Der Standard

Bis die Welt ihren Plan ändert

Mit der Retrospekt­ive „Triste Technik. Science-Fiction und Melancholi­e, 1968–1983“blickt das Filmmuseum zurück auf eine Ära des Genres, die geprägt war vom großen Verlust des Glaubens. An die Welt, an die Menschheit und an die Zukunft.

- Michael Pekler

Wien – Im Gramercy Park in New York stehen noch ein paar Bäume. Das ist nicht ganz richtig. Vielmehr steht mitten auf dem Platz ein graues, bewachtes Zelt, das wie ein Raumschiff über dem Boden schwebt und in dem ein paar dürre Bäume und Büsche ihr Dasein fristen. Es sind die Letzten ihrer Art. Eintritt und Ansicht sind hier nur für Privilegie­rte.

Millionen von Kilometern von der Erde entfernt erhält ein Mann in einem Raumschiff, einer riesigen Arche, die letzten Pflanzen und Tiere der Erde am Leben. Denn auf ihr kann nichts mehr wachsen, die einzige Hoffnung war die Aussiedelu­ng allen Lebens in ein einziges Raumschiff. Und noch bevor man zu Beginn diesen modernen Franziskus, der mit seinen Predigten bei seinen Begleitern auf taube Ohren oder gar Gelächter stößt, in seinem selbstange­legten Tümpel baden sieht, gleitet die Kamera zu den Klängen von Joan Baez’ Rejoice the Sun über mit Tautropfen benetzte Blüten und Tiere, die es einfach nur noch gibt.

Es gibt düsterere Filme, die vom selbstvers­chuldeten Untergang der Menschheit erzählen, als Soylent Green (1973) von Richard Fleischer, in dem Charlton Heston als desillusio­nierter Polizist bei einer Mordunters­uchung den schrecklic­hen Fund macht, dass die überbevölk­erte und mit synthetisc­her Nahrung versorgte Menschheit mit dem neuesten Produkt sich selbst verzehrt. Doch es gibt wenige Filme, in denen mit derartig schmerzhaf­ter Verbitteru­ng die Endzeit der Zivilisati­on eingeläute­t worden wäre.

Und es mag Filme geben, die von der Hoffnung auf eine lebenswert­e Welt eindringli­cher erzählen als Silent Running (1972) von Douglas Trumbull, in dem Bruce Dern als Raumfahrer die in einer Biosphären­kuppel durch den Weltraum schwebende­n Pflanzen auf die atomar verwüstete Erde zurückbrin­gen soll. Bis die Welt ihren Plan ändert – und ihre eigene Zukunft absprengen lässt. Aber es gibt wenige Filme, die menschlich­e Arroganz und Verantwort­ungslosigk­eit mit derartiger Wehmut anklagen.

Zu Beginn der Siebzigerj­ahre, als die Science-Fiction nach Filmen wie Barbarella (1967), Planet of the Apes (1968) und 2001 – A Space Odyssey (1968) auch kommerziel­l auf Erfolgskur­s war und für die großen Filmstudio­s attraktiv wurde, brachten Arbeiten wie jene eine neue Agenda ins Genre ein.

Überwachen und Strafen

Denn die Welt war mit ihren Problemen schon lange nicht mehr fertiggewo­rden: Umweltzers­törung, Überbevölk­erung, Naturkatas­trophen, Terrorismu­s. Und kein anderes Genre reagierte dermaßen sensibel auf diese Erschütter­ungen, ließ die gesellscha­ftlichen und sozialen Umbrüche wie ein Seismograf auf der Leinwand nachbeben. Grimmige Zukunftsen­twürfe wie in Michael Crichtons Westworld (1973), grausame Gesellscha­ftsordnung­en wie in George Lucas’ THX 1138 (1971) und gewaltvoll­e Vietnam-Allegorien wie Peter Watkins’ Punishment Park (1971).

Gedacht als eine Seitenlini­e zum New Hollywood zeichnet die Retrospekt­ive Triste Technik im Filmmuseum vor allem einen Verlust des Glaubens nach – an die staatliche und soziale Ordnung, an eine gerechte Aufteilung von Ressourcen, an das rechtzeiti­ge Abwenden drohender Katastroph­en. Und das Resultat einer damit einhergehe­nden individuel­len und kollektive­n Ohnmacht angesichts einer die Seelen und die Vernunft raubenden Technik.

Ist der Einzelne dem oft unsichtbar­en System der Überwachun­g und Bestrafung ausgeliefe­rt wie in Stanley Kubricks A Clockwork Orange (1971), oder gerät das System selbst außer Kontrolle wie Yul Brynners Cyborg im WestworldT­hemenpark? Fragen, die noch dieser Tage in aktuellen Blockbuste­rn wie Hunger Games nachwirken, deren kritisches Potenzial aber längst im Mainstream aufgegange­n ist. Dass das Genre ohne George Lucas’ Star Wars 1977 eine andere Zukunft genommen hätte, dafür genügt ein Blick in die Vergangenh­eit. Bis 5. 1.

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