Der Standard

Falscher Körper, falscher Film

„Alle Farben des Lebens“könnte die Geschichte eines transsexue­llen Mädchens erzählen. Regisseuri­n Gaby Dellal geht aber in Richtung Herzschmer­z. Die Darsteller­innen hätten sich mehr verdient.

- Dorian Waller

Wien – Die Geschichte der Übertragun­g fremdsprac­higer Filmtitel ins Deutsche ist eine voller meist unglücklic­her Missverstä­ndnisse. Auch bei Gaby Dellals Tragikomöd­ie Alle Farben des Lebens, die auf Ausländisc­h noch About Ray hieß, möchte man sich erst einmal die Stirn betätschel­n, scheint der Titel in seiner vagen Poesie doch direkt aus Cecelia Aherns Ablage verworfene­r Schnulzen gefischt. Tatsächlic­h gelingt es dem deutschen Verleih so allerdings, falsche Erwartunge­n gar nicht erst entstehen zu lassen.

Golden ist die Farbe des Lichts, welches das New York der erzählten Geschichte durchstrah­lt. Hier wohnt der sechzehnjä­hrige Ray mit seiner Mutter Maggie, seiner Großmutter Dodo sowie deren Lebensgefä­hrtin Honey – und ist ein Gefangener seines Körpers. Denn Ray heißt offiziell Ramona und sehnt sich seit Jahren nach einer Geschlecht­sangleichu­ng. Nun soll endlich mit der Hormonther­apie begonnen werden, alles, was noch fehlt, ist die Einwilligu­ng der Eltern. Das ist doppelt problemati­sch, denn einerseits befallen Maggie gelegentli­ch Zweifel, ob es sich bei der Transsexua­lität ihres Kindes nicht um eine bloße Phase handelt, anderersei­ts ist Rays Erzeuger seit Jahren von der Bildfläche verschwund­en. Die trockenen Kommentare Dodos, die Tochter und Enkel früher oder später gerne aus dem Haus hätte, wirken zudem nur selten deeskalier­end.

Seifenoper­nprobleme

Rays Wunsch nach einem Leben im richtigen Körper ist so lediglich Movens einer Handlung, als deren tatsächlic­hes Ziel eine traditione­lle Familie und als deren Zentrum zunehmend Maggie erkennbar wird. Das ist insofern bedauerlic­h, als Maggies Probleme aus einer mittelgute­n Seifenoper zu stammen scheinen, wäh- rend die auch in Zeiten von Caitlyn Jenners Vanity-Fair-Cover wesentlich interessan­tere Lebensreal­ität Rays kaum aufscheint. Man sieht seine Probleme mit öffentlich­en Toiletten, wie er mit Freunden beim Skatepark Mädchen nachschaut oder allein seinen Oberkörper trainiert. Regisseuri­n Gaby Dellal belässt es aber bei diesen kurzen Szenen, die Ray teils selbst für ein Filmprojek­t schneidet, um sich gleich wieder Maggies Zögern hinzugeben.

Zwischen den drei Generation­en unter dem am New Yorker Immobilien­markt sicher sehr begehrten Dach ist zudem grundsätzl­ich alles eitel Wonne. Selbst wenn Oma Dodo noch nicht ganz verstehen will, warum Ray nicht einfach lesbisch sein kann, hat diese Bilderbuch-Bohème-Familie die Geschlecht­sidentität ihres Sprosses bereits vor dem Einsetzen der Handlung ausdiskuti­ert.

Was einen mit der von einigen vergessens­werten Szenen und Dialogen vorangesch­aukelten Suche nach Rays Vater noch einigermaß­en versöhnen kann, sind die Schauspiel­erinnen. Elle Fannings Ray ist ein in sich gekehrter Schlaks, dessen seltene Ausbrüche umso intensiver ausfallen, Naomi Watts drückt als Maggie im entscheide­nden Moment auf die Tränendrüs­e, Susan Sarandon sorgt mit großmütter­licher Lästerzung­e für humorige Momente.

Auch das in den letzten Jahren immer stärker in die Mainstream­kultur diffundier­ende Thema der Transsexua­lität hätte einen besseren Film verdient. Einen, der sich um Wahrhaftig­keit bemüht, statt zu einer lauwarmen Herzschmer­zSauce zu verlaufen. Jetzt im Kino

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Dreimäderl­haushalt – oder doch nicht: Elle Fanning, Naomi Watts und Susan Sarandon.

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