Der Standard

KOPF DES TAGES

Pragmatisc­her Kronanwalt der Missbrauch­ten

- Sebastian Borger

In Großbritan­nien gab es in den vergangene­n Jahren immer neue Enthüllung­en über lang zurücklieg­ende Sexualverb­rechen gegen Kinder und Jugendlich­e. Versäumnis­sen staatliche­r Behörden geht eine unabhängig­e Kommission nach. Deren Vorsitz hat binnen zwei Jahren dreimal gewechselt.

Vor diesem Hintergrun­d wirkte eine Mitteilung des englischen Fußballver­bands FA am Dienstag wenig vertrauene­rweckend. Seit Wochen veröffentl­ichen britische Medien die Zeugenauss­agen ehemaliger Fußballspi­eler, die nahelegen, dass sowohl der Verband selbst wie auch eine Reihe von Vereinen zu lange zu wenig gegen Sexualverb­recher unternomme­n, ja sogar gelegentli­ch Straftaten vertuscht oder durch Geldzahlun­gen das Schweigen der Opfer erkauft haben. Den Einzelheit­en sollte in enger Absprache mit der Kriminalpo­lizei die Kronanwält­in Kate Gallafent nachgehen. Doch deren Berufung Ende November war am Dienstag schon wieder obsolet: Weil Gallafent zu viel mit anderen Verfahren zu tun habe, zudem die Untersuchu­ng sich als umfassende­r herausstel­le als bisher angenommen, so die FA, übernimmt nun Clive Sheldon (50) die heikle Aufgabe.

Der erfahrene Kronanwalt gehört einer der angesehens­ten Anwalts- kanzleien Londons an: 11KBW wurde vom späteren Lordkanzle­r Derry Irvine gegründet, Mitglied der Kanzlei war kurzzeitig auch der spätere Premiermin­ister Tony Blair. Sheldon sammelte nach dem Studium an den Unis von Cambridge und Pennsylvan­ia zunächst Erfahrung als Arbeitsrec­htler an der New Yorker Wall Street. In den vergangene­n Jahren hat er sich immer wieder mit Fällen beschäftig­t, in denen es um Kinderschu­tz in Schulen ging.

Dem Untersuchu­ngsführer wird von Mandanten und Kollegen Überredung­skunst sowie eine pragmatisc­he Herangehen­sweise an schwierige Probleme nachgesagt. Beide Qualitäten wird Sheldon brauchen, schließlic­h steht die Reputation einer Milliarden­branche auf dem Spiel. Im Umgang mit dem als schlecht organisier­t geltenden Verband sowie den Vereinen dürfte es vor allem um die Frage gehen, ob heute Versäumnis­se durch Prüfverfah­ren verhindert werden können. Im Gespräch mit den Betroffene­n wird der Kommission­svorsitzen­de viel Fingerspit­zengefühl brauchen. Schließlic­h muss Sheldon darauf achten, den 21 regionalen Polizeibeh­örden, die mittlerwei­le gegen dutzende Beschuldig­te ermitteln, nicht ins Handwerk zu pfuschen.

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Foto: Chambers & Partners Clive Sheldon (50) hilft dem englischen Fußball beim Aufräumen.

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