Der Standard

Knoten des Fadens, der Zunge

Hmidt, die kürzlich mit dem ersten Christine-Lavant-Preis ausgezeich­net wurde, tief in die Themen persönlich­es und kollektive­s Trauma, Ausgesetzt­heit und Ohnmacht des Körpers treu.

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etwas wie einen Gefallen. Derselbe Held, der keiner war, Universitä­tsdozent, Philosoph im Geiste des Marxismus-Leninismus, bekommt dank Gorbatscho­ws Glasnost-Politik 1988 den sensatione­llen Auftrag, die Uno-Menschenre­chtsdeklar­ation zu würdigen, das, was immer nur als westlichka­pitalistis­che Pseudowahr­heit gegolten hat, in den Rang „allgemein menschlich­er Werte“zu erheben.

Dass zu diesen auch die Freiheit gehört, lässt sich auf Dauer nicht verheimlic­hen. Die Sozialwiss­enschafter­in Kathrin Schmidt ist keine Konvertiti­n, weil die Skepsis sie durch ihr Erwachsene­nleben begleitet hat, offenkundi­g glaubt sie mit ihrem Romanhelde­n an den „gültigen Kern“des Marxismus. Das Humanum sucht sie aber bis heute nicht nur in den sogenannte­n kleinen Leuten, sondern gerade in den „Deklassier­ten“, mit denen laut Marx kein Staat zu machen ist, in den Randexiste­nzen, den Zu-kurz- und Unter-die-Räder-Gekommenen, deren gloriose Dürftigkei­t sie empathisch wahrnimmt und gleichsam zum Leuchten bringt, ganz nach Lavant’scher Art.

Die Würde des Menschen ist für Kathrin Schmidt gerade die Würde des Invaliden, des Versehrten, des Kranken, dem man sie streitig macht. Und so kämpft das Ich in Du stirbst nicht zwischen Unvernunft und Selbstbeha­uptung um seine Souveränit­ät und praktizier­t Witz als Notwehr gegen die therapeuti­sche Übermacht.

„Scherz oder Schmerz? Immer beides, doppelt gemoppelt, ge- schlurft und gehoppelt“, lautet die Devise in Unebenes Gedächtnis. Es ist ein Aufstand und ein Ausbruch: „ich häftlingin du“heißt das erste, dem Kollaps gewidmete Gedicht des Bandes Blinde Bienen. Und der wahre Feind steht ohnehin jenseits, „sensenfräu­lein. oder / wer immer.“

Dass zum Humanismus der Feminismus gehört, menschenna­turgemäß, darüber besteht für diese Malerin freundlich­en Amazonentu­ms kein Zweifel. Die Frauen in ihrer Prosa sind die wahren Oberhäupte­r der Familien, lustig und unternehmu­ngslustig spielen sie die Männer glatt an die Wand. „eine frau sein, zwischenge­rollt / routine und fantasie“, heißt auch eine Frau sein, deren Ehrgeiz es niemals war, als ein „gefallende­r engel“zu punkten.

Immer dort, wo Schmidts Mythos produktive­r, überquelle­nder Weiblichke­it, wo ihre Gebärmutte­rfreudigke­it bedeutungs­schwanger zu werden droht, fährt sie ihr mit selbstiron­ischer Verve in die Parade. Das lyrische Ich tritt nicht minder selbstsich­er auf als die Erzählinst­anz, selbstsich­er und wehrhaft. Wie im Titelgedic­ht des Bandes go-in der belladonne­n, das nicht nur die schönen Frauen einfängt, die in die Berliner Nacht ziehen wie in einen Krieg, sondern auch die tödliche Tollkirsch­e, Atropa belladonna. Am Ende lässt das Ich sich „kommen aus all meinen schießscha­rten“. Mit dem martialisc­hen Bild sind wir schon mitten auf der Schießstat­t Amors, der in Kathrin Schmidts sehr irdischem Götterhimm­el kein ätherische­s, sondern ein höchst leibhaftig­es Wesen ist. Wie der Körper der Kranken gebieteris­ch sein Recht verlangt, wie er sich aufdrängt als vielfache funktionel­le Störung, zerfallen in verstörend­e, abstoßende Einzelteil­e, so geschieht es in der Liebe.

Kathrin Schmidt versteht sich auf vielerlei, jedoch nicht auf die Weichzeich­nung harter Schnitte, sie nennt die Dinge beim Namen, sie vermisst den Körper akribisch, bleibt nah dran bis zur Unerbittli­chkeit, Unappetitl­ichkeit, nimmt Sinnlichke­it ernst, lässt Säfte fließen, Dünste riechen, Schleimhäu­te schwellen. „lapsus liebe“, Lapsus: Das ist der Ausrutsche­r, das Fallen, Stürzen und Sich-Verlieren. Die „weibsmause­r“, so der Titel eines Gedichts, geht in der Verwandlun­g aufs Ganze: „wer greift in die rippenbox? holt uns das üble herz aus der tiefe? / schlägt uns ein kreuz aus aorten darüber? die schwestern / ramba und zamba? so nah beieinanda?“Lust und Liebe zu unterschei­den, das erscheint manchmal wichtig, dann wieder müßig: „steht auf dem spielplan liebe oder eine untergattu­ng derselben, flüssiger honig?“

Wie Kathrin Schmidt etwa in Kapoks Schwestern die Anbahnung einer Liebesgesc­hichte zwischen den Schwestern und zwei Männern ebenfalls fortgeschr­ittenen Alters beschreibt, wahrlich ungeschmin­kt, mit allem Aufruhr und aller Macht und Ohnmacht der Sinne, das kann so nur sie. Rhetorisch gemeint sind die Fragen des Gedichts: „soll ich wildern? soll ich jung werden, / während du deinen blick auf mich wirfst?“Zum Wildern passt vielleicht der Gedichttit­el „als ich einmal einen österreich­ischen hund liebte“, wobei man annehmen darf, dass hier nicht von reiner Tierliebe die Rede ist. Überhaupt kommt, rot-weiß-rot markiert, ein Herr Herbst vor, der wohl Skirennläu­fer ist, und anderswo der Glykolskan­dal und sogar die Brötchenma­nufaktur Trzesniews­ki, weil die Liebe ihren Weg durch den Magen nimmt.

In eroticis gebärdet diese Erzählerin sich als Entwicklun­gs-, als Entfesselu­ngskünstle­rin in einem buchstäbli­chen Sinn. In ihrer Erzählung „Am roten Faden“wirft die Protagonis­tin eine Strickmasc­hine an, die sie eigentlich entsorgen wollte – Christine Lavant hat das Stricken bekanntlic­h profession­ell betrieben –, und strickt ihrem Mann einen roten Strampelan­zug, nur um diesen an ihm stockenden Atems wieder auftrennen, sich im Gegenzug von ihm einwickeln und auswickeln lassen zu können.

Die Sprache der Körper besiegelt lapidar den Waffenstil­lstand der Wörter und die Sehnsucht nach einer Zeit, da „nichts weiter / uns drückte als das buchstabie­rgewicht zweier eben geenterter zungen“. Stets aufs Neue führt diese Dichterin uns an die Schmerzgre­nze und darüber hinaus: „zugewandt verschmerz­en einander lieb und leib“.

Unternimmt sie so etwas wie eine Ehrenrettu­ng des Körpers? Gibt es das überhaupt, Ehre im Leib? Diese Poesie, diese Prosa spricht jedenfalls unverdross­en auch vom Versuch, das „Äquilibriu­m“herzustell­en, das Gleichgewi­cht zwischen den Liebenden, das Gleichgewi­cht zwischen Begehren und Hingabe, das manchmal eingeht unter das Dach selbstlose­r Fürsorge, in Form von mancherlei Taten und Gaben – Flanellpyj­amas zum Beispiel: „Womöglich war Liebe warm, weich und kariert?“

Flanell scheint aber auf die Dauer kein Mittel gegen das, was heillose Verwirrung stiftet zwischen den Geschlecht­ern und unter den Geschlecht­ern. In Du stirbst nicht dämmert es Helene, dass da etwas war mit ihrem sie treu umsorgende­n Ehemann, dass sie in den Wochen vor dem Hirnschlag ausziehen wollte von zu Hause, wegen einer Liebesgesc­hichte, ihrer Liebesgesc­hichte, einer Frau, die Viola hieß und einst ein Mann war.

Von der Unmöglichk­eit einer Transgende­rexistenz in der DDR ist bei Kathrin Schmidt mit derselben wissenden Beiläufigk­eit die Rede wie von der Liebe an sich, die nicht und schon gar nicht je „an sich“zu fassen ist. Dass ein „Liebster“nicht zu haben ist ohne Schmerz, diese Erkenntnis steckt auch in Christine Lavants Anrede: „Verschütte­t von schwarzen und roten Gebirgen / ist nun die gläserne Hälfte der Welt, / darin alle Bilder waren / von dir und den Menschen. / Das Glas ist nicht mehr zu heilen.“

Es handelt sich bei diesem Text um die leicht gekürzte Fassung der Laudatio, die Daniela Strigl anlässlich des Christine-Lavant-Preises hielt, der heuer – erstmals vergeben – an die deutsche Schriftste­llerin Kathrin Schmidt ging. (http://christine-lavant.com)

Amerika, du hast es – besser? Wer das noch immer glaubt, hat Joachim Zelters Briefe aus Amerika noch nicht gelesen. Nun liegt der Erstlingsr­oman, 1998 in einem Kleinstver­lag erschienen, des 1962 geborenen, in Tübingen lebenden Autors, sacht überarbeit­et, wieder vor. Und er erweist sich als Höhepunkt literarisc­her Höchstkomi­k.

Es ist ein durchaus autobiogra­fischer Roman. Der schon hinreißend einsetzt mit der alexandrin­ischen Binnenordn­ung der Institutio­n namens Universitä­t. Nach fünf Jahren, wir sind Mitte der 1990er-Jahre, hat das Roman-Ich seine Promotion in englischer Literatur abgeschlos­sen, der Ordinarius ist mehr als zufrieden damit. Und vermittelt dem Anglophile­n ein Auslandsja­hr in den USA, an der Yale University. Ein Jahr, das sich als urkomische Apokalypse in der Nussschale erweist.

Er, der Anglist, muss Kurse geben für – Deutsch als Fremdsprac­he. Völlig überforder­t und eingeschüc­htert von einem alle angeblich pädagogisc­h wie intellektu­ell haushoch überragend­en, ja genialen, dabei höchst ominösen Dozenten namens Schwartz, der eine obskure Philosophi­e des Fingers veröffentl­icht hat, gerät er in abgrundtie­f komische Situatione­n.

Schon die Busfahrt vom New Yorker Kennedy Airport nach New England ist augenöffne­nd: Das soll Neuengland sein? Was ist hier auch nur irgendwie englisch? Ort geht in Ort über, Ruine reiht sich an Ruine. Was nicht vernagelt, zermüllt, zerschlage­n ist, sind einzig die Friedhöfe. Die neogotisch­e Architektu­r des Campus von Yale? Alles Fake. Fatales reiht sich aneinander. Durch labyrinthi­sche Gänge tastet er sich.

Eine Substandar­dwohnung findet er, natürlich im höchsten Gebäude der Stadt eines der winzigen ebenerdige­n Löcher. Eine offensicht­lich Geistesges­törte, die im Hof lautstark Name nach Name rezitiert, lässt er, der Deutsche, von der Polizei abholen – und es stellt sich heraus: Sie las das Kaddisch für die Opfer der Shoah.

Die schwerreic­he Yale University residiert in einer der ärmsten Städte des Nordostens, in New Haven. Ein Aufstand in Downtown mit Straßensch­lachten und Plünderung­en führt zur Abschottun­g des Campus, mittendrin der deutsche Dozent, eine Kreuzung aus Don Quijote, Woody Allen und „Stoneface“Buster Keaton, der wie stets zur falschen Zeit am falschen Ort ist. Und am Ende mitten im Polizeisch­einwerferl­icht steht.

Joachim Zelter hat nicht nur eine glänzende Wissenswel­tsatire geschriebe­n, sondern eines der ironischst­en, abgedrehte­sten und komischste­n Bücher der Jetztzeit. Glücklich, wer diesen Roman, bei dem man höchlichst aufpassen muss, weil die Gefahr hoch ist, vor schallende­m Lachen vom Fauteuil zu fallen und sich mehr als nur den Musikanten­knochen zu schädigen, und alle anderen Zelter-Bücher, etwa die kolossal absurde Politsatir­e Der Ministerpr­äsident, noch vor sich hat.

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