Der Standard

„Ich kann auch die andere Seite verstehen“

Luchino Viscontis „Die Verdammten“wurde 1969 zum Aufreger. Elmar Goerden inszeniert den Stoff in der Josefstadt. Alexander Absenger und Meo Wulf spielen die nächste Generation einer verfallend­en Dynastie, die mit den Nazis paktiert.

- Michael Wurmitzer

STANDARD: Kannten Sie den Film von Luchino Visconti? Wulf: Ich nicht. Und ich wusste auch nicht, wie lang er ist. Als ich ihn dann angeguckt hab’, hab’ ich nach zwei Stunden gegoogelt. Absenger: Er dauert bestimmt an die drei Stunden. Halt auch wegen dieser Bilder, die toll sind, aber ... Wulf: ... beim ersten Mal hatte ich jedenfalls keine Lust mehr. Beim zweiten Mal hab ich ihn viel mehr schätzen können.

STANDARD: Wie hat er Ihre Herangehen­sweise an die Proben mit Regisseur Elmar Goerden beeinfluss­t? Absenger: Als Inspiratio­n hat er schon etwas gebracht. Aber Elmar hat bereits beim Konzeption­sgespräch gemeint, dass er nicht die Leute aus dem Film will, sondern uns besetzt hat, weil er genau uns haben möchte. Mit unserer Persönlich­keit. Wir spielen nicht den Film nach, sondern nehmen den Stoff und machen einen eigenen Theaterabe­nd draus. Wulf: Bei mir hat der Film totale Lust auf dieses Stück ausgelöst. Doch im Film taucht meine Rolle zweimal auf und hat einen Satz. Ich hab also gedacht: Naja, willkommen an der Josefstadt, ich werd‘ da den Statisten spielen. Aber dann hab ich das Stück gelesen und war begeistert, weil die Rolle so ausgebaut wurde.

STANDARD: Wo sind die Unterschie­de zum Film? Absenger: Zum Beispiel

größten ist der Film wahnsinnig ausgestatt­et mit Hakenkreuz­en, das wurde bei uns rausgestri­chen. Und im Film kommen viele Figuren von außerhalb dazu, in unserer Fassung ist dagegen alles sehr familienin­tern. Dadurch kommt der Konflikt noch mehr raus, wird noch stärker. Wir haben den Film ausgedünnt. Wulf: Aber dadurch auch komprimier­t.

STANDARD: Ihre beiden Figuren sind die nächste Generation, setzen sich von den Altvordere­n ab. Absenger: Ich glaube, man kann sich schwer vorstellen, in solche Fußstapfen zu treten und diese Macht zu haben. Damit kämpfen die Figuren schon sehr. Es ist vielleicht eine Machtlust da, aber wenn man so einen Konzern leiten soll und man will es eigentlich gar nicht, ist das ja wirklich bitter. Wir haben bei den Proben viel über Familie gesprochen. Bei dieser ist zuerst immer die Firma ge- INTERVIEW: kommen und ganz spät erst die persönlich­e Entwicklun­g. Wulf: Ich kann zwar die andere Seite verstehen, also deine „Mutter“und meinen „Vater“, die diesen Komplex aufgebaut haben, fast wie ein Königreich, und dann sagen die Kinder: Nee, ich möchte Cellist werden, tschüss. Aber eigentlich ist es dumm, zu denken, dass sie die Kinder dazu drängen könnten. Das würde ja auf keinen Fall Erfolg verspreche­n!

STANDARD: Wie waren die Proben? Absenger: Total genieße ich bei Elmar, dass er einem sehr viele Freiheiten lässt. Er kommt wahnsinnig gut vorbereite­t, legt bestimmte Punkte in einer Szene fest, aber den Rest kann man entwickeln, mutig probieren. So kommt wahnsinnig viel von einem selber rein. Das ist wirklich schön. Wulf: Ich hatte von der ersten Probe an totales Vertrauen. Das passiert sehr, sehr selten. Irgendwann hab‘ ich gemerkt: Ah, jetzt stellt er die Stühle so hin und so, er hat ein Bedürfnis, das ästhetisch wertvoll zu machen. Man konnte sich ganz konzentrie­ren, was hab’ ich in dieser Rolle, dieser Szene zu tun.

STANDARD: Heribert Sasse, der den Patriarche­n gespielt hat, ist kurz nach der Premiere verstorben. Verändert sich für Sie auf der Bühne etwas dadurch, dass Michael König die Rolle übernommen hat? Absenger: Michael macht das super und passt da super rein. Aber die ersten Vorstellun­gen jetzt waren schon hart, weil man vom Kollegen noch so die Worte, die Sprachmelo­die im Kopf hat.

STANDARD: Sie, Herr Wulf, sind neu im Ensemble der Josefstadt. Warum die Josefstadt? Wulf: Weil ich hier Harold spielen darf in Harold und Maude. da fangen wir gerade an zu proben. Ich war beim Casting und Herbert Föt- tinger hat mir zum Jahresvert­rag dann noch diese Rolle in den Verdammten angeboten. Eigentlich wollte ich zurück nach Berlin, aber dann dachte ich mir, ich mach jetzt hier schön ein Jahr Josefstadt. Ich höre viel von meinen ehemaligen Kollegen vom Reinhardt Seminar, manche sind in Wien geblieben, andere nicht – ich weiß nicht, ob irgendwer so glücklich ist in dem Beruf wie ich jetzt. Ich bin unglaublic­h dankbar für Elmar Goerden. Er beschäftig­t sich mit den richtigen Dingen. Absenger: Für mich ist es das zweite Jahr an der Josefstadt und man merkt, es verändert sich gerade was. Es sind coole neue Kollegen gekommen, die bringen neuen Schwung rein. Innerhalb des Ensembles herrscht eine super Chemie, das ist nicht selbstvers­tändlich. Ich hoffe, dass die Direktion weiß, was sie hier für ein Pfund hat. Und dass sie diese Leute fördert und auch fordert.

ALEXANDER ABSENGER, geb. 1985 und aufgewachs­en in Graz, ist aktuell außerdem in Horváths „Niemand“zu sehen. MEO WULF wurde 1992 in Hamburg geboren. In „Harold und Maude“spielt er mit Erni Mangold ab 26. Jänner.

 ??  ?? Meo Wulf (Baron Günther v. Essenbeck) in Umklammeru­ng von Alexander Absenger (Baron Martin v. Essenbeck) und die ganze Familie (sitzend: der verstorben­e Heribert Sasse).
Meo Wulf (Baron Günther v. Essenbeck) in Umklammeru­ng von Alexander Absenger (Baron Martin v. Essenbeck) und die ganze Familie (sitzend: der verstorben­e Heribert Sasse).
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