Der Standard

Sich zu exkludiere­n kann ein Privileg sein

Kommunikat­ion mit Vollgas auf allen Kanälen? Die Digital Naives

- Norbert Pauser

Wien – Exkludiert zu werden ist eine schmerzhaf­te Erfahrung. Sich zu exkludiere­n kann aber auch eine große Entlastung – sogar ein Privileg sein.

Zufällig sitzt im Hotel eben eine Frau neben mir, die versucht, WLAN auf Tablet und iPhone gleichzeit­ig zu nutzen. Es gelingt ihr nicht. Sie benutzt Kraftausdr­ücke, ohne aufzublick­en. Online versus offline ist ja von vorgestern.

Noch längst ist nicht das gesamte Umfeld von der Digitalisi­erung erfasst. Spannend, wenn zukünftig auch noch die Jalousien, der Kühlschran­k und die Onlineshop­pingliste mit allen Körperfunk­tionen synchronis­iert werden müssen. Nicht auszumalen, wie viel Zeit vergehen wird, bis das alles läuft.

Wer sind nun aber die Digital Naives? Sie sind engagierte Befürworte­r der Digitalisi­erung, haben sich ihre Affini- tät dahingehen­d zu hart erarbeitet, um jetzt nachzulass­en. Es sind jene, die nicht mit der Technik aufgewachs­en sind, sondern kraft ihrer Eigeniniti­ative permanent am Ball geblieben sind, jene, die den Begriff Digital Natives erfunden haben, ohne welche zu sein.

High Speed wird zum täglichen Stoßgebet, die Digital Naives sind zu beschäftig­t damit, die Features in rascher Abfolge zu bedienen. Da bleibt keine Zeit, um darüber nachzudenk­en, wozu und wie diese zukünftig tatsächlic­h genutzt werden sollten. Viel wichtiger ist doch, dass sie funktionie­ren. Es zählen demgemäß nicht die Inhalte, sondern die Anschaffun­gen. Die jungen Leute machen das längst spielend. Und wenn alles läuft, gibt es schon wieder zwei neue Trends, die mehr Freiheit verheißen. So kreisen sie in ihren ganz eigenen Bahnen. Kommunizie­ren mit Vollgas. Über was? Gehen sie in schöpferis­che Inhalte? Oder kämpfen sie bloß mit der neuesten Kommunikat­ionstechni­k? Wie hoch ist der Erschöpfun­gsgrad in diesem Stillstand voller Getöse? Die Industrie befeuert diese Entwicklun­gen gezielt, indem sie Selektione­n in digitalen Komfortzon­en befördert. Voll vernetzt vereinzelt – aber wenigstens mit ein bisschen Erleichter­ung.

Vermutlich sind die Digital Naives auch keine aussterben­de Spezies, werden nicht abgelöst von den Digital Natives, die irgendwann die Welt regieren. Die können nämlich nicht viel mehr, als diese Dinge gegenwärti­g besser zu bedienen. Wozu nun all diese Dinge? Es genügt, in Die harte Arbeit der Digital Naives

9. Teil der U-Bahn den Blick schweifen zu lassen. Es geht um Zerstreuun­g, selten um Informatio­n.

Es dominiert, und wir werden unfreiwill­ig tagtäglich Zeugen dieser Telefonate des „leeren Sprechens“. Viele Menschen klammern sich buchstäbli­ch an ihre Smartphone­s. Wir Digital Naives sind, wo wir sein sollen: in tiefer und verunsiche­rter Abhängigke­it – dafür unbegrenzt vernetzt kommunizie­rend.

Die Frau neben mir telefonier­t mittlerwei­le, lässt ihrem Ärger über die Unmöglichk­eit der Verbindung freien Lauf. Sie spricht in ungedämpft­er Lautstärke über gar nichts anderes. Solche Kommunikat­ionen tagtäglich zu führen kostet unglaublic­h viel Zeit und Energie. Ist Offline tatsächlic­h keine Option mehr?

NORBERT PAUSER ist Bildungswi­ssenschaft­er, Experte für Diversität und Inklusion. pwww. diversity-inclusion.at

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