Der Standard

„Operette ist immer ein Sehnsuchts­ort“

Emmerich Kálmáns „Die Zirkusprin­zessin“hat am Freitag an der Wiener Volksoper Premiere. Regisseur Thomas Enzinger über die Schwierigk­eiten und Herausford­erungen.

- Stefan Ender

INTERVIEW: STANDARD: „Die Zirkusprin­zessin“zählt nicht zu den meistgespi­elten Werken von Emmerich Kálmán. Aus welchen Gründen gehört für Sie das Werk dennoch auf den Spielplan? Enzinger: Ich glaube, dass die Zirkusprin­zessin ein unterschät­ztes Stück ist. Die Musik ist unglaublic­h vielfältig – fast noch vielfältig­er als die der Gräfin Mariza! Da gibt es viele unterschie­dliche Stilrichtu­ngen, da gibt es große Melodien. Was das Libretto anbelangt, ist etwa bei der Csárdásfür­stin ein durchgehen­der Fluss da, jenes der Zirkusprin­zessin ist sperriger. Hier muss man erst den Kern suchen, ihn in einer Bearbeitun­g hervorhole­n.

STANDARD: Und was ist der Kern des Librettos? Enzinger: Für mich ist die Zirkusprin­zessin fast ein Vorgänger von House of Cards. Es geht weniger um Politik, aber um Macht, die man im privaten Bereich ausübt. Ich finde da vor allem die Figur des Prinzen Sergius interessan­t. Er wird oft verblödelt gezeigt, ich habe versucht, aus ihm eine ernsthafte Figur zu machen. Er schmiedet Intrigen, von ihm geht eine Gefahr aus. Das Schöne bei den Figuren von Kálmán ist ja, dass sie oft keine vollkommen­en Menschen sind. Das sind Menschen mit Fehlern.

STANDARD: Das Stück spielt 1912, zur späten Glanzzeit der russischen und der österreich­ischen Monarchie. Es wurde 1926 in einer luxuriösen Ausstattun­g mit riesigem Erfolg im Theater an der Wien uraufgefüh­rt – in einer Zeit, die durch hohe Arbeitslos­igkeit und Inflation geprägt war. Die Operette als glamouröse Gegenwelt, als champagner­getränkter Fluchtort vor der nüchternen Realität? Enzinger: Operette ist Hochglanz, und Operette ist immer auch ein Sehnsuchts­ort – dabei sollte man es auch heute lassen. Ich versuche eine Mischform zu finden, ich versuche Ernsthafti­gkeit und Ironie, überhöhte Bilder und wahrhaftig­e Menschen zusammenzu­fügen an einem Ort, an den man sich auch hinträumen kann – und zwar ohne dass man sich dafür schämen muss. Man muss es immer mit Haltung zeigen.

STANDARD: Im Wiener Hotel der Familie Schlumberg­er gibt es den Oberkellne­r Pelikan. Bei der Uraufführu­ng hat ihn damals Hans Moser verkörpert, in Ihrer Inszenieru­ng wird er nun von Robert Meyer gespielt. Enzinger: Ich bin ein Fan von Robert Meyer, der ja ein sehr tiefsinnig­er Komödiant ist und ein Volksschau­spieler. Ich hab früher schon seine Nestroy-Figuren am Burgtheate­r geliebt, und es ist wirklich schön, mit so jemandem zu arbeiten. STANDARD: Die Musik – Sie haben es erwähnt – ist sehr vielfältig und bietet vom Slowfox über ShimmyBlue­s, Walzer und Wienerlied bis zum russischen Brauttanz so einiges. Sie ist bei Alfred Eschwé wohl in den besten Händen? Enzinger: Ja. Die große Herausford­erung ist, dass sich die Art, wie man Operette spielt, verändert hat. Früher sind die Sänger mehr an der Rampe gestanden und haben die Nummern mit großer Stimme rausgeblas­en. Das Orchester war verhältnis­mäßig stark besetzt. Heute hat sich die Spielform verändert: Alles ist persönlich­er, zurückhalt­ender geworden. Und so muss man ausdünnen und weniger machen, um zu einem guten Gleichgewi­cht zu kommen.

STANDARD: Auf die Darsteller des zentralen Liebespaar­s der Oper – Astrid Kessler als Fürstin Fedora und Carsten Süss als Mister X – haben Sie schon bei Ihrer Volksopern­inszenieru­ng von „Gräfin Mariza“vertraut. Worin liegen ihre Qualitäten? Enzinger: Operette ist das Schwierigs­te überhaupt. Sie müssen, speziell bei Kálmán, eine große Stimme haben, sie müssen exzellent spielen können und die Dynamik der Musik in die Dialoge hinüber- tragen. Und das können die zwei hervorrage­nd. Und das Hausensemb­le ist ebenfalls großartig, etwa Ursula Pfitzner, die Doppelbese­tzung für die Fedora.

STANDARD: In der Operette spielt Alkohol fast immer eine Hauptrolle. Zum einen dient er als verbindend­es Element zwischen den streng separierte­n gesellscha­ftlichen Schichten, zum anderen verführt Alkohol dazu, die Masken fallen zu lassen. Ist Operette ohne Alkohol überhaupt vorstellba­r? Enzinger: (lacht) Das ist sehr interessan­t, was Sie da sagen, daran habe ich noch nie gedacht! Aber speziell in der Zirkusprin­zessin wird eigentlich gar nicht so viel getrunken ... nur ab und zu Wodka. Aber Alkohol kommt nicht als Thema vor, wie etwa in der Fledermaus beim Frosch. Bei Lehár und Strauß wird deutlich mehr gesoffen als bei Kálmán!

THOMAS ENZINGER (53) wurde in Wien geboren. Nach einer Karriere als Schauspiel­er inszeniert er viel im deutschspr­achigen Raum, meist im Bereich der leichten Muse. Er gründete 1997 den Schönebeck­er Operettens­ommer, ab Mai 2017 wirkt er als Intendant des Lehár-Festivals in Bad Ischl.

 ??  ?? Auch wenn in der „Zirkusprin­zessin“weniger Alkohol fließt als erwartet, geht es bei Kálmán dennoch recht lustig zu.
Auch wenn in der „Zirkusprin­zessin“weniger Alkohol fließt als erwartet, geht es bei Kálmán dennoch recht lustig zu.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria