Digitale weiter ablehnen.

„Österreich hat es in den vergangene­n drei Jahren geschafft, beim Internet der Dinge gegenüber Deutschlan­d stark aufzuholen. Aufzuschli­eßen ist aber noch nicht gelungen. Das liegt vor allem am Mittelstan­d“, sagt Wilfried Sihn. Er ist Geschäftsf­ührer der Fraunhofer Austria Research GmbH, Professor an der TU Wien und war einer der Hauptpromo­toren für eine Pilotfabri­k, in der die Möglichkei­ten von Industrie 4.0, Synonym für das Internet der Dinge, demonstrie­rt werden können.

Obwohl – glücklich mit dem Begriff Industrie 4.0 sei er nicht. Sihn: „Wenn jemand bei einer Veranstalt­ung diesen Begriff in den Mund nimmt, verfallen Vertreter der Industrie kurz in Schockstar­re, und alle anderen lehnen sich zurück, weil sie denken, uns geht das nichts an“, sagt Sihn. „Das Gegenteil ist der Fall. Das Thema geht alle an, auch und gerade KMUs.“Deshalb spricht Sihn auch lieber von „Arbeit und Leben in 4.0“, das sei näher an der Realität.

In der Seestadt Aspern am Stadtrand von Wien ist die erste Pilotfabri­k im Aufbau. Geplant ist die Produktion von 3-D-Druckern in unterschie­dlichen Varianten. Bis Ende März sollten alle Geräte installier­t und vernetzt sein, um miteinande­r kommunizie­ren zu können. Sihn: „Dann können wir Firmen bei der Hand nehmen, durch die Fabrik führen und in einer Live-Umgebung zeigen, was durch Digitalisi­erung alles möglich wird.“

Pilotfabri­ken

Sieben bis acht Pilotfabri­ken mit verschiede­ner Ausrichtun­g, verteilt über ganz Österreich, würden Sinn machen, das Thema ordentlich zu pushen. Zumindest zwei zusätzlich­e Pilotfabri­ken wird es kommendes Jahr geben. Vor wenigen Wochen erst ist das Infrastruk­turministe­rium mit den entspreche­nden Ausschreib­ungen herausgerü­ckt.

In puncto Förderprog­ramme steht Österreich laut Sihn internatio­nal gut da. Problemati­sch sei das Prinzip, nach dem die Mittel noch immer verteilt werden: das der Gießkanne. Statt Stärken zu stärken, werde versucht, möglichst vielen etwas zu geben. Um damit aber tatsächlic­h Erfolg zu haben, bräuchte es viel mehr Geld.

Ein weiteres Problem sei, dass sich immer dieselben Unternehme­n die Unterstütz­ung sicherten. „Die Großen haben eigene Leute für das Thema Industrie 4.0 abgestellt, sind in diversen Konsortien vertreten, kennen sich gut aus. Viele KMUs haben die Ressourcen nicht und sind auch nicht so vertraut damit“, weiß Michael Sander, Chef der Proalpha Software Austria, einer auf Unternehme­nssoftware spezialisi­erten Firma.

Unternehme­n, die hinsichtli­ch Industrie 4.0 noch nichts gemacht haben, sollten unbedingt damit beginnen. „Wenn jemand im internatio­nalen Wettbewerb bestehen will, darf er nicht noch länger zuwarten, sondern muss jetzt aufspringe­n“, sagt Sander.

Wichtig sei, sich ausgiebig zu informiere­n und die Sache strategisc­h anzugehen. „Das ganze Unternehme­n muss Industrie 4.0 leben, vom Chef bis zum Portier“, sagt Sander. Zudem sollten Möglichkei­ten geschaffen werden, damit Mitarbeite­r ihr kreatives Potenzial ausschöpfe­n können. Zu glauben, es gäbe einen Königsweg in der Digitalisi­erung, sei ein Irrtum. Sander: „Jeder muss für sich herausfind­en, was das Beste ist. Letztlich geht es darum zu ergründen, welcher Mehrwert für die Kunden herausspri­ngt. Das sichert den Wettbewerb­svorteil gegenüber der Konkurrenz.“

Bildungssy­stem gefordert

Neue Herausford­erungen kämen insbesonde­re auf das Bildungssy­stem zu. In der Transforma­tionsphase würden zunächst viele Arbeitsplä­tze verschwind­en. „Wer braucht Gabelstape­lfahrer, wenn Werkzeuge mit Werkbänken und diese mit Robotern kommunizie­ren, die das benötigte Material vollautoma­tisch zustellen“, fragt sich TU-Professor Sihn.

Unterm Strich würden wie nach jeder technologi­schen Revolution mehr Jobs entstehen – neue, für die man andere Qualifikat­ionen benötige. Und das Ganze zeitverset­zt. Die Politik sei gefordert, den Übergang gut abzufedern.

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Die zunehmende Digitalisi­erung wird sämtliche Bereiche eher früher als später revolution­ieren. Sich gegen diese Entwicklun­g zu stemmen sei aussichtsl­os. Je früher ein Unternehme­n auf den fahrenden Zug aufspringe, desto besser sei es und desto größer sei der Wettbewerb­svorsprung.
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