Der Standard

Kleine heile Tirolerwel­t in Naschmarkt­nähe

Vor einem Monat eröffnete das Miniatur-Tirolerlan­d in der Nähe des Wiener Naschmarkt­s. Während die Modellbaub­ranche in einer Krise steckt, freut sich der Betreiber der Schau dort über regen Besucheran­drang.

- Gudrun Springer

REPORTAGE:

Wien – Wenn es Abend wird, geht die Straßenbel­euchtung an. Vor einer allein stehenden Villa fahren Särge aus dem Boden und springen auf. Auf dem Jahrmarkt von Örzl blinken tausende bunte Lichter um die Wette. Und von einer Open-Air-Bühne singt Rod Stewart in die beschneite Landschaft, während 3000 LEDs Bühnenlich­t und Blitzlicht­gewitter imitieren. Im Miniatur-Tirolerlan­d wird es circa alle Viertelstu­nden Nacht. Ein Tag hat 24 Minuten.

Seit einem Monat hat die kleine Welt in Modellbaug­röße in der Franzensga­sse im fünften Bezirk, unweit des Wiener Naschmarkt­s, von Freitag bis Sonntag, zehn bis 17 Uhr, geöffnet, und Betreiber Wolfgang Pröhl – schlank, kurze graue Haare – rührt nicht nur die Werbetromm­el, sondern heißt an Besuchstag­en auch im Eingangs- bereich im Skihüttens­tyle die Besucher willkommen.

„Ein Chef, der die Gäste begrüßt, ist immer noch das Beste“, ist Pröhl, der Wiener mit der sonoren Stimme und dem rollenden „R“, überzeugt. Im hellblauen Poloshirt mit Miniaturwe­lt-Logo, das zwei Berggipfel andeutet, preist er Besuchern Vinschgerl­n an und erkundigt sich, ob die Ausstellun­g gefallen hat. Gibt es etwas zu beanstande­n, zählt er, ruhig, aber bestimmt, Gegenargum­ente auf. Sein Platz ist jener hinter der Theke des holzvertäf­elten Gastraums mit vier Tischen, der auch als Museumssho­p, Garderobe, und Ticketverk­aufsstelle dient.

Zuletzt war Pröhl Hoteldirek­tor, zuvor hatte er als Fotograf, Reiseleite­r und Erfinder der Erotikmess­e Geld verdient. Nun ist er Herr über eine ganze kleine Welt. Dass sie Tirol gewidmet ist, hat keine sentimenta­len Gründe, sondern liegt daran, dass Pröhl ganz gezielt ein abgegrenzt­es Gebiet mit gutem Image für seine Idee gesucht hat.

Bis zu 80 Besucher können in den drei Schauräume­n mit insgesamt 320 Quadratmet­er Fläche eine Welt im Maßstab von 1:87 beäugen, die aus mehr als 1000 Ge- bäuden, 5000 Bäumen und 21.000 Figuren besteht. Durch ihren Untergrund schlängeln sich 33 Kilometer Kabel.

Die Besucher entdecken dort eine Plastikfig­urenschar, die für die „Rente mit 30“demonstrie­rt, und zeigen auf Männer, nicht einmal halb so groß wie als Legomännch­en, die beim Wohnwagen von „Gaby“, Schlange stehen. Sie beugen sich über knapp einen Viertelqua­dratzentim­eter große Obstkistch­en auf dem Markt von „Wiensbruck“, in denen rote Äpfel, kleiner als Stecknadel­köpfe, auf Käufer warten. Züge rollen durch Tunnel, während Blaulichtw­agen über Straßen kurven.

Miniatur-Sponsorenl­ogos

Pröhl kam die Idee zum Miniaturla­nd bei einer Schlauchbo­otfahrt in Alaska. 1997 begab er sich auf Standortsu­che. Sie sollte ihn quer durch Österreich führen. Vor fünf Jahren wurde er fündig. Er castete Freiwillig­e als helfende Tüftler, die das Miniaturla­nd über Jahre aufbauten, und trieb Sponsoren für Miet- und Materialko­sten in der Höhe von 180.000 Euro auf. Die Logos seiner Geschäftsp­artner picken auf Tankstelle­n, Lokalen und Plakaten seiner Miniaturwe­lt. Pröhl investiert­e selbst 100.000 Euro und bastelte ebenfalls mit – „diese Baumgruppe da zum Beispiel“, sagt er und deutet auf einen Hügel. Vor allem aber vermarktet er das Projekt.

Zu tüfteln war auch nach der Eröffnung noch viel: Die Steuerung der Züge und Fahrzeuge machte den Miniaturfr­eunden noch Probleme. In der Ecke des dritten Besucherra­ums hängen hinter einer Absperrket­te über einem Eckschreib­tisch neun Bildschirm­e. Die Überwachun­gszentrale zeigt Gleissyste­me, Überwachun­gskamerabi­lder aus der gesamten Miniaturwe­lt, Straßenver­läufe und wo was fährt.

Mit Walkie-Talkie dirigiert

„Der Hans, unser Mastermind“, wie Pröhl seinen 52-jährigen Geschäftsp­artner nennt, saß dort anfangs viele Stunden und teilte Kollegen via Walkie-Talkie mit, wo Feuerwehra­utos mit schwächeln­dem Akku die Staße blockierte­n. Als „der Wolfgang“den „Wiener Strizzi“, wie Pröhl den hauptberuf­lichen Modellanla­genbauer bezeichnet, 2010 für das Projekt gewinnen wollte, sagte der zunächst ab. Zu viele hätten solche Ideen, umgesetzt würden sie dann doch nie. Es sollte anders kommen.

Nun, einen Monat nach der Eröffnung am 11. November, seien „auch die Kinderkran­kheiten“bei der Elektronik von Bahn- und Autoverkeh­r behoben, wie Pröhl nicht ohne Stolz berichtet. Je 1500 Gäste habe man an den ersten beiden Besucherwo­chenenden inklusive Freitag registrier­t. Pro Erwachsene­n kassiert er zehn, bei Kindern sechs Euro Eintritt. Voriges Wochenende habe er „den 5000. Besucher empfangen dürfen“– und mit Brettljaus­e beglückt.

Dass die Modellbaub­ranche selbst derzeit eine schwere Zeit erlebt, Firmen zusperren und hohe Verluste anmelden mussten, davon scheint man im Wiener Tirolerlan­d nichts zu merken. Im Gegenteil: Diese Woche beschlosse­n Pröhl und Team, die Schau in den Weihnachts­ferien täglich durchgehen­d geöffnet zu halten.

 ?? Foto: APA / Hans Klaus Techt ?? Eine Welt im Maßstab von 1:87 erstreckt sich über drei Räume eines Erdgeschoß­lokals in Naschmarkt­nähe. Unter anderem sind darin Originalna­chbauten von Häusern wie dem Goldenen Dachl in Tirol zu sehen.
Foto: APA / Hans Klaus Techt Eine Welt im Maßstab von 1:87 erstreckt sich über drei Räume eines Erdgeschoß­lokals in Naschmarkt­nähe. Unter anderem sind darin Originalna­chbauten von Häusern wie dem Goldenen Dachl in Tirol zu sehen.

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