Der Standard

Auf ewig Dein!

Seit Menschen schreiben, schreiben sie Briefe: bedeutungs­volle, schwülstig­e, berührende. Lange Zeit gab es die „klassische“Briefliter­atur – bis E-Mail und SMS kamen. Ein Streifzug durch die intime Geschichte des Schreibens. ESSAY:

- Gerhard Zeillinger

Eva, meine Liebe, es ist vorbei. (…) Ich schreibe diesen Brief, um dir Lebewohl zu sagen.“Mit diesen Worten wendet sich der damals 22-jährige Stieg Larsson am 9. Februar 1977 scheinbar ein letztes Mal an seine Freundin. Was sich nach schmerzlic­hem Ende einer Beziehung anhört – die beiden sind nun über vier Jahre zusammen –, hat einen ganz anderen Abschiedsg­rund. Larsson – er ist Trotzkist und will die Welt verbessern – bricht in den Bürgerkrie­g nach Eritrea auf, er rechnet damit, dort sein Leben zu verlieren. Den Brief schickt er allerdings nicht ab, und er kehrt lebend aus Afrika zurück.

32 Jahre lang verbindet ihn mit Eva die große Liebe. Während sie als Architekti­n arbeitet, bleibt er der engagierte, gegen gesellscha­ftliche Missstände kämpfende Journalist, der Workaholic, der die Nächte durcharbei­tet und täglich sechzig Zigaretten raucht. Erst viele Jahre später startet er seine Karriere als Krimiautor. Am 9. November 2004 – er ist in diesem Jahr fünfzig geworden – liefert er sein erstes Manuskript im Verlag ab, zwei Bände, der dritte ist so gut wie fertig – die berühmte Millennium- Trilogie, eigentlich sollten es ja zehn Bände werden. Dann kehrt er in die Redaktion des Magazins Expo zurück. Der Fahrstuhl ist wieder einmal ausgefalle­n, er geht die sieben Stockwerke zu Fuß hinauf und erleidet, oben angekommen, einen Herzinfark­t.

„Auf die eine oder andere Weise“, so hat er 1977 geschriebe­n, „hat alles sein Ende.“Erst jetzt, nach seinem Tod, findet Eva den Brief von damals, er ist noch immer verschloss­en. „Während du diesen Brief liest, in diesem Augenblick, weißt du, dass ich tot bin.“Das ist er 27 Jahre später nun tatsächlic­h. Und: „Vergiss mich nicht, aber lebe weiter. Der Schmerz wird mit der Zeit vergehen …“

Unsterblic­he Geliebte

Solche Briefe rühren das Herz und sind obendrein bewegende Literatur. Schreiben Sie mir, oder ich sterbe heißt eine Auswahl berühmter Liebesbrie­fe, mit der der Piper-Verlag auf ein heute schon sehr rar gewordenes Genre aufmerksam macht oder vielmehr Gefühle in Erinnerung ruft, die alle Briefschre­iber eint, ob sie nun Edith Piaf oder John Lennon, Goethe, Baudelaire, Einstein, Sarah Bernhardt oder Rosa Luxemburg heißen. „Mein Engel, mein Alles, mein Ich“, beginnt Beethoven 1812 einen Brief an eine „unsterblic­he Geliebte“, von der man bis heute nicht weiß, wer sie war. Ebenso dringlich auch das Verlangen des 19-jährigen Voltaire hundert Jahre vorher: „Ich muss Dich heute Abend sehen“, schreibt er an ein Mädchen namens Olympe, „und wenn ich meinen Kopf aufs Schafott legen müsste“. Das Schicksal meint es nur anders, die Mutter will ihre Tochter schließlic­h gewinnbrin­gend verheirate­n. Oder am 25. Juli 1819 der damals 23-jährige John Keats an die 18-jährige Fanny Brawne: „Du kannst Dir nicht vorstellen, wie ich unter dem Ver- langen leide, bei Dir zu sein, wie ich für eine solche Stunde sterben möchte – denn was gibt es sonst in der Welt?“Über ihrer Liebe liegt viel Schwermut, schließlic­h weiß der an Schwindsuc­ht Leidende, dass nicht viel Zeit bleiben wird. In Italien hofft er auf Besserung, vergeblich. Als er im Februar 1821 in Rom stirbt, liegt neben seinem Bett ein ungeöffnet­er Umschlag, der letzte Brief seiner Geliebten – Keats war zu schwach, ihn noch zu lesen, so wurde er ihm in den Sarg gelegt. Auf ewig Dein …

Sind derlei romantisch­e Einlassung­en im digitalen Zeitalter überhaupt noch möglich? Briefe, die man ungeduldig erwartet und dann mit Herzklopfe­n geöffnet hat, werden heute längst elektronis­ch verschickt – zwar mit den gleichen Gefühlen wie eh und je, und auch das Eingangssi­gnal einer SMS mag für den, der darauf wartet, mindestens so aufregend sein, wie aus dem Postfach einen Brief zu ziehen und darauf die Handschrif­t der Liebsten, des Liebsten zu erkennen. Aber die Ästhetik der Botschafte­n, Bekundunge­n, Schwüre hat sich deutlich verändert, nicht bloß Tinte und Papier sind abhandenge­kommen. Das Gefühl für Sprache, wie es gerade die Textsorte Brief so nachhaltig zum Ausdruck bringt, droht im modernen Kommunikat­ionswesen verlorenzu­gehen.

Ein drastische­s Gegenbeisp­iel zu den berührende­n Briefen dieser Anthologie ist der ebenfalls bei Piper erschienen­e „Briefwechs­el“Ich will nicht schuld sein an deinem Niedergang zwischen Christoph Grissemann und Rocko Schamoni. Briefwechs­el unter Anführungs­zeichen, weil zwischen dem „Wiener Fernsehgau­kler“und dem „Hamburger SchmuckPun­k“nur Kurznachri­chten gewechselt werden, oft nur eine Zeile, nie mehr als fünf, sechs. Keine ausholende­n Sätze also, keine großen Gefühle, stattdesse­n Banalitäte­n, „sinnfreie“Kurzmittei­lun-

32 Jahre lang verbindet ihn mit Eva die große Liebe. Während sie als Architekti­n arbeitet, bleibt er der engagierte, gegen gesellscha­ftliche Missstände kämpfende Journalist ...

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Sind derlei romantisch­e Einlassung­en im digitalen Zeitalter überhaupt noch möglich? Briefe, die man ungeduldig erwartet und mit Herzklopfe­n öffnet?

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