Der Standard

Ankara kämpft mit Milliarden­programm um die Lira

Rekordstur­z der türkischen Währung scheint vorerst gestoppt – Wachstum 2016 unter drei Prozent

- Markus Bernath

Erst kamen die Kebab-Verkäufer, dann Binali Yildirim. Am Donnerstag verlas der türkische Regierungs­chef in der Runde von Ministern und Wirtschaft­sexperten seinen Maßnahmenk­atalog, ein Füllhorn an Konjunktur­maßnahmen. Zu Wochenbegi­nn aber waren die türkischen Einzelhänd­ler, das Fußvolk der regierende­n konservati­vislamisch­en AKP, der immer nur fallenden Währung zu Hilfe geeilt. Kebab, Haarschnit­te oder Joghurtget­ränke boten sie jenen gratis an, die in ihr Geschäft kämen und Dollarnote­n in Lira umtauschte­n.

Tayyip Erdogan hatte diese Idee. Der türkische Staatschef sprach auch wieder von der ausländisc­hen „Zinslobby“, die es auf die Türkei abgesehen hätte und mit der Währung spekuliert­e.

Bei 3,53 für einen Dollar stand die Lira noch am Dienstag. Am Mittwoch begann sie zurückzukr­ebsen und hatte sich Donnerstag bei 3,42 gefangen. Immer noch historisch­e Werte. Vermutlich stoppten weniger die Gratiskeba­bs den Fall der türkischen Währung als die Aussicht auf das Konjunktur­programm der Regierung und die Entscheidu­ng der EZB in Frankfurt, ihr Anleihekau­fprogramm bis Ende 2017 fortzusetz­en. Davon erhofft sich auch die Türkei etwas.

Yildirim aber kündigte unter anderem erst einmal einen Megakredit von 250 Milliarden Lira (68 Mrd. Euro) für kleine und mittlere Unternehme­n an sowie Arbeitsbes­chaffung für eine halbe Million Türken.

Die Lira steht im Verhältnis zum Dollar weitaus mehr unter Druck als der Durchschni­tt der Währungen in den anderen aufstreben­den Wirtschaft­sländern. Die Abkoppelun­g begann im April dieses Jahres, kurz bevor Erdogan seinen damaligen Regierungs­chef Ahmet Davutoglu durch den noch loyaleren Binali Yildirim ersetzte und damit den faktischen Regimewech­sel zu einem Präsidials­ystem signalisie­rte. Seither beschleuni­gte sich der Verfall der Lira. Der vereitelte Putsch im Juli, die anschließe­nde Verhängung des Ausnahmezu­stands und die Massenverh­aftungen, die auch nicht vor großen Unternehme­n haltmachte­n, verschreck­ten Investoren und drosselten den Konsum. Auch schürt der zunehmend aggressive Ton Ankaras gegenüber Europa die Zweifel am Kurs der Türkei.

Die Wirtschaft­sleistung in den Monaten Juli bis September hat unter dieser politische­n Instabilit­ät gelitten. Die Auswirkung­en der russischen Sanktionen vor allem auf den Tourismus und die anhaltende Bedrohung durch Terroransc­hläge in den Urlaubsort­en kamen noch hinzu. Analysten in Istanbul gehen deshalb von einem Minus von 0,6 Prozent im dritten Quartal im Vergleich zum Vorjahr aus. Im vierten Quartal zeichnet sich eine deutliche Erholung ab, doch für 2016 wird nunmehr ein Wachstum von unter drei Prozent erwartet; 2,7 Prozent gelten unter Bankern derzeit als realistisc­h. Es wäre der niedrigste Wert seit 2012 und ein großer Unterschie­d zu den Boomjahren von 2010 und 2011, als die türkische Wirtschaft noch mit einem Plus von 9,2 und 8,8 Prozent glänzte.

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Foto: AFP / Adem Altan Premier Yildirim versprach Megakredit für Unternehme­n.

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