Nie mehr der Schwache sein müssen
Premiere von Ödön von Horváths „Niemand“am Landestheater Linz
Linz – Von einer Rampe kann man leicht hinunterfallen. Manchmal nur ein kleines Stück, manchmal aber auch ins Bodenlose. Für die Figuren in Ödön von Horváths Stück Niemand gilt Letzteres. Sie verunfallen im sozialen Leben schnell. Peter Wittenberg findet dafür in seiner Inszenierung am Landestheater Linz ein zentrales Bild: eine große, auf der Mittelachse kippbare Rampe mit Handlauf (Bühne: Florian Parbs). Sie repräsentiert jenes Stiegenhaus, in dem sich die Dramen der prekär lebenden Mieter abspielen.
Erst im September wurde das lange verloren geglaubte Frühwerk (1924) des Theaterdichters zur Uraufführung am Theater in der Josefstadt freigegeben. Am Samstag war Premiere in Linz.
Armut ist das Thema – und damit eine Gesellschaft, in der sich der eine am anderen kaum schadlos halten kann. Jeder kämpft auf Kosten des Nächsten um sein Zipfel Glück, manche, insbesondere alleinstehende junge Frauen ohne Job, ums blanke Überleben.
Der Besitzer des Zinshauses, Fürchtegott Lehmann (Christian Taubenheim), wurde als Kind seiner Beinbehinderung wegen vom Bruder stets als der Schwache behandelt, eine Rolle, die ihn unerbittlich gegen die Welt und im Konkreten gegen seine Mieter werden ließ. Der Invalide, Pfandleiher von Beruf, blickt aus dem oberen Stockwerk seines Hauses auf die ihn umgebenden Menschen: den Musiker Klein, der bald ohne Ob- dach sein wird; auf die Prostituierte Gilda (Gunda Schanderer), die von ihrem Zuhälter Wladimir (Horst Heiss) misshandelt wird. Das aus einer unschönen Vergangenheit in den Hof gespülte Geschöpf Ursula (Theresa Palfi) heiratet Lehmann vom Fleck weg. Ein zweifelhaftes Glück, denn beider Motive sind unlauter, die Brautnacht endet im Desaster.
Die achtbare Inszenierung versteht es, die Kluft und gar Kälte zwischen den Menschen spürbar zu machen. Dynamik erzeugt die zentrale Rampe. Mit den Bewegungen der Drehbühne dockt sie jeweils an den Wohnungstüren der unterschiedlichen Etagen an. Über sie kommen Menschen wie Geister geschritten; und mit zwei montierten runden Scheinwerfern schwenkt sie im Handumdrehen sogar ein wie jenes Auto, in dem die Toten oder die Verurteilten abtransportiert werden.
Der mit Nebelschwaden und kantigen Manövern von Film-noirÄsthetik geprägte Abend richtet lediglich die Figuren in ihrer expressionistischen Überhöhung ein wenig zu typenhaft zu.