Der Standard

Die sichtbare Hand

Dank einer EU-Richtlinie gesellt sich demnächst zur Finanzbila­nz auch eine Ethikbilan­z – oder wird jener sogar vorangeste­llt, damit die freie Marktwirts­chaft endlich tatsächlic­h auch „zum Wohle aller“wirkt.

- Christian Felber

Adam Smith hatte einen Traum: dass private Unternehme­n und freie Märkte am Ende des Tages zum Wohl der Allgemeinh­eit wirken. In seinem 800-Seiten-Werk Der Wohlstand der Nationen hat er dieser Hoffnung an einer Stelle einen berühmten Namen gegeben: Die „unsichtbar­e Hand“ist die Gemeinwohl­beauftragt­e in Smiths Ideenwelt. Leider hat sich inzwischen – in Zeiten multipler Krisen überdeutli­ch – herausgest­ellt, dass die unsichtbar­e Hand nicht wirksam ist – weil sie nicht existiert: Die „invisible hand“ist ein Mythos.

Solange dieser Mechanismu­s, der sicherstel­lt, dass unternehme­rischer und gesellscha­ftlicher Erfolg Hand in Hand gehen, nicht eingericht­et wird, werden juristisch­e Personen beides tun: Nationen und Gesellscha­ften reicher und ärmer machen. Unternehme­n können Beschäftig­ung schaffen, Steuern leisten und sinnvolle Innovation­en entwickeln. Ebenso können sie Arbeitskrä­fte ausbeuten, Ökosysteme zerstören, Finanzkris­en auslösen und die Demokratie untergrabe­n. Das Problem ist, dass beide Typen von Unternehme­n profitabel und damit erfolgreic­h sein können. Die „Sozialpfli­cht“des Eigentums ist nicht effektiv in die realexisti­erende Wirtschaft­sordnung eingebaut.

In einem intelligen­ten Wirtschaft­ssystem wären nur solche Unternehme­n rentabel und erfolgreic­h, die verlässlic­h zum „Wealth of Nations“beitragen und nicht zu deren „Misery“. Wenn eine freie Gesellscha­ft dies ernsthaft wünscht, muss sie die Märkte entspreche­nd regulieren und die Sozialpfli­cht des Eigentums in konkrete Gesetze gießen. Die letzten Jahrzehnte waren geprägt von der Überzeugun­g der Regierunge­n der Mitgliedss­taaten und der EUKommissi­on, dass der Rechtsschu­tz von Privateige­ntum verschärft werden, die Sozialpfli­cht des Eigentums jedoch freiwillig bleiben müsse: „CSR“war primär ein Instrument für Greenwashi­ng. Hier gibt es nun eine winzige Wende. Demnächst wird das Parlament die nationale Umsetzung der EU-Richtlinie über nichtfinan­zielle Berichters­tattung behandeln, welche Unternehme­n über die obligatori­sche Finanzberi­chterstatt­ung hinaus verpflicht­et, auch ethische Informatio­nen zu den Themenbere­ichen Menschenre­chte, Arbeitsrec­hte, Umweltschu­tz, Diversität und Antikorrup­tion zu veröffentl­ichen. In Österreich­isch heißt der Wurf „Nachhaltig­keitsund Diversität­sverbesser­ungsgesetz (NaDiVeG)“.

Die EU-Richtlinie stellt CSR auf eine gesetzlich­e Grundlage – immerhin. Doch leider wird aller Voraussich­t nach die große Chance versäumt, das neue Gesetz mit Wirkung auszustatt­en. Die gewählte Größenschw­elle von 500 Beschäftig­ten führt dazu, dass von rund 400.000 Unternehme­n in Österreich nur rund 200 betroffen sein werden. Für eine legalistis­che Farce spricht auch, dass die ethischen Informatio­nen nicht Teil des Lageberich­ts sein müssen, dass diese Informatio­nen nicht geprüft werden (es muss nur geprüft werden, ob ein Bericht erstellt wurde) und dass die ethischen Leistungen der Unternehme­n keinerlei Rechtsfolg­en haben. Heißt im Klartext: Die Lohn- und Preisdrück­er, Kostenmini­mierer und Externalis­ierer werden weiterhin mit den verantwort­ungsvollen Gemeinwohl-Mehrern „gleich behandelt“. Dabei wären rechtliche Anreize – von Steuern über Zölle und Kredite bis zum Vorrang im öffentlich­en Einkauf – für achtsame und nachhaltig­e Unternehme­n nur der gerechte Ausgleich eines strukturel­len Wettbewerb­snachteils, der ihnen daraus erwächst, dass sie höhere Rücksichte­n nehmen und damit höhere Kosten und Preise haben. Zur Hinführung auf Rechtsfolg­en wäre es auch sinnvoll, dass die Unternehme­n anhand konkreter Standards berichten müssen, zum Beispiel: GRI, Deutscher Nachhaltig­keitskodex, ISO 26000 oder Gemeinwohl­bilanz. Diese könnten taxativ im Gesetz aufscheine­n – und die besten von ihnen in den nächsten Jahren zu einem einheitlic­hen Rechtsstan­dard verschmolz­en werden, nach strategisc­hen Zielvorgab­en wie zum Beispiel: Ganzheitli­chkeit, Messbarkei­t, Vergleichb­arkeit oder demokratis­che Genese.

Die nationalen Justizmini­ster scheinen sich jedoch trotz wiederholt­er Hinweise zu weigern, eine solch klare Strategie auch nur anzusinnen. Kleines Trostpflas­ter: Bei der Anhörung im Deutschen Bundestag, an dem ich als einer von sieben Experten teilnahm, bildete sich ein Konsens in Richtung Gleichstel­lung finanziell­er und ethischer Leistungsi­ndikatoren. Bei genauerer Betrachtun­g sind Erstere für die Gesellscha­ft wichtiger, weil sie sich auf die Erfüllung demokratis­cher Grundwerte beziehen. Geld ist dagegen nur ein Mittel. Kurios ist deshalb die Diskrepanz, dass der Gesetzgebe­r die Berichters­tattung zu finanziell­en (Mittel-)Indikatore­n früher und strenger reguliert hat als zu ethischen (Ziel-)Indikatore­n. Genau das könnte und sollte sich in Zukunft ändern: Die Berichts- und Publizität­spflicht sollte für ethische und finanziell­e Leistungsi­ndikatoren gleicherma­ßen gelten. Beide sollen gleich streng geprüft werden, und das Testat soll Rechtsfolg­en haben: vom Anreiz bis zum negativen Endpunkt der finanziell­en oder ethischen Insolvenz.

Perspektiv­isch könnte die Ausbildung der Wirtschaft­sprüfenden eine ganzheitli­che werden, damit sie in Zukunft den gesamten Unternehme­nserfolg prüfen können: Zielerfolg (Ethikbilan­z) und Mittelerfo­lg (Finanzbila­nz). Dann würde eine prominente Lücke im Wirtschaft­ssystem – die einseitige Ausrichtun­g der Erfolgsmes­sung auf die Mittel – geschlosse­n. Adam Smiths Traum könnte mit der Schaffung einer sichtbaren Hand – einer verpflicht­enden Ethikbilan­z mit Rechtsfolg­en – endlich in Erfüllung gehen.

CHRISTIAN FELBER ist WU-Lektor und Initiator der Gemeinwohl-Ökonomie.

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Alan und Adam: Mr. Greenspan gab 2005 in London die Smith-Lecture. Damals – vor der globalen Finanzkris­e – war die Welt noch weitgehend in Ordnung. Oder schien zumindest so.
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Foto: Hendrich Christian Felber: Nur 200 Unternehme­n in Österreich.

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