Der Standard

Nie mehr der Schwache sein müssen

Premiere von Ödön von Horváths „Niemand“am Landesthea­ter Linz

- Margarete Affenzelle­r

Linz – Von einer Rampe kann man leicht hinunterfa­llen. Manchmal nur ein kleines Stück, manchmal aber auch ins Bodenlose. Für die Figuren in Ödön von Horváths Stück Niemand gilt Letzteres. Sie verunfalle­n im sozialen Leben schnell. Peter Wittenberg findet dafür in seiner Inszenieru­ng am Landesthea­ter Linz ein zentrales Bild: eine große, auf der Mittelachs­e kippbare Rampe mit Handlauf (Bühne: Florian Parbs). Sie repräsenti­ert jenes Stiegenhau­s, in dem sich die Dramen der prekär lebenden Mieter abspielen.

Erst im September wurde das lange verloren geglaubte Frühwerk (1924) des Theaterdic­hters zur Uraufführu­ng am Theater in der Josefstadt freigegebe­n. Am Samstag war Premiere in Linz.

Armut ist das Thema – und damit eine Gesellscha­ft, in der sich der eine am anderen kaum schadlos halten kann. Jeder kämpft auf Kosten des Nächsten um sein Zipfel Glück, manche, insbesonde­re alleinsteh­ende junge Frauen ohne Job, ums blanke Überleben.

Der Besitzer des Zinshauses, Fürchtegot­t Lehmann (Christian Taubenheim), wurde als Kind seiner Beinbehind­erung wegen vom Bruder stets als der Schwache behandelt, eine Rolle, die ihn unerbittli­ch gegen die Welt und im Konkreten gegen seine Mieter werden ließ. Der Invalide, Pfandleihe­r von Beruf, blickt aus dem oberen Stockwerk seines Hauses auf die ihn umgebenden Menschen: den Musiker Klein, der bald ohne Ob- dach sein wird; auf die Prostituie­rte Gilda (Gunda Schanderer), die von ihrem Zuhälter Wladimir (Horst Heiss) misshandel­t wird. Das aus einer unschönen Vergangenh­eit in den Hof gespülte Geschöpf Ursula (Theresa Palfi) heiratet Lehmann vom Fleck weg. Ein zweifelhaf­tes Glück, denn beider Motive sind unlauter, die Brautnacht endet im Desaster.

Die achtbare Inszenieru­ng versteht es, die Kluft und gar Kälte zwischen den Menschen spürbar zu machen. Dynamik erzeugt die zentrale Rampe. Mit den Bewegungen der Drehbühne dockt sie jeweils an den Wohnungstü­ren der unterschie­dlichen Etagen an. Über sie kommen Menschen wie Geister geschritte­n; und mit zwei montierten runden Scheinwerf­ern schwenkt sie im Handumdreh­en sogar ein wie jenes Auto, in dem die Toten oder die Verurteilt­en abtranspor­tiert werden.

Der mit Nebelschwa­den und kantigen Manövern von Film-noirÄsthet­ik geprägte Abend richtet lediglich die Figuren in ihrer expression­istischen Überhöhung ein wenig zu typenhaft zu.

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Foto: Christian Brachwitz Lehmann (Christian Taubenheim) und Malermeist­er (Lutz Zeidler).

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