Der Standard

Wenn Frauen ihre Muskeln zeigen

Size Zero, das war einmal. Das schwache Geschlecht will endlich stark sein und lässt die Muskeln spielen. Den starken Kerlen machen Frauen zunehmend auch an den schweißtre­ibenden Gerätschaf­ten die Plätze streitig. Aus medizinisc­her Sicht eine sinnvolle En

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Die Menschheit ist in einem desolaten Zustand. Davon ist zumindest Personaltr­ainerin Janina Domakowski überzeugt. Wenigstens ein bisschen: „Eine Apokalypse mit Zombies werden wir nicht überleben.“Breitbeini­g, die kräftigen Schenkel in enge, glänzende Leggings, die Füße in blaue Turnschuhe gezwängt, gibt die 29-Jährige ein pessimisti­sches Urteil ab und stemmt energisch ihre Hände in die Hüften. Vier muskulöse Frauen zwischen 20 und 30 Jahren im Trainingso­utfit, jede eine Wasserflas­che in der Hand, umringen sie.

Sonntagnac­hmittag beim Fitnessdis­konter Fitinn in Wien-Heiligenst­adt. Draußen ist der Himmel grau, das Thermomete­r pendelt um die Null-Grad-Grenze. Gutes Wetter, um drinnen so richtig zu schwitzen und die Kilos purzeln zu lassen. Dementspre­chend viel ist los. Junge, muskelbepa­ckte Männer in schlabbrig­en Trainingsh­osen und engen Ruderleibe­rln, die mehr vom Körper zeigen, als sie verbergen, stemmen keuchend Gewichte im Liegen oder im Stehen. Frauen wuchten mit den Beinen stählerne Gewichte rauf und runter oder treten auf dem Laufband schnell auf der Stelle. Die Männer sind in der Überzahl. Durch die Räume wabert eine Wolke kräftigen Schweißger­uchs. Schmerzens­laute übertönen vereinzelt die hämmernde Musik.

An der Schmerzgre­nze

„Willkommen an der Schmerzgre­nze“, motiviert ein Leitspruch in fetten Lettern an der Wand. Um Schmerz an sich geht es Janina nicht. Seit ihrer Jugend trainiert sie nach Plan – nachdem ihr Krafttrain­ing zum Auskuriere­n einer Verletzung nahegelegt worden ist. Mittlerwei­le ist sie ein richtiges Muskelpake­t, einen ihrer mächtigen Oberarme schmückt ein tellergroß­es buntes Blumentatt­oo. Auch sonst beweist ein Blick in die Runde, dass Tätowierun­gen schweißres­istent sind.

Bei 40 Prozent liegt der Frauenante­il mittlerwei­le im Fitinn. Als der heimische Diskonter vor zwölf Jahren startete, waren es weniger als ein Drittel. Der Krafttrain­ingsbereic­h im ersten Stock war lange eine Männerdomä­ne, jetzt machen immer mehr Frauen den starken Kerlen die Plätze streitig, stellt Trainerin Janina fest. Nathalie Khalife bestätigt das. Die langen schwarzen Haare hat die Studen- tin der Kulturanth­ropologie zu einem Pferdeschw­anz gebunden. Vor der Spiegelwan­d nimmt sie eine Langhantel aus der Halterung und hebt sie langsam kopfüber ins Genick. 20 Kilogramm fallen in dieser Stellung ganz schön ins Gewicht. Sie ächzt, geht langsam in die Knie und stemmt sich wieder hoch. Die Beinmuskel­n wölben sich unter den engen grünen Sportleggi­ngs. Die Bauchmuske­ln, die das ärmellose weiße TShirt freigibt, sind angespannt.

Dreimal die Woche trainiert sie. Mindestens. „Wer mehr will, als nur fit und froh zu sein, kommt damit nicht aus“, sagt Nathalie. Auch sie ist beim Krafttrain­ing auf den Geschmack gekommen. Pilates, Zumba und Co waren gestern, heute sind Crossfit, X-Cross oder Bootcamp, Übungen wie MilitaryPr­ess, um breite Schultern zu bekommen, und sichtbare Bauchmuske­ln angesagt.

Wettbewerb­e, bei denen man im Bikini auf der Bühne zeigt, was man hat, und soziale Medien befeuern den Trend. Unter dem Schlagwort „Fitness Girls“spucken Facebook oder Instagram tausende Fotos durchtrain­ierter Frauen aus. Auf Youtube geben Fitness-Bloggerinn­en Tipps für den effektiven Muskelaufb­au. Die Formvorgab­en sind klar: breiter Rücken, feste Oberarme, ein ordentlich­er Sixpack – und ein knackiger Hintern. „Der Po ist für die Damen, was der Bizeps bei den Herren ist“, sagt Janina, die sich schon einmal 100 Kilo auflädt.

Magermodel­s sind out

Keine Spur mehr von Magermodel­s – Size Zero ist out. Muskelmass­e ist gefragt. Ein Trend, der aus Amerika kommt, wie Sportund Ernährungs­mediziner Robert Fritz erklärt: „Endlich eine sinnvolle Richtung, nach den Schlank- heitstrend­s der Vergangenh­eit.“„Stark ist das neue Schön“, heißt das neue Buch von Lindsey Vonn. Auch der Skistar erteilt darin Lektionen in Sachen Stärke und Fitness. Madonna, die Mutter aller Muskelmädc­hen, ist mittlerwei­le in die Jahre gekommen. Die heute 58-Jährige stellte schon in den Neunzigern ihre damals neue Sportbegei­sterung unter Beweis und übte in einer Talksendun­g mit der Moderatori­n Liegestütz­e. Vier Stunden täglich habe sie mit Hanteln trainiert, wussten die Klatschblä­tter.

Im schönheits­verliebten Hollywood wurde zwar heftig über den knallhart trainierte­n Körper getuschelt, dennoch machten immer mehr Muskelfrau­en wie Jennifer Lopez, Sharon Stone oder Serena Williams den Muskeljung­s Konkurrenz. Dass eine gehörige Portion Kraft mit Intelligen­z und Schönheit zusammenge­hen kön- nen, hat auch Michelle Obama vorgezeigt. Die Noch-Präsidente­ngattin postete auf ihrem TwitterAcc­ount ein Video, in dem sie Megahantel­n stemmt und beachtlich­e Muskeln zeigt.

Wobei die Damenwelt mit manchen Muskeln noch etwas fremdelt, findet Nathalie im Fitinn. „Frauen wollen zwar einen größeren Hintern, aber keine stärkeren Beine.“Sie lacht und fügt hinzu: „Das funktionie­rt nicht.“

Was dank Social Media funktionie­ren kann, ist das Geschäftsm­odell Fitnessmod­el: Lächelnd vermitteln sie, manche in aufreizend­er Pose, dass der durchtrain­ierte Körper ein Kinderspie­l sei. Einige bieten dazu Ernährungs- und Fitnessplä­ne an, gesponsert von Nahrungser­gänzungshe­rstellern. Mit verbotenen Substanzen habe man nichts am Hut, sagt Trainerin Janina im Brustton der Überzeugun­g. Eiweißrieg­el oder -drinks seien okay. Davon, dass sich einige Männer Testostero­n spritzen, halte sie nichts.

Lifestyle füttern

„Die fetten Jahre sind vorbei“, signalisie­rt ein Werbespruc­h im Fitinn. Für den Boom-Markt Nahrungser­gänzung gilt das nicht. „Die Geschäfte, die damit gemacht werden, sind wohl größer als der Drogenhand­el“, sagt Mediziner Fritz. Seit Jahren legt die Branche in Deutschlan­d um rund acht Prozent zu. In Österreich dürfte das Geschäft ähnlich florieren.

Dabei komme man in der Regel mit normaler, gesunder Ernährung aus, sagt Fritz. Auch wenn er gegen einen Eiweiß-Shake – etwa wenn nach einem Abendtrain­ing nicht mehr gekocht wird – nichts einzuwende­n hat. Die Wahl der Produkte sei haarig, so Fritz: „25 Prozent aller im Internet gekauften Nahrungser­gänzungspr­äparate sind durch verbotene Substanzen verunreini­gt.“Er empfiehlt einen Blick auf die so genannte Kölner Liste, eine unabhängig­e Hersteller­datenbank. Die Prüfung der Produkte koste zwar Geld. Das müsse es Hersteller­n wert sein.

Nathalie findet, dass harte Körperarbe­it reicht, um stark zu sein. Wie weit sie dabei geht? „Mir muss es gefallen, ich schaue mir im Spiegel zu. Muskeln sind ja keine Krankheit.“Richtig geheuer seien starke Frauen den Männern noch nicht, sagt die Vierte im Bunde der Fitnessrun­de, Michaela Riediger: Ob er ihr die Gewichte tragen solle, habe jüngst einer gefragt. Krachend lässt sie die Langhantel in die Verankerun­g fallen.

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 ??  ?? Muskelmass­e antrainier­en kann man sich hierzuland­e in über 1000 Fitnessbet­rieben. Die Zahl wächst, die Einstiegsh­ürde sinkt. Immer mehr Frauen schwitzen bewusst ausschließ­lich an Geräten und Gewichten.
Muskelmass­e antrainier­en kann man sich hierzuland­e in über 1000 Fitnessbet­rieben. Die Zahl wächst, die Einstiegsh­ürde sinkt. Immer mehr Frauen schwitzen bewusst ausschließ­lich an Geräten und Gewichten.

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