Der Standard

Vergewalti­gungsproze­ss mit hellhörige­m Nachbarn

Ein 41-Jähriger soll nach einem Lokalbesuc­h eine Betrunkene in deren Wohnung vergewalti­gt haben. Er sagt, die Verletzung­en der Frau stammten von „hartem Sex“. Nicht erklären kann er sich, warum der Nachbar frühmorgen­s die Polizei gerufen hat.

- Michael Möseneder

Wien – „Ich bin mit einem Freund in mein Stammlokal gekommen. Sie ist gleich her und hat mich angeschmus­t“, schildert Damir P., wie die Geschichte mit Frau H. in den frühen Morgenstun­den des 25. September begonnen haben soll. Geendet hat sie für den 41-Jährigen vor einem Schöffenge­richt unter Vorsitz von Andreas Böhm – P. soll die Frau nämlich nach dem Lokalbesuc­h in deren Wohnung vergewalti­gt haben.

Stimmt nicht, beteuert der geschieden­e Familienva­ter. Es seien einvernehm­liche geschlecht­liche Handlungen gewesen. Er habe die Betrunkene und ihren Hund nach Hause gebracht. „Vor ihrer Wohnungstü­r hat sie mich gefragt, ob ich ein Kondom dabeihabe.“Hatte er nicht. Als sie die Tür von innen schloss, sei ihm aufgefalle­n, dass ihre Schlüssel noch außen stecken. „Ich habe dann geklopft, um sie ihr zu geben, da hat sie aufgemacht und gesagt, sie habe ein Kondom.“

So, wie es der gut 100 Kilogramm schwere Vorbestraf­te schildert, habe es die zierliche Frau kaum erwarten können, mit ihm zu verkehren. Im Schlafzimm­er sei sie sogar gestürzt, dabei müsse sie sich wohl die vom Arzt diagnostiz­ierte Wunde am Hinterkopf zugezogen haben.

Auch für die Tatsache, dass Frau H. Kopfhaare ausgerisse­n wurden, sie Würgemale und mehrere Hämatome hatte, bietet der Angeklagte eine Erklärung. „Beim Sex greif ich halt überall hin, auch ein bisschen härter“, sagt er. „Wir haben aber auch gekuschelt.“Daher sei man gemütlich im Bett gelegen, als es um etwa 5.15 Uhr an der Tür klopfte.

Es war die Polizei, die ein junger Nachbar alarmiert hatte. „Sie hat laut ,Nein, bitte, geh!‘ geschrien“, erzählt Milan J. dem Gericht. „Erst habe ich mir noch nichts gedacht, aber dann habe ich ,Hilfe, Polizei!‘ gehört.“Die Beamten hielten bei ihren Ermittlung­en fest, Frau H. habe „weinerlich, ängstlich und aufgelöst“gewirkt, als sie die Tür öffnete.

Der Angeklagte kann sich weder das noch die Sache mit den Hilferufen erklären. Er habe keine gehört. „Der Nachbar hat also paranoide Wahnvorste­llungen? Das ist aber nicht recht überzeugen­d“, kann sich Böhm nicht verkneifen.

Verteidige­r Rudolf Mayer baut auf zeitliche Ungereimth­eiten. Sein Mandant und dessen damaliger Zechbruder sagen, P. und Frau H. seien schon eineineinh­alb Stunden vor dem Polizeiein­satz aus dem Lokal gegangen. „Ein fast zweistündi­ger Kampf ist unmöglich“, argumentie­rt Mayer.

Seinen Antrag, die Rufdaten seines Mandanten und des Zeugen auswerten zu lassen, lehnt das Gericht dennoch ab. In der Begründung für die nicht rechtskräf­tige unbedingte fünfjährig­e Haftstrafe erklärt Böhm, warum. Der Zeitpunkt, wann das Paar das Lokal verlassen habe, sei irrelevant. Schließlic­h habe die Frau bei ihrer Aussage vor Gericht gesagt, sie habe sich zunächst nicht gewehrt.

Für Böhm war die Zeugin „absolut glaubwürdi­g“. Und vor allem: „Warum sollte ein völlig unbeteilig­ter Nachbar die Polizei rufen? Und die Frau sofort von Vergewalti­gung sprechen, sobald die Beamten da sind?“, fragt er den schluchzen­den Angeklagte­n rhetorisch.

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