Sich zu exkludieren kann ein Privileg sein
Kommunikation mit Vollgas auf allen Kanälen? Die Digital Naives
Wien – Exkludiert zu werden ist eine schmerzhafte Erfahrung. Sich zu exkludieren kann aber auch eine große Entlastung – sogar ein Privileg sein.
Zufällig sitzt im Hotel eben eine Frau neben mir, die versucht, WLAN auf Tablet und iPhone gleichzeitig zu nutzen. Es gelingt ihr nicht. Sie benutzt Kraftausdrücke, ohne aufzublicken. Online versus offline ist ja von vorgestern.
Noch längst ist nicht das gesamte Umfeld von der Digitalisierung erfasst. Spannend, wenn zukünftig auch noch die Jalousien, der Kühlschrank und die Onlineshoppingliste mit allen Körperfunktionen synchronisiert werden müssen. Nicht auszumalen, wie viel Zeit vergehen wird, bis das alles läuft.
Wer sind nun aber die Digital Naives? Sie sind engagierte Befürworter der Digitalisierung, haben sich ihre Affini- tät dahingehend zu hart erarbeitet, um jetzt nachzulassen. Es sind jene, die nicht mit der Technik aufgewachsen sind, sondern kraft ihrer Eigeninitiative permanent am Ball geblieben sind, jene, die den Begriff Digital Natives erfunden haben, ohne welche zu sein.
High Speed wird zum täglichen Stoßgebet, die Digital Naives sind zu beschäftigt damit, die Features in rascher Abfolge zu bedienen. Da bleibt keine Zeit, um darüber nachzudenken, wozu und wie diese zukünftig tatsächlich genutzt werden sollten. Viel wichtiger ist doch, dass sie funktionieren. Es zählen demgemäß nicht die Inhalte, sondern die Anschaffungen. Die jungen Leute machen das längst spielend. Und wenn alles läuft, gibt es schon wieder zwei neue Trends, die mehr Freiheit verheißen. So kreisen sie in ihren ganz eigenen Bahnen. Kommunizieren mit Vollgas. Über was? Gehen sie in schöpferische Inhalte? Oder kämpfen sie bloß mit der neuesten Kommunikationstechnik? Wie hoch ist der Erschöpfungsgrad in diesem Stillstand voller Getöse? Die Industrie befeuert diese Entwicklungen gezielt, indem sie Selektionen in digitalen Komfortzonen befördert. Voll vernetzt vereinzelt – aber wenigstens mit ein bisschen Erleichterung.
Vermutlich sind die Digital Naives auch keine aussterbende Spezies, werden nicht abgelöst von den Digital Natives, die irgendwann die Welt regieren. Die können nämlich nicht viel mehr, als diese Dinge gegenwärtig besser zu bedienen. Wozu nun all diese Dinge? Es genügt, in Die harte Arbeit der Digital Naives
9. Teil der U-Bahn den Blick schweifen zu lassen. Es geht um Zerstreuung, selten um Information.
Es dominiert, und wir werden unfreiwillig tagtäglich Zeugen dieser Telefonate des „leeren Sprechens“. Viele Menschen klammern sich buchstäblich an ihre Smartphones. Wir Digital Naives sind, wo wir sein sollen: in tiefer und verunsicherter Abhängigkeit – dafür unbegrenzt vernetzt kommunizierend.
Die Frau neben mir telefoniert mittlerweile, lässt ihrem Ärger über die Unmöglichkeit der Verbindung freien Lauf. Sie spricht in ungedämpfter Lautstärke über gar nichts anderes. Solche Kommunikationen tagtäglich zu führen kostet unglaublich viel Zeit und Energie. Ist Offline tatsächlich keine Option mehr?
NORBERT PAUSER ist Bildungswissenschafter, Experte für Diversität und Inklusion. pwww. diversity-inclusion.at