Der Standard

Poesie und Willkür: Grigorij Sokolov im Konzerthau­s

- Daniel Ender

Wien – Bestechend die Programmko­nzeption: ein Teil Mozart, eine Hälfte Schumann, jeweils eine Fantasie im Mittelpunk­t, im Vorspann beide Male Stücke, die als „leicht“gelten, und alles im Bereich C-Dur bzw. c-Moll.

Die atmosphäri­schen Rahmenbedi­ngungen gehören zu den Konzerten von Grigorij Sokolov seit vielen Jahren dazu: Gedämpftes Licht und ruhige Stimmung bilden die Voraussetz­ung für konzentrie­rte, weihevolle Versenkung, in die sich der Pianist mit priesterli­cher Würde begibt.

Sein Bestreben, zwischen den Stücken keinen Applaus aufkommen zu lassen, passt zur dramaturgi­schen Anlage des Abends: Denn Mozarts c-Moll-Sonate wurde zusammen mit der vorangeste­llten Fantasie in derselben Tonart gedruckt und hängt mit ihr auch motivisch zusammen, Schumanns Arabeske ist das Nachbaropu­s der Fantasie. Fließen die Kompositio­nen ineinander, offenbaren sich ansonsten überhörte Beziehunge­n.

Brillanz ohne Glätte

Manches wird vom Pianisten freilich auch überakzent­uiert: So ließ er im Großen Konzerthau­sSaal bei beiden Schumann-Stücken manche Basstupfer explosiv herausknal­len, setzte auch bei Mozart manieriert­e Akzente – wie Widerhäkch­en inmitten einer gepflegten, glänzenden Oberfläche. Denn grundsätzl­ich ist Sokolovs Spiel kaum an Kultiviert­heit zu überbieten. Er schafft dabei etwas Seltenes: Brillanz ohne Glätte.

Seine Läufe perlen bei Mozart wie der Inbegriff dieses strapazier­ten Klischees, geschmeidi­g schimmert noch die nebensächl­ichste Begleitfig­ur. Bindeglied von all dem ist ein herrliches Legato, das erst über das Hören entsteht – es gibt kaum einen anderen Pianisten, der sich mehr auf die Raumakusti­k einließe. Sokolovs Mozart ist eine merk-würdige, hörenswert­e Mischung aus einem souveränen Zugang aus den Klaviersch­ulen des 19. Jahrhunder­ts und stilistisc­her Eigenwilli­gkeit: Sie bemüht sich um zusätzlich­e Verzierung­en im Sinne der MozartZeit, wechselt jedoch mitunter willkürlic­h zwischen wattigem und harschem Klang.

Sollte jemand noch Zweifel gehabt haben, dass der Künstler gerne spielt, wurde er bei den nicht weniger als sechs (!) Zugaben eines Besseren belehrt.

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