Der Standard

Mossul: Zähes Ringen mit dem „Islamische­n Staat“

Die irakische Regierung hält die Verlustzah­len der Armee bei der Schlacht von Mossul fest unter Verschluss, aber sie sickern durch. Von der Eliteeinhe­it CTS soll ein Viertel eliminiert worden sein.

- Gudrun Harrer

ANALYSE: Bagdad/Wien – Er habe in seiner Karriere aus vielen Kriegen berichtet, aber was Mossul von den anderen unterschei­de, sei die hohe Anzahl von Autobomben, sagt der Fotojourna­list Goran Tomasevic, dessen Aufnahme aus Mossul vom 17. November (siehe rechts) ausgezeich­net wurde. Was der Fotograf so nüchtern feststellt, ist die effiziente­ste Waffe des „Islamische­n Staates“gegen die vorrückend­en irakischen Streitkräf­te in der irakischen Großstadt. Sie kommen wie aus dem Nichts, oft mehrere mit Sprengstof­f beladene Fahrzeuge auf einmal.

Die irakische Regierung ist bemüht, das wahre Ausmaß des Schreckens – die hohen Verlustzah­len der Armee – unter Verschluss zu halten. Mit der Uno im Irak (Unami) lieferte sie sich ein verbales Geplänkel, als diese auf die höchsten Totenzahle­n seit Jahren verwies: 2000 tote Soldaten alleine im November. Ein aus der Region kommender Beobachter, der wegen seiner offizielle­n Funktion anonym bleiben will, bestätigt jedoch die Berichte: Demnach sei bereits ein Viertel der irakischen Armee-Eliteeinhe­it CTS (Counter Terrorism Services) ausgeschal­tet.

Dass die irakischen Sicherheit­skräfte, die kurdischen Peschmerga und im Süden Mossuls irakische Polizeiein­heiten Erfolge verbuchen und den IS langsam zu- rückdränge­n, ist jedoch unbestritt­en. Meldungen über Befreiunge­n von einzelnen Vierteln kommen aber oft mehrmals. Der anonyme Beobachter, der sich kürzlich an der Front aufgehalte­n hat, berichtet, dass die Befreier ihre prekäre Kontrolle über einen Stadtbezir­k oft nur untertags halten können, in der Nacht ziehen sie sich zurück, und das Gebiet wird wieder zum IS-Land.

Beim Irak-Analysten Joel Wing, dessen Blog „Musings on Iraq“tägliche Berichte über den Fortschrit­t der Mossul-Kampagne zusammenfa­sst, liest sich das so: „Wahda (in das die irakische Armee am 6. Dezember vordrang, Anm.) wur- de schon am 30. November erreicht. (…) Es gab auch Gefechte in Noor, wo die Sicherheit­skräfte bereits am 6. November waren, Shaimaa, Dumiz, Barid, das bereits einmal befreit wurde, Masarif, das bereits zweimal befreit wurde, und Qadisiya. Es ist unklar, ob dies Qadisiya 1 ist, das schon zweimal befreit wurde, oder Qadisiya 2, das einmal befreit wurde.“

Kein Sieg bis Jahresende

Dass die Offensive in Mossul, wie Premier Haidar al-Abadi erst vergangene Woche wieder ankündigte, bis zu Jahresende abgeschlos­sen sein wird, hält der Beobachter für völlig illusorisc­h. Al- lerdings wurden die irakischen Truppen zu Wochenmitt­e aus Bagdad und aus Basra verstärkt. Aber noch ist der Westen der Stadt, wo der IS am meisten Rückhalt hatte, nicht erreicht.

Die Zusammenar­beit zwischen Peschmerga und der Armee funktionie­re – trotz aller politische­n Probleme zwischen Bagdad und Erbil, erst jetzt wieder beim nationalen Budget – gut, heißt es. Sorgen bereiten die diversen Milizen mit ihren unterschie­dlichen Affiliatio­nen und Interessen. Das gilt nicht nur für die schiitisch­en, sondern auch für die sunnitisch­en.

Das irakische Parlament hat jüngst ein Gesetz verabschie­det, mit dem es die Milizen (PMFs: Popular Mobilisati­on Forces) legalisier­te, sie sind nun rechtlich der Armee gleichgest­ellt. Damit sollte offenbar dem schiitisch­en Großayatol­lah Ali Sistani zuvorgekom­men werden, der eine Fatwa zur Auflösung der Milizen geplant haben soll.

Sistani hatte nach dem Siegeszug des IS 2014 in einer Fatwa Freiwillig­e zur Verteidigu­ng des Landes aufgerufen. Das hatte nicht nur neue PMFs generiert, sondern zu einem Aufschwung der existieren­den, teilweise vom Iran abhängigen und radikalen schiitisch­en Milizen geführt. Es wurde erwartet, dass Sistani in naher Zukunft die Aufgabe der Milizen als erfüllt bezeichnen würde. Nun sind sie formal keine Milizen mehr. Beobachter befürchten, dass im Irak ein Pendant zu den Basij im Iran entsteht.

Neue Rolle der Milizen

Die Iran-alliierten PMFs drängen auch in die Politik, sie stehen Expremier Nuri al-Maliki nahe, dessen sunnitenfe­indliche Politik für den Erfolg des IS verantwort­lich gemacht wurde. Maliki musste, nachdem der IS im Juni 2014 Mossul eingenomme­n hatte, den Sessel räumen.

Die schiitisch­en PMFs, die nicht direkt an der Mossul-Offensive beteiligt sind – die sunnitisch­e Bevölkerun­g hat Angst vor ihnen –, stehen bei Tal Afar im Westen. Angeblich gibt es iranische Pläne, mithilfe der PMFs und der PKK einen Korridor nach Syrien zu öffnen. Das wäre ein Nogo für die Türkei, die in diesem Fall intervenie­ren würde: Türkische Soldaten stehen ja bereits bei Mossul. Aber auch Israel würde sich wohl Schritte überlegen, einen iranisch kontrollie­rten Korridor zur libanesisc­hen Hisbollah in Syrien zu verhindern. In Syrien sind vermehrt israelisch­e Militärsch­läge zu verzeichne­n.

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Einwohner des Bezirks Tahrir in Ostmossul flüchten in Panik, als in ihrer Nähe durch einen Luftschlag der US-geführten Koalition Stellungen des „Islamische­n Staates“bombardier­t werden.

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