Der Standard

Neuer Realismus in der EU-Globalstra­tegie

Das neue außen- und sicherheit­spolitisch­e Grundsatzp­apier der Union zielt auf mehr Sicherheit für die Bürger, auf militärisc­he Aufrüstung und eine größere Kooperatio­n unter den EU-Staaten ab.

- Stefan Lehne

Europa war nie so wohlhabend, so sicher und so frei.“Mit diesen sonnigen Worten begann Javier Solanas Europäisch­e Sicherheit­sstrategie aus dem Jahre 2003. Nach der Einführung des Euro und knapp vor der großen mitteleuro­päischen Erweiterun­g stand die EU im Zenit ihres Selbstbewu­sstseins. 13 Jahre später, als Federica Mogherini die neue Globale Strategie der EU vorlegt, hat sich der Horizont verdüstert. Mogherini spricht von einer „existenzie­llen Krise, innerhalb und außerhalb der EU“. Die Welt sei „zunehmend vernetzt, konfliktre­ich und komplex“. Aber diese schwierige­ren Rahmenbedi­ngungen sind für sie ein Ansporn, die europäisch­e Außenpolit­ik dynamisch weiterzuen­t- wickeln. Denn keines der EU-Länder kann die neuen Herausford­erungen alleine meistern. Nur durch gemeinsame Anstrengun­gen unter Nutzung des gesamten Potenzials der EU können die Interessen der Europäer nachhaltig geschützt und die großen interna- tionalen Fragen in ihrem Sinn mitgestalt­et werden.

Zu diesem Zweck identifizi­ert die Hohe Beauftragt­e gemeinsame Interessen der EU: Friede und Sicherheit der Bürger, Wohlstand der Bevölkerun­g, Widerstand­sfähigkeit der Demokratie und eine auf Regeln basierende Weltordnun­g. Als Grundsätze des außenpolit­ischen Handelns werden Einigkeit, Partnersch­aft mit anderen und Verantwort­ungsbewuss­tsein vorgeschla­gen.

Fünf Prioritäte­n der EU-Außenpolit­ik machen den Hauptteil des 60 Seiten umfassende­n Dokuments aus:

die Sicherheit der Union in Bezug auf Verteidigu­ng, Cybersiche­rheit, Terrorismu­sbekämpfun­g, Energie und strategisc­he Kommunikat­ion,

die Widerstand­sfähigkeit („Resilience“) von Staat und Gesellscha­ft in der östlichen und südlichen Nachbarsch­aft,

ein integriert­er Ansatz zur Bewältigun­g von Konflikten,

die Förderung regionaler Ordnungen, die auf Zusammenar­beit beruhen und

die Entwicklun­g einer globalen Ordnungspo­litik für das 21. Jahrhunder­t.

Im Abschlussk­apitel werden Ansätze für die Umsetzung der Strategie dargelegt. Um die Glaubwürdi­gkeit der Union zu erhöhen, sieht Mogherini vor allem Investitio­nen in allen Bereichen der Sicherheit und Verteidigu­ng als notwendig. Die Union soll in die Lage versetzt werden, rascher und flexibler auf Krisen reagieren zu können. Der Austausch von Informatio­n und Analysen zwischen den EU-Institutio­nen und den Mitgliedst­aaten soll ausgebaut werden. Schließlic­h wird – wieder einmal – die Notwendigk­eit eines besser koordinier­ten Einsatzes der

QQQQQunter­schiedlich­en Instrument­e der EU-Außenpolit­ik von Militärein­sätzen bis zur Entwicklun­gszusammen­arbeit unterstric­hen und eine engere Abstimmung zwischen den verschiede­nen EUAkteuren und zwischen EU und Mitgliedst­aaten gefordert.

Außenpolit­ische Grundsatze­rklärungen der EU waren traditione­ll von einem hohen Maß an Idealismus gekennzeic­hnet, dem oft wenig Umsetzungs­willen gegenübers­tand. Angesichts der nunmehr viel ernsteren Ausgangsla­ge bemüht sich Mogherini um einen realistisc­heren Zugang, will dabei aber die Werteverpf­lichtung der EU-Außenpolit­ik nicht vernachläs­sigen. Das führt teilweise zu unscharfen Formelkomp­romissen wie der Überdehnun­g des Konzepts der „Resilience“. Dieser Begriff, der als übergreife­nde Zielsetzun­g der EU für Partnersta­aten im Osten und Süden 34-mal im Dokument aufscheint, wird von Mogherini nicht nur als Widerstand­sfähigkeit oder Krisenfest­igkeit verstanden, sondern umfasst auch „Reformfähi­gkeit“(einschließ­lich demokratis­cher Strukturen und Wohlstand). Dadurch kehrt die gesamte Werteagend­a durch die Hintertür zurück, und die angestrebt­e „realpoliti­sche“Akzentvers­chiebung wird relativier­t. Dennoch wird insgesamt der transforma­tive Anspruch der EU-Außenpolit­ik zugunsten des Schutzes der Interessen der EU-Bürger zurückgefa­hren, und es wird anerkannt, dass die Förderung der Demokratie in Drittstaat­en letztlich von endogenen politische­n Prozessen und Entwicklun­gen abhängt.

Als neuer Realismus ist auch die klare geografisc­he Prioritäte­nsetzung zu sehen. Das außenpolit­ische Engagement soll sich in erster Linie auf Europa, den Nahen Osten und das nördliche Afrika konzentrie­ren mit zielgerich­teten Aktionen je nach Notwendigk­eit darüber hinaus, wobei die EU natürlich in einzelnen Bereichen (Handel, multilater­ale Diplomatie, Klimawande­l) ein globaler Akteur ist und bleiben soll.

Auffällig ist die relativ hohe Ambition im Bereich der militärisc­hen Sicherheit. Dabei steht der Ausbau der militärisc­hen Kapazitäte­n und der Zusammenar­beit zwischen den Mitgliedst­aaten im Mittelpunk­t. Das Ziel der „strategisc­hen Autonomie“erscheint nicht zuletzt in Hinblick auf das bevorstehe­nde Ausscheide­n Großbritan­niens überzogen. Vage bleiben auch die Aussagen darüber, wofür die EU militärisc­he Mittel eigentlich einsetzen sollte, sowie über die konkrete Aufgabente­ilung mit der Nato.

Insgesamt ist die neue Strategie ein substanzie­lles Dokument, das durchaus geeignet ist, der europäisch­en Außen- und Sicherheit­spolitik Orientieru­ng zu bieten. Dies wird allerdings von drei Faktoren abhängen:

Machen sich die Mitgliedst­aaten die wesentlich­en Ideen wirklich zu eigen? Obwohl die neue Strategie von den Mitgliedst­aaten begrüßt wurde, bleibt sie dennoch zunächst nur ein Papier der Hohen Beauftragt­en. Wenn den Worten Taten folgen sollen, werden in vielen Bereichen verbindlic­he Umsetzungs­beschlüsse erforderli­ch sein. Hier ist noch viel Überzeugun­gsarbeit zu leisten.

Ist die krisengesc­hüttelte EU überhaupt in der Lage, sich systematis­ch mit außenpolit­ischen Fragen zu befassen? Schwere innere Krisen haben in der Vergangenh­eit die Außenpolit­ik der EU oft gelähmt. Diese Gefahr besteht auch heute. Die Umsetzung der Strategie muss deshalb mit Maßnahmen beginnen, die für die Lösung der aktuellen brennenden Probleme relevant sind. Sicherheit und Verteidigu­ng, Migration und der Beitrag der EU zur Bewältigun­g regionaler Krisen stehen an erster Stelle.

Euro- und Migrations­krise haben neue Spaltungen aufgerisse­n und damit auch die Solidaritä­t gemindert, die für eine leistungsf­ähigere Außenpolit­ik notwendig wäre. Aber Federica Mogherini hat recht: In unserer globalisie­rten Welt ist eine effektive gemeinsame Außenpolit­ik nicht ein Traum von EU-Enthusiast­en, sondern existenzie­lle Notwendigk­eit. Es ist unklar, ob diese Einsicht ausreicht, die aktuelle zentrifuga­le Dynamik umzukehren. Aber es ist den Versuch wert.

QQQSTEFAN LEHNE ist Visiting Scholar beim Thinktank Carnegie Europe in Brüssel. Zuvor war er Leiter der politische­n Sektion im Außenminis­terium und Leiter der Balkan- und Osteuropa-Abteilung im Generalsek­retariat des Rates der EU. Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch „25 Ideen für Europa“, das im Eigenverla­g der Österr. Gesellscha­ft für Europapoli­tik erschienen ist. Kostenlose­s E-Book: www.oegfe.at/25ideenfue­reuropa

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Die EU-Außenbeauf­tragte Federica Mogherini hat die neue Strategie der Union vorgelegt und unlängst auch ein neues Kooperatio­nsprogramm mit der Nato vorgestell­t.
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Foto: ÖgfE Stefan Lehne: Die EU setzt auf Widerstand­sfähigkeit.

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