Das „Stück Stoff “, das Türen verschließt
Eine aktuelle Studie zeigt, dass sich Frauen mit Kopftuch bis zu achtmal mehr bewerben müssen, um eingeladen zu werden. Müssen sie sich anpassen, oder sind es die Arbeitgeber, die toleranter sein sollten? Darüber wurde diese Woche in Wien diskutiert.
Wien – Frauen mit Kopftuch haben es am Arbeitsmarkt schwerer. So weit bekannt. Das Ausmaß der Diskriminierung hat dann aber selbst Studienautorin Doris Weichselbaumer überrascht: „Es hat bereits mehrere solcher Untersuchungen gegeben. Aber dieser Wert ist meines Wissens einer der höchsten in der internationalen Diskriminierungsliteratur.“Für den großangelegten Feldversuch im Auftrag des Instituts zur Zukunft der Arbeit wurden 1500 fiktive Bewerbungen – einmal im Namen Bauer und einmal im Namen Öztürk, aber mit identischen Qualifikationen – an Unternehmen in Deutschland verschickt und dann die Rückmeldungen der Personalabteilungen analysiert. Sandra Bauer wurde bei diesem Versuch in 18,8 Prozent der Fälle eingeladen, bei Meryem Öztürk, abgebildet ohne Kopftuch, kam es nur bei 13,5 Prozent zum Bewerbungsgespräch. Krasser fiel der Unterschied aus, wenn Öztürk mit Kopftuch abgebildet war: In nur 4,2 Prozent gab es eine positive Antwort. „Das ist ein außergewöhnlicher Wert“, sagt Weichselbaumer, in Österreich wäre das Ergebnis wahrscheinlich ähnlich ausgefallen, vermutet sie. Der neue Club „2050 Thinkers“lud diese Woche zur Diskussion über das Kopftuch in der Arbeitswelt, und es kam auch, wie zu erwarten, zu einer intensiven Debatte.
Fest steht: Frauen dürfen in Österreich Kopftuch tragen – auch am Arbeitsplatz. „Offensichtlich gibt es aber Assoziationen mit dem Kleidungsstück, die den Jobeintritt erschweren“, sagt Margit Draxl, Chefin des Arbeitsmarktservice (AMS) Wien. Dort würde man Mädchen und Frauen, die das Kopftuch tragen wollen, zunächst darauf aufmerksam machen, dass diese Entscheidung zu Problemen führen kann. „Wir stehen mit Beratung zur Seite, aber die Frauen müssen sich der Diskriminierung bewusst sein“, sagt Draxl.
Dass dies muslimischen Frauen schon lange bewusst sei, antwortet Dudu Küçükgöl. Schließlich beginne die Diskriminierung schon viel früher – in der Schule, auf der Straße. Die ehemalige Vorständin bei der muslimischen Jugend Österreich bringt die Arbeitgeber ins Spiel. Die Frage solle nicht lauten, was die Kopftuchträgerinnen ändern sollen, um einen Job zu bekommen, sondern warum sie von Arbeitgebern abgelehnt werden und wie mehr Toleranz in heimischen Personalbüros Einzug halten könnte.
Wer muss auf wen zugehen? Selbst rechtliche Rahmenbedingungen wie die Religionsfreiheit, auf die Kopftuchträgerinnen sich beziehen, sind auch nur schwer anzuwenden, kann man hier doch wieder mit dem Laizismus kontern. Denn nicht nur dürfen Frauen das Kopftuch tragen – auch Arbeitgeber können den Arbeitsplatz zu einem religionsfreien Raum erklären. Besonders bei Berufen mit Kundenkontakt spielt das für einige Arbeitgeber eine große Rolle. Letzte Vermittlerin ist oft die Gleichbehandlungsanwalt- schaft, die von vielen Kopftuchträgerinnen aufgesucht wird, die offensichtlich deswegen für einen Job abgelehnt wurden. Hier wird verhandelt, oft werden Entschädigungen und Entschuldigungen angeboten, zur nachträglichen Anstellung komme es aber so gut wie nie, sagt Cornelia Amon-Konrath, die an diesem Abend im Publikum sitzt. Auch sie sieht Arbeitgeber in der Bringschuld; Frauen vorzuschreiben, sich für den Arbeitgeber zu verändern, könne nicht das Ziel sein: „Ich könnte genau so gut zu Frauen sagen, dass sie keine Kinder kriegen sollen, wenn sie Karriere wollen“.
Fälle aus der Praxis gibt es genug, ganz aktuell einen in Vorarlberg: „Sie werden doch nicht erwarten, dass ich eine Mitarbeiterin haben will, die ein fundamentalistisches religiöses Symbol weithin sichtbar trägt“– diese Antwort habe die 32-jährige Birgül Yücel auf ihre Bewerbung als Ordinationshelferin bei einem Bregenzer Arzt bekommen. „Das islamistische Kopftuch passt nicht zur europäischen Kultur, und da- mit werden Sie nie zu einem ordentlichen Job kommen“, fuhr der Arzt in der Begründung fort. Die Tonalität tue ihm leid, beim Inhalt bleibe er aber, sagte er den Vorarlberger Nachrichten.
Die Wiener Konditoreikette Aida geht einen anderen Weg: Seit etwa fünf Monaten serviert eine Mitarbeiterin mit Kopftuch Melange und Punschkrapfen. Die Reaktionen von Kunden und Mitarbeitern seien durchwegs positiv, erzählte Pressesprecher Stefan Ratzenberger: „Es braucht Bewegung von beiden Seiten gegen die verhärteten Fronten.“
Anonyme Bewerbungen, in denen sowohl Foto als auch Name nicht aufscheinen, werden dem Problem nicht gerecht. Spätestens beim Vorstellungsgespräch kommt es in den meisten Fällen dann zu jener Auslese, die davor schon stattgefunden hätte. Das gilt natürlich nicht nur für das Tragen des Kopftuchs, sondern auch für ältere Arbeitnehmer, Menschen mit Behinderung oder andere Gruppen, die es am Arbeitsmarkt schwer haben.