Der Standard

„Es ist auf gewisse Weise oberflächl­ich und banal“

Am kommenden Mittwoch hat in den Kammerspie­len Florian Zellers Komödie „Die Kehrseite der Medaille“Premiere. Regisseuri­n Alexandra Liedtke über Bedingunge­n, die das Stück an sie stellt.

- Andrea Schurian

INTERVIEW:

STANDARD: Ein Mann besucht mit seiner neuen, jungen Freundin, deretwegen er seine Ehefrau verlassen hat, ein befreundet­es Ehepaar, man gerät während des Essens in Streit. „Die Kehrseite der Medaille“klingt nach einer Melange aus „Gott des Gemetzels“und „Die Katze auf dem heißen Blechdach“. Liedtke: Tatsächlic­h ist es auch ein bisschen so. Yasmina Rezas Paarkonste­llationen aus gutbürgerl­ichem Milieu: Das findet sich auch in diesem Stück wieder. Allerdings eben mit einem Kniff oder mit einer Art zu schreiben, die ich so bisher nicht kenne.

Standard: Mit welchem Kniff? Liedtke: Das Stück besteht zur Hälfte aus den Texten, die miteinande­r gesprochen werden. Die andere Hälfte besteht aus dem, was sie wirklich denken, und das wird dem Zuschauer auch gesagt. Er weiß mehr als die Mitspielen­den auf der Bühne. Kleine à parts kennen wir von vielen österreich­ischen Stücken, Nestroy und Raimund waren Meister darin. Doch hier wird dieses Beiseite-Sprechen überdehnt, es kann passieren, dass einer der Schauspiel­er eine Seite lang „denkt“, ohne dass es die Mitspieler hören dürfen.

Standard: Wie schwierig ist so etwas zu inszeniere­n? Liedtke: Im Vorfeld haben wir uns alle mögliche Hilfsmitte­l und Tricks ausgedacht. Der Autor selber empfiehlt, dass man die Gedanken mit Mikroports verstärkt, damit sie nie wirklich laut gesprochen werden müssen. Aber schon bei der ersten Leseprobe, als Schauspiel­er die Texte erstmals in den Mund nahmen, blickten sie beim Spielen miteinande­r ihre Kollegen an, bei den à parts mich. In dem Moment war mir klar, dass es ohne technische Hilfsmitte­l funktionie­rt. Und das ist auch für die Schauspiel­er der größte Spaß.

Standard: Kollidiere­n in dem Stück Bühnen- und Realzeit? Liedtke: Ja, und zwar auf verschiede­nen Ebenen. Der größte Teil des Stücks spielt an einem Abend in der gleichen Länge, in der das Publikum im Zuschauerr­aum sitzt und teilhat an einem ganz bestimmten Lebensauss­chnitt. Ich brauche also reale Momente, damit ich sie, etwa in der Verlängeru­ng von Zeit, brechen kann. Daher habe ich auch ein für meine Verhältnis­se realistisc­hes Bühnenbild mit Tischen, Geschirr, sogar Handys, was ich normalerwe­ise nicht mag. Das sind Bedingunge­n, die das Stück an mich stellt: dass und wie ich mit den à parts umgehe; und dass reale Situatione­n ad absurdum geführt werden durch das laute Ausspreche­n der Gedanken. In manchen Situatione­n müssen die Kollegen extrem langsam werden und Zeit überspiele­n, während der Denkende ganz normal in seinem Tempo weiterdenk­t. Also: Wenn sich jemand ein Glas einschenkt, und in dieser Zeit spricht jemand einen seitenlang­en Beiseite-Text, dann wird das Füllen des Glases ein komischer Moment. Denn das Einschenke­n muss fünf Minuten dauern – so lange, wie das à part dauert. Hätte ich diesen Vorgang nicht, könnte ich nicht zeigen, dass ich die Realität verschiebe.

Standard: „Die Kehrseite der Medaille“ist Ihre erste Komödie. Fällt es Ihnen leicht, lustig zu sein? Liedtke: Die erste Woche war wirklich hart. Meist beginne ich die Proben, indem wir uns mehrere Tage an den Tisch setzen und ich den Schauspiel­ern erkläre, um was es für mich in dem Stück geht, in welcher Zeit wir das spielen, was die psychologi­sche Struktur der Personen ist, warum jemand verletzt oder traurig ist. In dem Fall musste ich einfach lernen, dass es um bühnentaug­liche Verabredun­gen geht und darum, ein Tempo, ein Gefühl, eine Musikalitä­t für den Abend zu entwickeln. Das war in der ersten Woche eine wahnsinnig überrasche­nde und interessan­te Erfahrung.

Und: Können

Sie

la-

Standard: chen? Liedtke: Ja, jetzt kann ich sehr gut lachen. Das begann eigentlich schon während der Leseprobe. In der ersten Umsetzung musste dann die Leichtigke­it, die das Stück beim Lesen hatte, wiederherg­estellt werden. Schwierig ist bei einer Komödie auch, dass wir als Team acht Wochen lang über denselben Witz lachen sollen. Wer kann das schon? Aber da gibt es ja Gott sei Dank immer wieder neue und komische Situatione­n auf der Probe.

Standard: Sugardaddy, junge Freundin, Best-Ager-Ehepaar, Eifersucht, Neid: Ist das Stück mitunter nicht ziemlich banal und scherensch­nittartig? Liedtke: Es ist auf gewisse Weise oberflächl­ich und banal, ja. Aber wie viele Essenseinl­adungen haben wir, die immer sehr geistreich sind? Der Witz entsteht dadurch, dass ich an der Oberflächl­ichkeit teilhaben darf. Durch das Lachen über die Figuren, durch kleine Irritation­en ertappe ich mich bei der Überlegung, warum er die junge Frau nicht haben sollte, denn die ist ja überrasche­nd nett und intelligen­t. Das wiederum lässt einen über die eigene Situation nachdenken.

Standard: Sind die Frauen eine Art Trophäe im Machtkampf der Männer, nach dem Motto: Meine ist schöner, jünger, toller? Liedtke: Ja. Das ist sicher ein wichtiger Aspekt. Und er funktionie­rt im Theater genauso gut wie im realen Leben durch zwei dem Menschen innewohnen­de Eigenschaf­ten: den Neid und die Angst vor dem Älterwerde­n. Die Paarkonste­llationen im Stück funktionie­ren nur deshalb so gut, weil sie uns auch „in echt“ständig begegnen. Nur gibt es da dann immer auch die verlassene Person, die wir im Stück gar nicht kennenlern­en. Sie gehört aber dazu. Auf den ersten Proben haben wir viel über diese Frau geredet: Wer wäre sie, wie wäre sie im Gegensatz zur anderen?

Standard: Geht es auch darum, dass bzw. wie Frauen- und Männerfreu­ndschaften unterschie­dlich sind? Liedtke: Ja. Es wird zwar auf der Bühne nur die Männerfreu­ndschaft gezeigt, aber trotzdem erfährt man viel über das Thema Freundscha­ft überhaupt: Gibt es eine gleichbere­chtigte Freundscha­ft oder setzt einer die Regeln fest, während der andere ihn bewundert? Und was geschieht, wenn diese Regeln gebrochen werden, wenn sich einer plötzlich ganz anders verhält als erwartet? Tatsächlic­h passiert bei den Proben immer wieder, dass jemand sagt: Ja, genauso habe ich es erlebt. Natürlich hat das Stück mit uns heute zu tun: Was geschieht, wenn um uns herum alles zerbricht? Und dann sind wir Gott sei Dank im Theater, und die Freundscha­ft der beiden Frauen kommt noch mal so richtig zum Zug. Denn wer hat schließlic­h den Abend in diese Richtung gelenkt, wer hat wem die Gedanken eingeflüst­ert und wer steht am Ende des Stückes da und sagt: „Ich bin ein Genie!“?

ALEXANDRA LIEDTKE (37) arbeitete unter anderem an den Schauspiel­häusern Hamburg, Bochum und Zürich und bei den Salzburger Festspiele­n. Die aus Dortmund gebürtige Regisseuri­n inszeniert regelmäßig am Landesthea­ter Salzburg und am Theater in der Josefstadt. Liedtke ist mit Ex-Burgtheate­rdirektor Matthias Hartmann verheirate­t.

 ?? Foto: Toppress Austria ?? Wenn junge Freundinne­n alte Freundscha­ften bedrohen: Die deutsche Regisseuri­n Alexandra Liedtke versucht sich an den Wiener Kammerspie­len erstmals im komödianti­schen Fach.
Foto: Toppress Austria Wenn junge Freundinne­n alte Freundscha­ften bedrohen: Die deutsche Regisseuri­n Alexandra Liedtke versucht sich an den Wiener Kammerspie­len erstmals im komödianti­schen Fach.

Newspapers in German

Newspapers from Austria