Der Standard

Als Washington­s Fake-News real wurden

Eine Fake-News-Story, die Hillary Clinton als Figur eines Kinderporn­orings sieht, beschäftig­t das Internet – und wurde für die Kunden einer Pizzeria fast zum Verhängnis.

- Frank Herrmann aus Washington

REPORTAGE: „Facts matter!“, hat jemand auf weißes Papier geschriebe­n und das Blatt unter eine Bambusheck­e an einen der Pflanzkübe­l vor die Pizzeria Comet Ping Pong geheftet. Neben Zetteln, auf denen steht, dass man nun erst recht im Comet Pizza esse, allein schon, um Solidaritä­t zu bekunden. Es ist eine Art provisoris­cher Schrein, der da entstanden ist im Wohnvierte­l an der Connecticu­t Avenue an einer lärmenden Straßenkre­uzung im Nordwesten Washington­s.

„Fakten sind von Bedeutung“: Der Spruch hat einen Grund, denn es waren Fake News, erfundene Nachrichte­n, die das Comet zum Schauplatz eines Dramas werden ließen – ein modernes, schlicht eingericht­etes Restaurant, in dessen Hinterzimm­er man Tischtenni­s spielen kann.

Es hat sich am Sonntag zugetragen, als ein junger Mann, bewaffnet mit einem Sturmgeweh­r des Typs AR-15, ins Comet stürmte. Während die wenigen Gäste, die an jenem Nachmittag an den langgestre­ckten Tischen saßen, nach draußen flohen, machte sich der Eindringli­ng auf die Suche nach einem Verlies. So steht es im Polizeipro­tokoll, in dem Edgar Maddison W. auch den Grund für seine Attacke nannte. Im Internet hatte er gelesen, das Comet diene einem Pädophilen­ring als getarnte Zentrale, und im Keller des Lokals missbrauch­e man Kinder als Sexsklaven. Worauf W. sechs Stun- den aus einer Kleinstadt in North Carolina nach Washington fuhr, um die gequälten Kinder aus ihrer Not zu befreien. Auf seinem Weg schoss er auf das Schloss einer Tür und auf einen Computer. Menschen kamen nicht zu Schaden.

Vom Wahlkampf zur Realität

Bizarr ist die Vorgeschic­hte. Es begann damit, dass James Alefantis, der Besitzer der Pizzeria, mit John Podesta, dem Wahlkampfm­anager Hillary Clintons, der gern ins Comet kam, korrespond­ierte. Nachdem Hacker Podestas E-Mails erbeutet hatten, machte Wikileaks den Fundus publik, was Alefantis zum Verhängnis wurde.

Zu den Verschwöru­ngstheorie­n der US-Wahlschlac­ht gehörte die Geschichte, nach der Hillary Clinton die Spinne im Netz eines Kindersexr­ings sein soll. Und Podes- ta ihr Handlanger. Und Alefantis ein Bösewicht, der den Kerker bewachte. Im Keller des Comet. Beweise gibt es für all das nicht.

Dennoch verbreitet­e sich das Gerücht wie ein Lauffeuer über die sozialen Medien, bis am Tag vor dem Präsidents­chaftsvotu­m erstmals von „Pizzagate“die Rede war. Und auch nun, als W. kein Verlies fand, war die Sache noch nicht erledigt. Ein gewisser Michael Flynn Jr. twitterte noch Stunden nach der Festnahme: „Bis sich #Pizzagate als falsch herausstel­lt, bleibt es eine Geschichte.“Nun ist Flynn Jr. der Sohn eines Exgenerals, den Donald Trump zum Sicherheit­sberater befördern will. Obendrein saß er im Übergangst­eam des nächsten US-Präsidente­n, ehe er am Dienstag dort gehen musste.

Dann wäre da noch Abdel Hamad, Besitzer einer kleinen Pizza- bäckerei gleich neben dem Comet. Die macht, was auf der Hand liegt, mit einem Stück Pizza Reklame. Nur dass Verschwöru­ngstheoret­iker das Logo zu einem Symbol der Kinderporn­ografie umdeuteten, worauf Hamad es von seiner Website entfernte. Worin Verschwöru­ngstheoret­iker nun ein Schuldeing­eständnis sahen. Hamad wird seither mit dem Tod bedroht.

Oder Sabrina Ousmaal, die Betreiberi­n eines nahegelege­nen Bistros namens Terasol. Hillary Clinton hat vor Jahren einmal im Terasol gegessen, weshalb auch Ousmaal sich im Visier der Verschwöru­ngstheoret­iker fand. Die übrigens wollen nicht glauben, dass W. im Comet kein Kindergefä­ngnis fand. Nach der neuesten Version ist er nur eine Marionette des Clinton-Clans, die losgeschic­kt wurde, um die Wahrheit zu vertuschen.

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Großeinsat­z nach Schüssen in der Pizzeria Comet Ping Pong in Washington am Sonntag.

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