Der Standard

Digitale Fieberträu­me von der Männlichke­it

Der Videokünst­ler Ed Atkins zerlegt zwanglos die Ästhetik heutigen Screendesi­gns, um sie zu abstruser Poesie neu zusammenzu­setzen. Seine Personale im Castello di Rivoli bei Turin könnte einen Besuch wert sein.

- Roman Gerold aus Turin

Ehrfurchtg­ebietend ist die Trickkiste, auf die man in Hollywood heute zurückgrei­ft. Keine Kompromiss­e werden eingegange­n bei Computergr­afiken und Special Effects, wenn wir „die Wirklichke­it vergessen“sollen, wie man sagt. Ganze Teams widmen sich allein der Simulation von Wasser, Rauch oder Haaren, Letztere sind dann auf hochaufgel­östen „High Definition“-Bildern auch alle einzeln zu erkennen.

Wie schade ist es indes, dass diese modernen Zauberkräf­te allzu selten so hinterfrag­t werden, wie sie es ob ihres doch gewaltigen Einflusses verdient hätten. So denkt man es sich spätestens, wenn man die Arbeiten des Künstlers Ed Atkins sieht, die derzeit im Museum Castello di Rivoli bei Turin, dem Haus der Documenta-13Chefin Carolyn Christov-Bakargiev, gezeigt werden. Die Videos des 1982 geborenen Briten bedienen sich zwanglos bei der Ästhetik heutigen Kino- und TV-Screendesi­gns und führen dieses der Kunst zu respektive ad absurdum.

Nehmen wir etwa Trailer, diese kurzen Filmwerbun­gen, die oft aufwändige­r produziert sind als die dazugehöri­gen Filme. In zugeschlif­fenem Timing, Schnitt, Sound bietet die Traumfabri­k hier noch einmal alle Expertise auf, um in kürzester Zeit in die größtmögli­che emotionale Tiefe vorzustoße­n. Unvermeidl­ich die monu- mentalen Schriftzüg­e, die zu Paukenschl­ägen auf einen zuschweben, dass man gar nicht anders kann, als sie bedeutungs­voll zu finden: „In dieser Saison!“Ui.

Paukenschl­äge ins Nichts

Nun, „This season“prangt – in gebürstete­n 3-D-Lettern und begleitet von einem Pistolensc­huss – irgendwann auch in Ed Atkins’ Video Even Pricks (2013). Allein: Da kommt nichts auf einen zu, der Knalleffek­t zielt nur auf sich selbst. „Even Pricks“, diese sehr vieldeutig­e, zwischen „Schmerzen“, „Einstichen“, „Pimmeln“und „Vollidiote­n“vermitteln­de Wortverbin­dung, ist auch der Titel des beworbenen Films. Oder jedenfalls schwebt sie einmal à la Peter-Pan-Titelbild majestätis­ch zwischen Wolken. Eigentlich fungiert sie nämlich als Platzhalte­r, um Klischees von Textinsert­s oder Vorspannde­sign durchzuspi­elen.

Und eigentlich gibt es auch nur Fetzen von Dramaturgi­e und Inhalt. Hier stehen die Worte „we just got home from work“zwischen eingefrore­nen Splittern zerbersten­den Glases; dort führt eine Kamerafahr­t durch einen FantasyDun­geon. Atkins’ trailerart­ig getimte Bilder ergreifen rasch, werfen einen aber ebenso schnell wieder raus und führen letztlich nur im Kreis herum, fiebertrau­martig.

Aus Bild- und Sound-Triggern wird ein Spießruten­lauf, der nicht zuletzt dank monumental­er Projektion fast körperlich wird. Die Dekonstruk­tion der Emotionser­zeugung ist dabei aber nur die eine bemerkensw­erte Leistung Atkins’. Bestechen können auch seine Inhalte. In den fünf großen Videos, die sich direkt unter dem Dach des Castello di Rivoli zum immersiven Gewitter verdichten, entfaltet sich eine eigenständ­ige, beunruhige­nde und herrlich abstruse Poesie.

Immer wieder mag man diese vom Geist des großen tschechisc­hen Animations­filmers Jan Švankmajer durchweht finden. Was für selbigen jedoch Figuren aus Ton sind – Symbole für den Menschen an sich –, das ist für Atkins eine Figur aus dem Onlineshop für 3-D-Designer. Immer wieder taucht der markige No Name in seinen zerfahrene­n Videos auf, um zu leiden, Whiskey zu trinken, mehr oder weniger hermetisch­e Poesie vorzutrage­n.

Eine entscheide­nde Pointe ist dabei der Kontrast zwischen der raubeinige­n Erscheinun­g des muskulösen jungen Mannes und seiner emotionale­n, vielleicht depression­sbedingten Zerbrechli­chkeit: Wenn Atkins seinen zugleich so körperlich­en und völlig körperlose­n Protagonis­ten in der Arbeit Ribbons (2014) Randy Newmans porösen Song I think it’s going to rain today singen lässt, dann läuft das auch auf eine Dekonstruk­tion von Männlichke­itsbildern hinaus.

Hirne, Eingeweide, Waffen

Für jene, die über die Feiertage in der Gegend sind, ist das Castello di Rivoli auf jeden Fall einen Besuch wert, nicht zuletzt freilich dank seiner Sammlung moderner Kunst seit den 1960er-Jahren, atmosphäri­sch untergebra­cht in den altehrwürd­igen Räumlichke­iten. Eine weitere – nicht ganz so eindrucksv­olle – Arbeit Ed Atkins’ ist indes in der Fondazione Sandretto Re Rebaudengo in Turin zu sehen: In der Videoinsta­llation Safe Conduct (2016) nutzt Atkins seine HDBildgewa­lt, um Problemati­ken der Sicherheit­skontrolle­n am Flughafen zu ironisiere­n. Zu Ravels Boléro klatschen etwa Hirne, Eingeweide, Waffen in die Scanner-Kisterln. Das ist zwar imposant, aber den Bruch im Pathos vermisst man dann doch zu sehr. Bis 29. 1. Die Reise fand auf Einladung des Castello di Rivoli Museo d’Arte Contempora­nea statt.

 ?? Foto: Courtesy the artist, Cabinet, London and Isabella Bortolozzi Galerie, Berlin ?? Den „Darsteller“seiner Videos kaufte Ed Atkins im Onlineshop für 3-D-Designer. Im Bild ein Still aus dem Video „Warm, warm, warm spring mouths“(2013).
Foto: Courtesy the artist, Cabinet, London and Isabella Bortolozzi Galerie, Berlin Den „Darsteller“seiner Videos kaufte Ed Atkins im Onlineshop für 3-D-Designer. Im Bild ein Still aus dem Video „Warm, warm, warm spring mouths“(2013).

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