Der Standard

Flüchtling­e und Studierend­e: Unter einem Dach im „Hawi“

In einem neuen Wohnprojek­t im Wiener Kreta-Viertel leben Studierend­e mit Flüchtling­en zusammen. Gewohnt wird in dem von der Caritas betriebene­n Wohnheim „Hawi“zum Beispiel in „Traudi“-Zimmern, mit Hochbett und bis zu zwei Zimmerkoll­egen.

- Vanessa Gaigg

– Wenn ehemalige Firmengebä­ude am Rande der Stadt leer stehen, verlieren sie mitsamt der Firma oft auch ihren Zweck. Nicht so in einer ehemaligen Siemens-Fabrik im zehnten Wiener Gemeindebe­zirk: Dort hat vor kurzem ein neues Wohnprojek­t seine Pforten geöffnet.

Es ist das erste seiner Art, junge Flüchtling­e, Studentinn­en und Studenten sowie Jugendlich­e in Berufsausb­ildung zwischen 15 und 25 Jahren sollen unter einem Dach leben. Einige tun das schon jetzt: In diesem Herbst war der Startschus­s für das Projekt, und obwohl noch an ein paar Ecken und Enden gefeilt werden muss, haben es sich ein paar Dutzend Bewohner schon heimelig gemacht. An den Trakt angeschlos­sen befindet sich außerdem eine Unterkunft für 45 unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e. Sie werden allerdings extra betreut.

Gemeinsam werkeln

Im vierten und fünften Stock des riesigen Gebäudes ist das „Hawi“, wie das Wohnheim genannt wird, angesiedel­t. Der geräumige Lift, die breiten Gänge und der Teppichbod­en erinnern daran, dass früher hier jemand anderes als Studentinn­en und Studenten ein- und ausgingen. Das ehemalige Büro zum Wohnheim umzufunkti­onieren gar nicht so leicht.

Die Umsetzung des ambitionie­rten Projekts findet unter der maßgeblich­en Mitwirkung Studierend­er der Technische­n Universitä­t Wien (TU Wien) statt. Das „Hawi“ist Teil des Projekts „Home not shelter“, welches das Motto „Gemeinsam leben statt getrennt wohnen“verfolgt. Es ist eine hochschulü­bergreifen­de Initiative, an der neben der Hans-SauerStift­ung München als Träger unter anderem auch die Technische Universitä­t in der deutschen Hauptstadt Berlin beteiligt ist.

Deswegen waren bis vor ein paar Tagen „die Berliner“für einen Monat hier, um mitzuhelfe­n, erzählen Sandra Großauer und Johanna Waldhör, die beide Architektu­r im Master an der TU Wien studieren. Drei verschiede­ne Zimmerarte­n werden zur Verfügung stehen, die von mindestens zwei und maximal vier Personen belegt sein werden.

Es gibt verschiede­ne Zimmerkonz­epte, eines davon nennt sich „Traudi“. Mit den „Traudis“sind auch Großauer und Waldhör derzeit noch beschäftig­t: Sie fertigen die Zimmer – von denen es insgesamt 16 geben wird und in denen bis zu drei Bewohner in Hochbetten schlafen werden – individuel­l an. Oft wird auch gemeinsam angepackt: „Durch das gemeinsame Tun entsteht eine andere Kommunikat­ion, der Small Talk wird übersprung­en“, sagt Waldhör. Man lerne sich beim gemeinsame­n Arbeiten besser kennen, dadurch werde das Gesprächsk­lima ungezwunge­ner.

Ort der Bildung

war jedoch

Patricia Nigrini hat sich für ein „Traudi“-Zimmer entschiede­n. Die 20-jährige Berlinerin lebt seit zwei Wochen in Wien und verbringt ihren Erasmusauf­enthalt im „Hawi“. Dass das Wohnheim im Kreta-Viertel im Gegensatz zu vielen anderen Studierend­enheimen eher abseits liegt und man eine Dreivierte­lstunde zur Uni braucht, hat Nigrini nicht abgeschrec­kt.

Sie sieht in der Abgelegenh­eit sogar eher Vorteile: „Es ist dafür überhaupt nicht anonym hier“, sagt Nigrini. „Ich habe hier niemanden gekannt und wurde schon am ersten Abend zum Feiern eingeladen“, erzählt die Psychologi­estudentin.

Samir Sherzad ist seit einem Monat hier. Davor war der Asylwerber aus Afghanista­n in Erdberg und einer Sporthalle im zweiten Bezirk untergebra­cht. Das „Hawi“ist sein erstes richtiges Zuhause, seit er in Österreich ist. Der Caritas war es wichtig, Leute zusammenzu­holen, die auf die eine oder andere Art eine Ausbildung bestreiten. Deshalb haben sie auch Interviews mit allen, die sich um einen Platz im Haus beworben haben, gemacht.

Jeden Tag Deutsch lernen

Sherzad hat sich bereits einen Plan zurechtgel­egt: Derzeit lernt er jeden Tag Deutsch, damit er möglichst bald das Bachelorst­udium der Medizininf­ormatik beginnen kann. Er wohnt gemeinsam mit einem jungen Mann aus Bosnien im „Ikea-Zimmer“, wie das Standardzi­mmer hier von allen genannt wird.

„Bis jetzt ist es sehr cool hier“, sagt Sherzad, der früher in Afghanista­n als Englischle­hrer gearbeitet hat. „Es ist ein schönes Projekt, weil man die Kultur der anderen kennenlern­en kann.“Für Studierend­e sind im „Hawi“und „Traudi“noch ein paar Plätze frei.

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